Tages-Archiv 26. Februar 2016

Herbst auf Jamaica?

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Herbst auf Jamaica? Wie jeden Morgen ziehen weisse Nebelschwaden aus dem nächsten Tal. Über dem Wasser, nahe am Ufer hängen feine weisse Schleier, aus dem Mund des vorbeifahrenden Fischers raucht es und im Tal hinter der Montego Bay liegt ebenfalls eine weisse Schicht über dem sonst so satten Grün. Herbst auf Jamaica? Ein klein wenig kommt dieses Gefühl auf. Auch wenn ich (bekennende Warmduscherin) frühmorgens (was dann 6:30 wäre) beim Eintauchen ins klare Wasser erst einmal heftig zurück schrecke: Boah, das ist ja wie Ostsee im Sommer. Oder ist die vielleicht doch einige Grade kälter und meine Erinnerung lässt nur zu wünschen übrig?? Der zweite Gang fühlt sich jedenfalls schon deutlich wärmer an, ich bin wieder zufrieden. Ist doch schon herrlich, so früh morgens schwimmen gehen zu können, in diesem riesigen Meerwasserbecken um uns herum Wir sind zufrieden mit der Wahl unseres Ankerplatzes. Machen einen kurzen Ausflug mit dem Dinghi zum Montego Bay Yacht Club. Wow, das ist mal ein feines Clubgebäude. Alles strahlt Gediegenheit und Flair aus, sogar die Duschen und Toiletten. Am Steg hängen einige “alte Bekannte” aus Port Antonio. Ein weiteres Boot zieht - wie wir auch vor 2 Tagen - im Ankerfeld seine Kreise und dreht dann wieder ab. Von der netten Lady hinter der schalterähnlichen Glasscheibe bekommen wir unsere Formulare fürs Ausklarieren ausgehändigt, ganz fortschrittlich mit Kohlepapier zwischen den einzelnen Lagen. Können wir alles mitnehmen und in Ruhe an Bord ausfüllen. Wäsche abgeben geht auch, ganz ordentlich mit In- und Out Liste der jeweiligen Wäschestücke. Gasflasche füllen? Aber gerne, bitte herkommen, ins georderte Taxi steigen und mit diesem zur Füllstation fahren. Aha, bekommen wir das vielleicht auch ohne Taxi hin? Ob das dann ein noch teureres Cookinggas wird wie in Port Antonio? Nächstes Ziel ist die Flussmündung des Montego River. Ganz dicht fahren wir mit der voll gepackten Gummiwutz (die Crews von 3 Yachten = 5 Personen) am Ufer entlang. Grosse, ausgetrocknete Baumstämme am Ufer künden von einer Mündung. Die ist aber- wie so viele auf der Insel -  komplett versandet. Dahinter kann man allerdings das grüne Flusswasser erkennen. Braune Rinder weiden zufrieden am Ufer, über eine Brücke donnern die Autos und gefährlich laut brüllenden LKW. Am Ufer stapeln sich die Reusen hinter den zahlreichen Fischerbooten. Eine kleine Hüttenansammlung vervollständigt das Ensemble. Alles ganz eingepresst zwischen Wasser und vierspurige, stark befahrene Strasse. Irgendjemand meint, Jamaica sei bislang die noch karibischste Insel von allen. Hier sei vieles so, wie er sich die Karibik vorgestellt habe. Ich weiss nicht so recht, hatte ich überhaupt eine Vorstellung von Karibik? Vielleicht die klassische mit blauem Wasser, Palmen, weissem Sandstrand ? Aber sonst? Die teilweise sehr krasse Armut, den starken und gut sichtbaren Kontrast zwischen sehr reich und sehr arm; das hatte ich mir nicht so vorgestellt. Auch nicht die trotz Armut so präsente Fröhlichkeit und Freundlichkeit der meisten Menschen, die extreme Verkaufstüchtigkeit (die sich darin äussert, dass irgend etwas lautstark angeboten wird und selbst wenn man 10x abgelehnt hat, wird man wieder angesprochen, bekommt irgendwas anderes offeriert. Zeit für einen persönlichen Schnack bleibt sowieso irgendwie immer), dieser ungebrochene Wille zu Überleben, egal wie der Tag läuft. Nicht erwartet ist auch die Tatsache, dass wir oft angestaunt werden, von den Kindern, mit grossen Augen und ernsten Gesichtern: was seid ihr denn für welche?. Das ist neu, ungewohnt und fühlt sich manchmal ganz komisch an. “Whitey” oder auch “Joe’s” werden wir gerufen. Was den Käptn aufregt -  wir sind doch keine Amerikaner! Wo ist der