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Wir erleben schon so allerhand hier in Cartagena. Es sind nicht unbedingt grosse Ereignisse sondern eher die kleinen Alltagsbegebenheiten, die eher unspektakulären aber interessanten Veranstaltungen und „Events“. Goethe, den Film – hätte ich mir in Deutschland wahrscheinlich nie angesehen. Hier in Cartagena wird er im Ciudad Movil gezeigt, in deutscher Sprache mit spanischen Untertiteln. Lassen wir uns doch nicht entgehen. Im 2. Anlauf (im wahrsten Sinne des Wortes) werden wir auch nicht enttäuscht, sitzen in einem lauschigen Innenhof der Ciudad Movil unter Palmen und Ficcusbäumen, auf weissen Bänken und Holzstühlen. Freiluftkino vom Feinsten, Moskitobisse hauchfein inbegriffen. Für Getränke und Popcorn ist selbst zu sorgen, bei den vielen kleinen Senora-Emma-Eckläden im Viertel kein Problem.

Eigentlich wollten wir ja auch diesen Filmabend besuchen, um vielleicht im Anschluss noch mit dem ein oder anderen Kinobesucher was zu trinken, ins Gespräch zu kommen, Kontakte zu knüpfen. Fehlanzeige – kaum ist der Film beendet, eilt man auch schon Richtung Ausgang. Schade. Wir schauen uns noch ein bisschen die Räumlichkeiten des Ciudad an: es gibt einen grossen verspiegelten Raum, mit Gummimatten ausgelegt. Hier werden Tanz- und Bewegungskurse abgehalten. Weiter vorn sind einige junge Menschen ganz in die Bildschirme der aufgebauten Laptops vertieft. Es herrscht eine ruhige Atmosphäre und irgendwo hängt ein unsichtbares aber spürbares Schild „bitte nicht stören“. Also verkrümeln wir uns wieder auf die Strasse und staunen, wie ruhig es auch hier geworden ist. Alle Anwohner haben sich von den Gehsteigen in ihre Häuser verzogen, die Türen sind verschlossen, nur noch wenige Fensterläden gewähren Einblick. Ruhig ist es geworden auf den Strassen, nur auf dem Plaza de la Trinidad ist noch etwas Leben. Cartagena, Getsemani am Abend – vertraut und doch neu, anders aber sehenswert.

Live-Musik, Fussballübertragungen im Leonde Bavaria bei Bratwurst, Brezen, Kartoffelsalat, Leberkäs, Schnitzel und natürlich Weissbier im Originalglas oder vielleicht doch lieber eine „Präsentation“ auf einem der kleinen Plätze Mangas? Eine professionelle Bühne samt Laufsteg wird aufgebaut, Plastikstühle drum herum. Um 19 Uhr geht sie los, die Veranstaltung im Rahmen des 9. Festival de las Artes, dessen Veranstaltungen, Präsentationen und Ausstellungen bislang vorwiegend im historischen Zentrum, in den zahlreichen Universitätsgebäuden mal mehr mal weniger öffentlich stattfanden. Heute werden junge Künstler mit Preisen ausgezeichnet und einige Arbeiten werden vorgestellt. Voll durchgestylte Models schwingen die mageren Hüftknochen über den Laufsteg. Barfuss klappt das ganz gut. Nichts, auch kein ausgefallenes Schuhwerk soll von den ausgefallenen Schmuckkreationen ablenken, die die Jungs und Mädels mit sich herum schleppen. Lediglich knallige Lippenstifte sind erlaubt. Blitzende, blinkende Metallkrägen, verziert aber doch insgesamt sehr starr wirkend werden abgelöst von wirren Drahtknäueln in bunten Farben. Eine Dame scheint eine Art Kühltasche vor der Brust zu tragen, wir sind voll geblendet von den Reflektionen des Lichtes darauf. Stak-stak, mehr oder weniger geschmeidig geht es mit kurzen Zwischenposings bis zum Ende des Laufsteges, einmal nach links – Kinn hoch, Schwenk nach rechts, Kind wieder herausfordernd hoch, todernster Blick – schliesslich handelt es sich hier um harte Arbeit – dann geht es wieder zurück und die nächste Dame, der nächste Herr schreitet heran.

So ernst wie die Models gucken, so sehr amüsieren wir uns. Einmal über das Gehabe und natürlich auch über die vorgeführten Objekte. Industriedesign nennt man das wohl und die Künstler ernten schon einiges an Beifall. Einer scheint eine Art Lokalmatador zu sein, der wird richtig bejubelt. Zu schade, dass ich den Fotoapparat zu Hause gelassen habe.

Um den Laufsteg hüpfen und springen die zukünftigen Miss Columbias, angetan mit rosa Tüllröckchen und im zarten Alter der Generation -5, gejagt von einem kleinen Superhelden, der sein blaues Hemd mit dem bekannten rot-gelben Dreieck voller Stolz trägt. Superman scheint in Cartagena sehr beliebt zu sein, die entsprechenden T-Shirts kann man in fast jedem Laden kaufen. Wobei sich mir wieder meine Lieblingsfrage stellt: werden aus kleinen dicken Jungs auch kleine dicke Männer oder vielleicht doch athletische grosse Superhelden?

Zum Abschluss tritt dann noch eine „Big Band“ auf. Geführt von einer resolut-fülligen Dame in weisser Pluderhose und goldig-glänzendem taillierten Jäckchen und gesanglich unterstützt von 5 SängerInnen die wirklich was drauf haben. Aber auch die Instrumenalisten sind nicht ohne. Dazu ein bisschen Feuerwerk, das sehr gemischte Publikum ist begeistert und nicht mehr auf den Plastikstühlen zu halten. Überall schwingt und steppt man im Rhythmus der offenbar sehr bekannten Musiktitel mit. Jung und alt ist vertreten, Kleinkinder schlafen tief und fest auf den Armen ihrer Eltern. Dann ist alles relativ schnell vobei – ein letzter, die Massen mitreissender Hit wird gespielt, noch ein paar warme Worte ans Publikum durch die Dirigentin, ein paar Instrumentensoli, dann ist finito. Ein schönes Erlebnis, nicht spektakulär aber halt mittendrin.