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Herbst auf Jamaica? Wie jeden Morgen ziehen weisse Nebelschwaden aus dem nächsten Tal. Über dem Wasser, nahe am Ufer hängen feine weisse Schleier, aus dem Mund des vorbeifahrenden Fischers raucht es und im Tal hinter der Montego Bay liegt ebenfalls eine weisse Schicht über dem sonst so satten Grün. Herbst auf Jamaica? Ein klein wenig kommt dieses Gefühl auf. Auch wenn ich (bekennende Warmduscherin) frühmorgens (was dann 6:30 wäre) beim Eintauchen ins klare Wasser erst einmal heftig zurück schrecke: Boah, das ist ja wie Ostsee im Sommer. Oder ist die vielleicht doch einige Grade kälter und meine Erinnerung lässt nur zu wünschen übrig?? Der zweite Gang fühlt sich jedenfalls schon deutlich wärmer an, ich bin wieder zufrieden. Ist doch schon herrlich, so früh morgens schwimmen gehen zu können, in diesem riesigen Meerwasserbecken um uns herum Wir sind zufrieden mit der Wahl unseres Ankerplatzes. Machen einen kurzen Ausflug mit dem Dinghi zum Montego Bay Yacht Club. Wow, das ist mal ein feines Clubgebäude. Alles strahlt Gediegenheit und Flair aus, sogar die Duschen und Toiletten. Am Steg hängen einige “alte Bekannte” aus Port Antonio. Ein weiteres Boot zieht - wie wir auch vor 2 Tagen - im Ankerfeld seine Kreise und dreht dann wieder ab. Von der netten Lady hinter der schalterähnlichen Glasscheibe bekommen wir unsere Formulare fürs Ausklarieren ausgehändigt, ganz fortschrittlich mit Kohlepapier zwischen den einzelnen Lagen. Können wir alles mitnehmen und in Ruhe an Bord ausfüllen. Wäsche abgeben geht auch, ganz ordentlich mit In- und Out Liste der jeweiligen Wäschestücke. Gasflasche füllen? Aber gerne, bitte herkommen, ins georderte Taxi steigen und mit diesem zur Füllstation fahren. Aha, bekommen wir das vielleicht auch ohne Taxi hin? Ob das dann ein noch teureres Cookinggas wird wie in Port Antonio? Nächstes Ziel ist die Flussmündung des Montego River. Ganz dicht fahren wir mit der voll gepackten Gummiwutz (die Crews von 3 Yachten = 5 Personen) am Ufer entlang. Grosse, ausgetrocknete Baumstämme am Ufer künden von einer Mündung. Die ist aber- wie so viele auf der Insel -  komplett versandet. Dahinter kann man allerdings das grüne Flusswasser erkennen. Braune Rinder weiden zufrieden am Ufer, über eine Brücke donnern die Autos und gefährlich laut brüllenden LKW. Am Ufer stapeln sich die Reusen hinter den zahlreichen Fischerbooten. Eine kleine Hüttenansammlung vervollständigt das Ensemble. Alles ganz eingepresst zwischen Wasser und vierspurige, stark befahrene Strasse. Irgendjemand meint, Jamaica sei bislang die noch karibischste Insel von allen. Hier sei vieles so, wie er sich die Karibik vorgestellt habe. Ich weiss nicht so recht, hatte ich überhaupt eine Vorstellung von Karibik? Vielleicht die klassische mit blauem Wasser, Palmen, weissem Sandstrand ? Aber sonst? Die teilweise sehr krasse Armut, den starken und gut sichtbaren Kontrast zwischen sehr reich und sehr arm; das hatte ich mir nicht so vorgestellt. Auch nicht die trotz Armut so präsente Fröhlichkeit und Freundlichkeit der meisten Menschen, die extreme Verkaufstüchtigkeit (die sich darin äussert, dass irgend etwas lautstark angeboten wird und selbst wenn man 10x abgelehnt hat, wird man wieder angesprochen, bekommt irgendwas anderes offeriert. Zeit für einen persönlichen Schnack bleibt sowieso irgendwie immer), dieser ungebrochene Wille zu Überleben, egal wie der Tag läuft. Nicht erwartet ist auch die Tatsache, dass wir oft angestaunt werden, von den Kindern, mit grossen Augen und ernsten Gesichtern: was seid ihr denn für welche?. Das ist neu, ungewohnt und fühlt sich manchmal ganz komisch an. “Whitey” oder auch “Joe’s” werden wir gerufen. Was den Käptn aufregt -  wir sind doch keine Amerikaner! Wo ist der Unterschied für die Einheimischen? Weißer ist Weißer und somit automatisch einer aus den USA? Und ebenso automatisch hat dieser Mensch unendlich viel mehr Geld in der Tasche, kann es für teure Taxifahrten oder Ausflüge ausgeben oder kann irgend etwas kaufen, was er eigentlich gar nicht braucht. Jamaica - eine Insel die uns gerade herbstlich erscheint, es aber nicht ist. Im Gegenteil, es geht auf die Trockenzeit zu. Aber noch regnet es immer wieder. Aber in Kingston wird auch schon Wasser gespart, kann man nach 18 Uhr teilweise nur noch duschen, wenn man Wasser in hauseigenen Zisternen bunkert und dann nutzen kann. Erziehungs- und Vorsichtsmassnahmen für die kommende wasserknappe Zeit. Warum die Regierung das bestehende Wasserreservoir grössenmässig nicht an die wachsende Bevölkerungszahl angepasst hat, ist selbst dem einfachen Taxifahrer unverständlich, der uns von Ocho Rios nach Nine Miles bringt. Hier haben sie diese Probleme weniger, weil sie Wasser sammeln. Das sei doch selbstverständlich?.. wie bin ich jetzt von Herbst auf Wasserknappheit gekommen? Egal. Langsam steigt die Sonne über Montego Bay höher. Von allen Seiten strömen die Autos auf die Stadt zu, es hupt und brummt. Gefährliche Ungeheuer bewegen sich dort, brummend, grollend, brüllend, knatternd. Für morgen bitte ich mir schon mal einen Bordtag aus vom Käptn. Aber heute geht es erst einmal on the road, sind wir noch einmal ganz mutig und machen uns auf den Weg nach Negril, mit einem Routetaxi. Dieses Fortbewegungsmittel, die für permanente Adrenalinsteigerung sorgt wenn man erst einmal drin sitzt und das uns immer wieder erstaunlicherweise heil am Bestimmungsort abliefert. Die Schilder am Strassenrand, die davor warnen, dass überhöhte Geschwindigkeit tödlich ist oder die Statistik der Todesopfer auf den Strassen Jamaicas veröffentlichen (jährlich sprunghaft steigend in den letzten Jahren), nehmen wir nur flüchtig zur Kenntnis. Der Mensch ist gut in der Disziplin Verdrängung und Ignorierung. Und dauerhaft haben wir eh keine andere Wahl, sind die Chartertaxis schlichtweg zu teuer für uns.