Unterschied für die Einheimischen? Weißer ist Weißer und somit automatisch einer aus den USA? Und ebenso automatisch hat dieser Mensch unendlich viel mehr Geld in der Tasche, kann es für teure Taxifahrten oder Ausflüge ausgeben oder kann irgend etwas kaufen, was er eigentlich gar nicht braucht. Jamaica - eine Insel die uns gerade herbstlich erscheint, es aber nicht ist. Im Gegenteil, es geht auf die Trockenzeit zu. Aber noch regnet es immer wieder. Aber in Kingston wird auch schon Wasser gespart, kann man nach 18 Uhr teilweise nur noch duschen, wenn man Wasser in hauseigenen Zisternen bunkert und dann nutzen kann. Erziehungs- und Vorsichtsmassnahmen für die kommende wasserknappe Zeit. Warum die Regierung das bestehende Wasserreservoir grössenmässig nicht an die wachsende Bevölkerungszahl angepasst hat, ist selbst dem einfachen Taxifahrer unverständlich, der uns von Ocho Rios nach Nine Miles bringt. Hier haben sie diese Probleme weniger, weil sie Wasser sammeln. Das sei doch selbstverständlich?.. wie bin ich jetzt von Herbst auf Wasserknappheit gekommen? Egal. Langsam steigt die Sonne über Montego Bay höher. Von allen Seiten strömen die Autos auf die Stadt zu, es hupt und brummt. Gefährliche Ungeheuer bewegen sich dort, brummend, grollend, brüllend, knatternd. Für morgen bitte ich mir schon mal einen Bordtag aus vom Käptn. Aber heute geht es erst einmal on the road, sind wir noch einmal ganz mutig und machen uns auf den Weg nach Negril, mit einem Routetaxi. Dieses Fortbewegungsmittel, die für permanente Adrenalinsteigerung sorgt wenn man erst einmal drin sitzt und das uns immer wieder erstaunlicherweise heil am Bestimmungsort abliefert. Die Schilder am Strassenrand, die davor warnen, dass überhöhte Geschwindigkeit tödlich ist oder die Statistik der Todesopfer auf den Strassen Jamaicas veröffentlichen (jährlich sprunghaft steigend in den letzten Jahren), nehmen wir nur flüchtig zur Kenntnis. Der Mensch ist gut in der Disziplin Verdrängung und Ignorierung. Und dauerhaft haben wir eh keine andere Wahl, sind die Chartertaxis schlichtweg zu teuer für uns.

Negril

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Donnerstag - Election Day auf Jamaica. Gewinnen die “Orangen” oder die “Grünen”? Die Farbe des jeweiligen Favoriten tragen viele Jamaicaner stolz zur Schau, in Form von entsprechend farblichen T-Shirts. Vor Schulen und anderen öffentlichen Gebäuden versammeln sich die Bürger dieser Insel um zur Wahl zu schreiten, die meisten Geschäfte in Montego Bay haben geschlossen. Auf die Frage, wer denn ihrer Meinung nach gewinnen wird, äussern sich manche sehr zurückhaltend. Und irgendwie scheint die Parteifarbe eine höhere Bedeutung zu haben als der Name. Wir sind auf dem Weg nach Negril, haben auch gewählt in Montego Bay und uns für ein Chartertaxi entschieden. Der Fahrer spricht uns jeden Tag direkt nach dem Tor zu Pier 1 an: “Taxi today”?. Heute verhandeln wir den Preis. Und tatsächlich, bei 2.500 (JAD) springt er auf und sagt o.k., ich fahr euch nach Negril. Eigentlich wollten wir ab dem Taxisammelplatz mit dem normalen Route-Taxi bis Lucea fahren, dort umsteigen und dann weiter nach Negril. Geschätzte Gesamtkosten 500 JAD pro Person. Wir sind 5 Personen, also 2500. Der deutsche Mensch denkt, der Jamaicaner denkt etwas anders. Aber das merken wir erst später. In gemächlicher Fahrt geht es aus der Stadt raus. Hier wohnen eindeutig betuchterte Bürger dieser schönen Insel. Die Hotel- und Appartmentanlagen sind beeindruckend und sehr gepflegt, der Blick aufs Meer einfach fanstastisch. Wir passieren die grösste und schönste Golfanlage der Insel. Die Überreste einer alten Zuckermühle sind harmonisch eingebettet, das Wasserrad ist noch aktiv und dreht sich. Weiter oben an den Hängen verstecken sich die Appartmenthäuschen im üppigen Bananengrün, emsige Geschäftigkeit auf dem