Trübsal, da bläst sie

Eigentlich würden wir uns jetzt auf den Weg zum Flughafen machen. Eigentlich. Stattdessen sitzen wir an Bord, verdauen den Lachs, schnabulieren Chips und Süssigkeiten. Versuchen, etwa Gutes an diesem Tag zu finden. Der Skipper ist erfolgreich: die Linsen für eine Linsensuppe sind eingeweicht worden, er freut sich schon auf die Suppe. Die Bordfrau dagegen findet nix Gutes am Tag … halt, doch: der Rotwein von Teneriffa, ein Fundstück in der Backskiste, schmeckt noch gut. Und die Partyboote fahren am Abend extrem langsam, damit die Gäste nicht über Bord fallen oder mehr vom Abend und der Trommelfell zerfetzendenMusik haben. So wie wir auch. Aber das nur am Rande.

Ich gebe mich dem Trunk hin oder besser gesagt dem Rotwein. Ertränke meinen Kummer, der mich auf vielfältige Weise heute heimgesucht hat. Probleme mit der Lichtmaschine und dem Strommanagement, so fing es eigentlich harmlos an. Dicht gefolgt von der Nachricht, dass unsere Freunde und Mitsegler, die wir heute Abend am Flughafen in Empfang nehmen wollten, in Frankfurt aus dem Flugzeug geholt wurden. Eine Zahlenunstimmigkeit zwischen Reisepass und Visa sagt die Fluggesellschaft, Willkür sagen unsere Freunde (und auch andere). Fakt ist, das die Freunde aus dem Flugzeug gezerrt werden und in Frankfurt stehen bleiben. Guter Rat ist im wahrsten Sinne des Wortes teuer. Ein Last-minute Flug wird ihnen für schlappe 1.000 Euro plus 300 Euro von Bogota nach Cartagena angeboten. Ein echtes Schnäppchen, denn wohlgemerkt für 1 Person. War Last minute nicht irgendwann mal bekannt dafür, preiswert zu sein??? Aber vielleicht hätten die Flüge ja auch regulär das doppelte gekostet. Es ist auch wurscht. und auch wie verhext. Da haben die beiden eine Leckage mit Wassereinbruch an ihrem schwimmenden Zuhause gut gemeistert und sich auf den Weg zu uns gemacht, haben alle Klippen in Form von Visa etc. umschifft und dann sowas!!

Uns holt unsere Realität hier ein: Margarita die Segelmacherin steht parat, nimmt noch einmal Mass für Winschhutzen und Sonnensegel. Wir bewundern die unkonventionelle Art, eine Schablone unserer Wischenn anzufertigen, es wird hier und dort gezappelt, die Stirn liegt in ebensolchen Falten wie unser neuer Sonnenschutz. Ein Bügel wäre hier hilfreich. Aber um ebendiesen wollten wir uns ja drücken. Also muss Margarita sich was einfallen lassen und vielleicht ein, zwei Abnäher in die Masse von Stoff setzen? Auch die neue Regenauffangpersenning (tolles Wort!) ist viel zu lang geworden. War da nicht bei der ersten Anprobe ein Massband im Einsatz??? Nochmal anpassen, falten, knicken, nicken, aha, ähem,, Persenning wieder einpacken. Wann wird es fertig? Montag, ja Montag klingt gut. Nicht, dass wir nicht letzten Montag schonmal soweit gewesen wären. Viva Colombia.

Mir ist jetzt eh schon alles egal, ich schmiede Pläne bezüglich Visa-Verlängerung für uns, Ferroalquimar erneut aufsuchen, Boot an Land stellen, Verlängerung fürs Boot ergattern, Heimfliegen, neuer Versuch, uns und das Schiff von Kolumbien weg zu bringen. Irgendwann wird es schon klappen.

Oder doch neue und zeitnahe Flüge für die Freunde & Mittsegler finden, die in Frankfurt gestrandet sind und glücklicherweise bei einem Bruder Unterschlupf fanden? Den Plan mit einer geringfügigen Zeitverzögerung umsetzen?

