Monats-Archiv Mai, 2016

Impressionen aus Cartagena - Teil II

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Ein Foto sagt vielleicht mehr als 1000 Worte - Teil I

Cartagena mehr im Bild denn im Wort. Nur kurze Begleit- und Informationstexte zum jeweiligen Foto. Wir sehen und erleben in diesen Tagen so viel, dass wir es gar nicht alles in Worte fassen können. Hier ein kleiner Querschnitt von dem, was wir sehen. Kein blaues Meer, keine Palmenstrände, keine Idylle - nein, pralles kolumbianisches Leben. Mittendrin und manchmal auch nicht wirklich schön.

Erlebnisreiches Cartagena

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Wir erleben schon so allerhand hier in Cartagena. Es sind nicht unbedingt grosse Ereignisse sondern eher die kleinen Alltagsbegebenheiten, die eher unspektakulären aber interessanten Veranstaltungen und „Events“. Goethe, den Film – hätte ich mir in Deutschland wahrscheinlich nie angesehen. Hier in Cartagena wird er im Ciudad Movil gezeigt, in deutscher Sprache mit spanischen Untertiteln. Lassen wir uns doch nicht entgehen. Im 2. Anlauf (im wahrsten Sinne des Wortes) werden wir auch nicht enttäuscht, sitzen in einem lauschigen Innenhof der Ciudad Movil unter Palmen und Ficcusbäumen, auf weissen Bänken und Holzstühlen. Freiluftkino vom Feinsten, Moskitobisse hauchfein inbegriffen. Für Getränke und Popcorn ist selbst zu sorgen, bei den vielen kleinen Senora-Emma-Eckläden im Viertel kein Problem.

Eigentlich wollten wir ja auch diesen Filmabend besuchen, um vielleicht im Anschluss noch mit dem ein oder anderen Kinobesucher was zu trinken, ins Gespräch zu kommen, Kontakte zu knüpfen. Fehlanzeige – kaum ist der Film beendet, eilt man auch schon Richtung Ausgang. Schade. Wir schauen uns noch ein bisschen die Räumlichkeiten des Ciudad an: es gibt einen grossen verspiegelten Raum, mit Gummimatten ausgelegt. Hier werden Tanz- und Bewegungskurse abgehalten. Weiter vorn sind einige junge Menschen ganz in die Bildschirme der aufgebauten Laptops vertieft. Es herrscht eine ruhige Atmosphäre und irgendwo hängt ein unsichtbares aber spürbares Schild „bitte nicht stören“. Also verkrümeln wir uns wieder auf die Strasse und staunen, wie ruhig es auch hier geworden ist. Alle Anwohner haben sich von den Gehsteigen in ihre Häuser verzogen, die Türen sind verschlossen, nur noch wenige Fensterläden gewähren Einblick. Ruhig ist es geworden auf den Strassen, nur auf dem Plaza de la Trinidad ist noch etwas Leben. Cartagena, Getsemani am Abend – vertraut und doch neu, anders aber sehenswert.

Live-Musik, Fussballübertragungen im Leonde Bavaria bei Bratwurst, Brezen, Kartoffelsalat, Leberkäs, Schnitzel und natürlich Weissbier im Originalglas oder vielleicht doch lieber eine „Präsentation“ auf einem der kleinen Plätze Mangas? Eine professionelle Bühne samt Laufsteg wird aufgebaut, Plastikstühle drum herum. Um 19 Uhr geht sie los, die Veranstaltung im Rahmen des 9. Festival de las Artes, dessen Veranstaltungen, Präsentationen und Ausstellungen bislang vorwiegend im historischen Zentrum, in den zahlreichen Universitätsgebäuden mal mehr mal weniger öffentlich stattfanden. Heute werden junge Künstler mit Preisen ausgezeichnet und einige Arbeiten werden vorgestellt. Voll durchgestylte Models schwingen die mageren Hüftknochen über den Laufsteg. Barfuss klappt das ganz gut. Nichts, auch kein ausgefallenes Schuhwerk soll von den ausgefallenen Schmuckkreationen ablenken, die die Jungs und Mädels mit sich herum schleppen. Lediglich knallige Lippenstifte sind erlaubt. Blitzende, blinkende Metallkrägen, verziert aber doch insgesamt sehr starr wirkend werden abgelöst von wirren Drahtknäueln in bunten Farben. Eine Dame scheint eine Art Kühltasche vor der Brust zu tragen, wir sind voll geblendet von den Reflektionen des Lichtes darauf. Stak-stak, mehr oder weniger geschmeidig geht es mit kurzen Zwischenposings bis zum Ende des Laufsteges, einmal nach links – Kinn hoch, Schwenk nach rechts, Kind wieder herausfordernd hoch, todernster Blick – schliesslich handelt es sich hier um harte Arbeit – dann geht es wieder zurück und die nächste Dame, der nächste Herr schreitet heran.