Green des Platzes, der sich zu beiden Seiten der Strasse und somit auch bis zum Meer hin erstreckt. Da könnte man glatt zum Golfer werden. Ein Stück weiter stehen Pferde auf Koppeln, das Mekka der Reiter liegt hier. Immer wieder passieren wir kleine und grössere Buchten, die uns - falls ausreichend tief - durchaus als attraktive Ankerbuchten erscheinen. Allerdings sehen wir kein einziges Segelboot in diesen Buchten. Vielleicht doch zu flach oder zu wenig populär? Sind ja eh nicht so übermässig viele Fahrtensegler hier um Jamaica herum unterwegs. Lucea liegt vor uns, Haupstadt des nächsten County und für eine Hauptstadt bemerkenswert klein, hässlich und mit einer Strasse der Marke ?Loch an Loch und hält doch? gesegnet. Ein dezentes Hinweisschild “Fort Charlotte” - vom Fort selbst sieht man nix. Nach 72 Kilometern erreichen wir die Ausläufer Negrils, Käptn Werner hält Ausschau nach der Bloody Bay. Laut Aussagen einiger Ortskundiger eine “lovely” Bucht. Von der Strasse aus ist sie nicht wirklich sichtbar und schon haben wir die Long Bay querab, samt Hotel- und Appartmentanlagen beidseitig der Strasse und dicht an dicht. Dazwischen Bars, Café’s, Restaurants und alles was der Urlauber sonst vielleicht noch so begehrt. Uns zieht es ins Zentrum von Negril. Das besteht aus einer Bank, einer Apotheke, einem Burger King und einer Art Supermarkt. Irgendwie hatten wir uns was anderes darunter vorgestellt. Nach einer etwas unvermuteten Diskussion zum Thema Fahrpreis, der sich unterwegs mal eben auf satte 2500 JAD pro Person erhöht hat und den wir nicht zu zahlen bereit sein (wir einigen uns letztendlich nach zähen Verhandlungen auf 600 JAD pro Person) gönnen wir uns erstmal eine schattige Pause am Ufer. Neben uns schnitzt ein Rastaman dekorative Muster in die noch grünen Kalabashkugeln. Wenn die dann später trocknen, heben sich die Muster hell von der dunkleren Schale ab, so geht das also! Hunde tauchen aus dem Nichts auf und erbetteln sich die Reste einer Hähnchenmahlzeit von Gitti und Roland. Es zieht uns zum Strand. Der ist absolut karibisch, wenn auch das Gesamtbild durch die Styroporkugeln der jeweiligen Strandabschnittsmarkierungen doch etwas gestört ist. Liegestühle bestimmen das Bild, Urlauber en masse, hier sind wir nicht mehr so auffällig, hautfarbenmässig. Schön, so im Wassersaum entspannt am Strand entlang zu laufen und Leute gucken. Ein Bier in einer Strandbar muss sein, ein Gitarrenspieler fühlt sich bemüssigt, uns musikalisch zu unterhalten. René gibt ihm einen Dollar damit er aufhört, unsere Gehörgänge mit seiner schlecht gestimmten Gitarre zu malträtieren. Eine dicke Regenwolke zieht auf und wir ziehen weiter, Richtung Strasse ? Zeit, die Heimfahrt zu organisieren. Da wir ja absolut lernfähig sind, sprechen wir die Preisfrage im Vorfeld sehr genau an und ernten abfälliges Gelächter bei unseren Preisvorstellungen. Hartnäckig wie wir sind, bleiben wir aber bei dem einmal gesetzten Limit und schaffen es tatsächlich, ein Taxi zu finden, das uns für diesen Kurs bis Lucea fährt. Reelles Routetaxi, reeller Preis von 250JAD bis Lucea. Wo bitte, ist das Problem? So ganz erschliesst sich uns die Philosophie der fahrenden Zunft nicht, vielleicht können wir einfach noch nicht genau zwischen Route- und Chartertaxi unterscheiden. Egal. Unser Fahrer erklärt sich im Laufe der Fahrt auch noch bereit, uns für 500 JAD pro Person nach Montego Bay zu fahren. Na also, geht doch. Die Rückfahrt ist zwar etwas beengter, weil unterwegs noch jemand dazu gepackt wird, dafür aber auch flotter. Sogar einen Fotostop beim Wasserrad der Zuckermühle legt der gute Mann für uns ein. Rechtschaffen müde aber auch zufrieden und mit neuen Eindrücken versehen lassen wir uns am Nachmittag auf die Barhocker von Pier 1 fallen. Jetzt ein Mojito, mit frischer Minze. Oder vielleicht doch ein “Sex on the pier”?