Kaum sind die Persenningleute weg, erobern die Elektroniker das Schiff. 3 Mann hoch, gut gelaunt, widmen sie sich der Aufgabe, unsere Lichtmaschinen zum Laden zu bewegen und den Drehzahlmesser zum drehen. Die Aktion endet damit, dass unsere Navigationsinstrumente nicht mehr arbeiten (Sicherung durch??) und beide Lichtmaschinen als defekt ausgebaut wurden. Wie jetzt??? Die eine ist doch quasi nagelneu, noch nicht wirklich benutzt und schon kaputt?? Die Rechnung suchen wir vergeblich - es finden sich so ziemlich alle Belege, nur jene nicht!. Was uns tröstet, ist die Aussage, dass wir auf das Teil eh keine Garantie hätten. Der Skipper ist stinkig und handelt den angebotenen Reparatur- und Installationspreis erstmal runter. Nutzt ja nix, Strom muss her wenn Sonne und Wind auf sich warten lassen. Und in der Reihe unserer PPP’s (Pleiten, Pech & Pannen) kommt es darauf auch nicht mehr an.

Dazwischen fetzen sich Skipper und Bordfrau wegen Banalitäten (z.b. die Sinnhaftigkeit einiger Anschaffungen, die eigentlich nur von A nach B geräumt werden, Platz wegnehmen, Ballast darstellen und nie gemäss ihrer ursprünglichen Bestimmung genutzt werden - es handelt sich hier um Gennaker, Wassermacher und noch einiges),  trauert die Bordfrau um einen früheren Chef. Der, nur ein Jahr älter, sein Leben hinter sich gelassen und ins Reich der Toten gegangen ist. Das rückt vieles zurecht, haben wir wirkliche Probleme? Nein, keine, die nicht irgendwie lösbar wären. Auch wenn sie sich grad so hoch wie die Hochhäuser von Boccagrande vor uns auftürmen. Der Blick durchs Rotweinglas mit dem leckeren Tropfen von Tacoronte, einerseits getrübt, aber irgendwie auch geschärft, das Boot in der nächtlichen Dünung nur noch leicht und wohlwollend wippend, die Dinghis gesichert, eine leichte Brise bringt Abkühlung. Leben, lebenswert, bunt, schillernd, abwechslungsreich. Man wächst an seinen Herausforderungen und Aufgaben. Wachsen oder einknicken? Heute Mittag war ich nur noch müde, abgestumpft, resigniert. Die Trauer um einen Menschen, von denen es mehr geben könnte. Einen, den ich eigentlich nur beruflich kannte und der trotzdem ein wichtiges Stück meines Lebens irgendwie präsent war; einen, den man vermisst, der zu früh gegangen ist; der nur ein Jahr älter war. Das lässt vieles in anderem Licht erscheinen, lässt mich aufwachen. Schärft den Blick fürs Wesentliche, fürs wirklich Wichtige. Wo bin ich in einem Jahr? Auf jeden Fall dann im gleichen Alter. Und vielleicht wieder oder immer noch in Cartagena? Hier gestrandet, hängen geblieben, wie so mancher? Oder auf einem ganz anderen Weg??

Aber jetzt und hier hülle ich mich in Schweigen, verfalle in Wortlosigkeit. Ist alles gesagt zwischen uns oder haben wir irgendwann auch wieder Worte für uns? Für unsere Gemeinsamkeit? Nicht nur der Blick verändert sich, auch die Wahrnehmung, die Empfindlichkeit. Wechseljahre mit Wellengang - hier am Anker mit seinen äusserst wellig-bewegten Zeiten, bekommt das eine ganz neue Bedeutung.

Wir drehen uns, im Leben wie auch hier um unseren Anker. Ich übe mich in Geduld und im Dinghy-Fahren. Ramme unvorteilhafte geparkte Lanchas beim Ausparken im Club Nautico, touchiere die ebenso unvorteilhaft hochgeklappten Propeller eines anderen Bootes, verwechsele Vor- mit Rückwärts, gebe zuviel Gas, wundere mich über den Musikgeschmack der Kolumbianer (meist in der Kategorie Mamp-mampf-Discostampf angesiedelt) und freue mich über seltenen Oldies, die übers Wasser zu uns herüber schallen. Gestrandet in Cartagena - ich wollte es nie, muss ich mich jetzt mit diesem Gedanken anfreunden oder wehre ich mich weiterhin standhaft mit Händen, Füssen und allem was mir sonst zur Verfügung steht? „Stand by me…“ klingt es übers Wasser … ich denke mal nicht weiter darüber nach!

Skyline von Manga bei Nacht

Skyline von Manga bei Nacht