So ernst wie die Models gucken, so sehr amüsieren wir uns. Einmal über das Gehabe und natürlich auch über die vorgeführten Objekte. Industriedesign nennt man das wohl und die Künstler ernten schon einiges an Beifall. Einer scheint eine Art Lokalmatador zu sein, der wird richtig bejubelt. Zu schade, dass ich den Fotoapparat zu Hause gelassen habe.

Um den Laufsteg hüpfen und springen die zukünftigen Miss Columbias, angetan mit rosa Tüllröckchen und im zarten Alter der Generation -5, gejagt von einem kleinen Superhelden, der sein blaues Hemd mit dem bekannten rot-gelben Dreieck voller Stolz trägt. Superman scheint in Cartagena sehr beliebt zu sein, die entsprechenden T-Shirts kann man in fast jedem Laden kaufen. Wobei sich mir wieder meine Lieblingsfrage stellt: werden aus kleinen dicken Jungs auch kleine dicke Männer oder vielleicht doch athletische grosse Superhelden?

Zum Abschluss tritt dann noch eine „Big Band“ auf. Geführt von einer resolut-fülligen Dame in weisser Pluderhose und goldig-glänzendem taillierten Jäckchen und gesanglich unterstützt von 5 SängerInnen die wirklich was drauf haben. Aber auch die Instrumenalisten sind nicht ohne. Dazu ein bisschen Feuerwerk, das sehr gemischte Publikum ist begeistert und nicht mehr auf den Plastikstühlen zu halten. Überall schwingt und steppt man im Rhythmus der offenbar sehr bekannten Musiktitel mit. Jung und alt ist vertreten, Kleinkinder schlafen tief und fest auf den Armen ihrer Eltern. Dann ist alles relativ schnell vobei – ein letzter, die Massen mitreissender Hit wird gespielt, noch ein paar warme Worte ans Publikum durch die Dirigentin, ein paar Instrumentensoli, dann ist finito. Ein schönes Erlebnis, nicht spektakulär aber halt mittendrin.

Die allerschönste Zeit des Tages

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Die allerschönste Zeit des Tages

5:30, 6 Uhr – langsam wird es hell, das erste Grau des Tages weicht dem Pastelllicht der Sonne, die hinter den Hochhäusern von Manga aufsteigt, die Kräne des Containerdecks dann die vor Anker liegenden Yachten anstrahlend und Reflexe auf das noch ruhige Wasser der Bucht zaubernd.

Die ersten Taxiboote sind unterwegs, teilen die spiegelglatte Wasserfläche andächtig langsam. Alle Schiffe liegen mehr oder weniger über ihrem Anker, keine Kette oder Leine spannt sich, fast vollkommene Ruhe und Unbeweglichkeit, Entspanntheit. Kreuz und quer liegen die Boote. Ein paar Möwen kreischen, ein erstes Flugzeug steigt auf. Dinghis schaukeln hinter oder neben den Yachten, noch rührt sich nichts und niemand auf den Booten. Auf der Promenade am Ufer sind nur wenige frühe Spaziergänger unterwegs.

