Im Schutz der Nacht

Die Dunkelheit der Nacht verhüllt, bedeckt, verschleiert, verfremdet, macht uns unsicher, lässt zur Ruhe kommen, in den Schlaf finden. Die Hektik des Tages geht zurück, die meisten Menschen halten sich zu Hause auf, geniessen den Feierabend, das Zusammensein mit Familie und Freunde – normalerweise.

Auf Cartagena (wie auch auf andere Städte) wirkt sich die Dunkelheit eher belebend aus. In den Gassen von Getsemani und dem Centro Historico herrscht noch reges Treiben. Fast alle Geschäfte haben geöffnet, sind hell erleuchtet. Die Bars und Restaurants scheinen sich schlagartig vermehrt zu haben, fallen ins Auge durch ausgefallene Beleuchtung und Dekoration, wirken einladend. Gezielt und gekonnt eingesetzte Beleuchtungsobjekte spielen mit Licht und Schatten auf den rauhen, alten Mauern an denen moderne Kunstwerke hängen. Hohe Räume die doch gemütlich und charmant wirken.

Wir irren durch die doch eigentlich schon vertrauten Gassen der Altstadt. Auf der Suche nach dem deutsch-kolumbianischen Kulturzentrum. Verflixt, das gibt es doch gar nicht, das muss hier doch irgendwo sein. Wir fragen nach, bekommen Richtungen angezeigt – kann eigentlich nicht sein. Und dann – ein letzter Versuch – biegen wir um eine Ecke und sehen das vertraute Ladenschild des Juweliergesch#ftes Shaddai. Nein, wir erahnen es eher. Direkt daneben liegt das Ziel des Abends.

Cinetag ist heute; gezeigt wird ein deutscher Film mit spanischen Untertiteln. Eine gute Gelegenheit, den spanischen Wortschatz etwas zu erweitern, das Gehör gezielt für die doch teils noch recht fremde Sprache zu trainieren. Und ganz nebenbei vielleicht ein paar Leute kennenlernen, die hier in Cartagena leben. Kolumbianer, die deutsch lernen und sprechen möchten oder Deutsche, die schon etabliert sind in Kolumbien, in Cartagena.

Und so lernen wir Ulrich kennen. Aus Emden stammend und hier sein freiwilliges soziales Jahr absolvierend. Was macht man denn in so einem Instituo will ich wissen. Musikveranstaltungen, Sprachkurse – leider findet nur ein Deutschkurs statt), ein Stammtisch, Bücherlesungen mit anschliessender Besprechung, die Kino-Abende – halt alles, was irgendwie mit Kultur und Bildung zu tun hat. Finanziert wird das alles in erster Linie vom Goethe-Institut; wie passend, dass heute der Film Goethe auf dem Plan steht.

Vor uns hin schwitzend sitzen wir mit Ulrich im Hof des Instituts, trinken kaltes Bier und beschliessen, auf eigene Faust zum eigentlichen Kino zu laufen. Das „Ciudad de Movil“ liegt in Getsemani, wie praktisch, dann ist der Heimweg schon mal etwas kürzer. Mit einer simplen Wegbeschreibung tigern wir los, haben noch gut eine Stunde Zeit, gemütlich dorthin zu bummeln. Unterwegs muss aber erst nochmal aufgetankt werden. Uns dürstet gar sehr, wie gut, dass noch viele der kleinen Ecktiendas geöffnet haben. Auf dem Platz vor der Kirche La Trinidad spielen kleine Jungs Fussball. Sorgsam bewacht von 2 Polizisten und diversen privaten Sicherheitsmenschen. Alle Tische der umliegenden Bars und Cafés sind besetzt, wir ergattern nur noch einen Sitzplatz auf einer der Steinb#nke. Kleine fahrbare Stände bieten Getränke und einfache Gerichte an, es duftet gut. Ein junger Mann wird samt Bierdose und frisch angezündeter Zigarette von der Bank neben uns vertrieben. Die Polizei ist freundlich aber bestimmt zu ihm und er räumt die Bank auch ohne Widerworte. Liegt das jetzt an der Zigarette oder am Bier? Es ist das Bier: auf dem Platz de la Trinidad ist Biertrinken nicht erlaubt. Die 3 Bronzemänner, die hier vor der Kirche tagein- tagaus stehen, beeindruckt das alles nicht.

Weiter geht es. In den Gassen stehen Sitzgelegenheiten aller Art vor den Häusern, viele ältere Menschen schaukeln gemütlich vor sich hin, beobachten das Treiben auf der Strasse oder halten einen Schnack mit den Nachbarn. Laute Musik dröhnt aus einigen Häusern,magere Katzen huschen die Mauern entlang und kleine Hunde sitzen hinter denGittern der Hauseingänge. Offene Fenster und Türen (immer mit Gitter davor) gewähren Einblicke in die Wohn- und Einrichtungskultur der Kolumbianer in Cartagena. Eine Frau lässt die Nähmaschine rattern, ein Mann sitzt am Laptop, ein anderer räkelt sich einfach nur auf seiner Couch. An einer Strassenecke werden Lose verkauft und man unterhält sich lautstark über die Gewinnchancen. Fahrradfahrer, Mopeds und ab und zu quetscht sich ein dicker Pickup durch die schmale Strasse. Wo im Hellen die Hitze des Tages vieles lähmt und verdeckt, herrscht jetzt am Abend Leben und Betriebsamkeit.

Leider fällt der Film aus. Wir finden zwar problemlos das/die Ciuadad Movil, werden aber von einer jungen Dame dort informiert, dass der Film auf kommenden Montag verschoben ist. Merkwürdig dass keiner im ja veranstaltenden Instituto davon wusste, wahrscheinlich eine sehr spontane Entscheidung. Macht nix, haben wir einen Grund mehr, wieder am Abend nach Getsemani zu bummeln. Fest steht, sowohl bei Tag als auch bei Nacht ist das Flair dieses Stadtteils einfach toll.