Der Tag fühlt sich frisch an, klar, sauber, unverbraucht. Verheissungsvoll und offen für neue Erlebnisse. Die Luft ist zwar nicht wirklich kühl oder frisch, das darf man bei einer Temperatur zwischen 26 und 29°C nicht erwarten, fühlt sich aber doch sehr angenehm an. Nur ein, zwei Stunden später ist die Sauna dann wieder perfekt; die Sonne heizt gnadenlos hoch auf 32, 34°C und wir dampfen vor uns hin. Dann knattern die Beiboote an Land; dann übertrumpfen sich die Taxiboote gegenseitig mit ihren PS-starken Motoren und jagen durchs Ankerfeld, dass die Tassen im Schapp nur so scheppern und dann liegen auch alle Yachten wieder fein säuberlich ausgerichtet mit dem Bug nach Süden oder Norden.

Es ist wirklich die allerschönste Zeit des Tages. Bis die Taxiboote wie ein angriffslustiges Geschwader aus dem kleinen Hafen Eduradono heraus schwirren und das Wasser aufwirbeln. Eines nach dem anderen prescht an den vorher ruhig liegenden Booten vorbei, es wird sich gegenseitig an den engsten Stellen noch überholt, die Ankerlieger ins Schaukeln und Tanzen gebracht dass die Tassen fast vom Tisch kippen und auch der letzte Langschläfer aus der Koje fällt. Dazu ertönen die neuesten Hits aus den kolumbianischen Musikcharts - der Tag hat begonnen.

Am Abend wird der Faule fleissig

Am Abend wird der faule fleissig und die KolumbianerInnen werden sportlich

Geht man am Abend, also nach Einbruch der Dunkelheit auf die Uferpromenade in Manga, dann begegnen uns unglaublich viele Menschen: Hundebesitzer die ihren Vierbeinern ein paar Hundesoziale Kontakte gönnen und die Gelegenheit nutzen, mit den dazugehörigen Menschen auch ein paar Worte zu wechseln; Mütter die ihre Kleinkinder in Kinderwagen oder den beliebten modernen Tretautovarianten herum schieben. Man hält einen Plausch oder läuft einfach so vor sich hin.

Auf dem Platz mit den Fitnessgeräten wird geturnt und die Muskeln gestählt, ganze Heerscharen von bunt und sportlich gekleideten Frauen und Männern joggen, walken am Wasser entlang. In Gruppen, zu zweit oder auch alleine, dann meist gut verkabelt und mit Ohrstöpseln ausgerüstet, die in direkter Verbindung zu Handy oder sonstiger Entertainment Ausrüstung stehen. Sammelplatz ist für viele ein Platz am südlichen Ende der Promenade. Hier geht es dann ein- bis zweimal die Woche richtig zur Sache: zu fetziger Musik und dem mitreissenden Kommandoton des Vorturners wird sich hier verbogen und gedehnt, wird gehüpft, gezogen, gestreckt, an- und abgewinkelt dass der Schweiss nur so in Strömen fliesst. Rundherum sitzen die weniger sportlichen und schauen dem Treiben begeistert zu, der obliatorische Eismann klingelt vorbei und da Zuschauen bekanntlich auch anstrengend ist, macht er hier recht guten Umsatz.

Geht man Richtung Norden, vorbei an der alten Festung rund um den Club de Pesca, kommt man zu einem richtigen Sportplatz. Hier wird hinter hohen Zäunen Basketball gespielt während die zweite Truppe (der Andrang an Sportlern ist offenbar zu gross für die Platzgrösse, man teilt sich auf) sich mit Dehn- und Lockerungsübungen vorbereitet. Liegestütze, Seilspringen – nix wird ausgelassen.

Sportliches Cartagena – und ich hüte immer noch meinen inneren Schweinehund. Tröste mich damit, dass wir uns doch auch viel bewegen, die meisten Wege zu Fuss zurücklegen und dabei schon einige Kilometer zurück gelegt haben.

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