14.05.2016 – von flachen Wassern und tiefen sozialen Unterschieden

Mit der Aries Dream geht es zu Ferroalquimar. Mit an Bord ist ein Mitarbeiter der Werft, als Lotse. 15 Meter Segelboot mit eigenem Lotsen. Feine Sache, denn der Kanal zur Werft ist zwar ausgebaggert und ausreichend tief, aber nicht wirklich klar erkennbar. Tonnen sucht man über eine längere Distanz vergeblich. Und das genau dort, wo es links und rechts auf 1,50 Wassertiefe runter geht! So aber erreicht die Aries Dream wohlbehalten ihr Ziel. Travellift und Mitarbeiter der Werft stehen schon parat, alles ist bereit. Leinen rüber, Kran ranfahren, Gurte absenken. Auch wenn es nicht das eigene Schiff ist, immer wieder spannend. Ein Ferroalquimaner taucht unter, kontrolliert und korrigiert den Sitz der Gurte. Dann geht es aufwärts. Riesig ist der Travellift und hebt – wie man auf dem Werftgelände sehen kann – ganz andere Kaliber wie unsere 18 Tonnen Schiff“chen“.Aufpallen, dampfstrahlen, alles geht mit Ruhe und doch Konzentration vonstatten.

Der Naja-Käptn hilft noch, den Grossbaum auf der Aries abzubauen, dann machen wir uns auf die Flip-Flops. Unser nächstes Ziel heisst Benjamin Herrera, seines Zeichens Segelreparierer und wohnhaft in einer kleinen Seitenstrasse, gegenüber von TCC (das ist eine Express-Transport Company und unübersehbar). Hier bekommt unser Vorsegel einen neuen UV-Schutz verpasst, mit ordentlich Sunbrella in dunkelgrau. Und wir müssen heute ein paar Pesetos abliefern, damit Benjamin das Material ordern kann. Nächste Woche können wir dann das Resultat abholen.

Kaum stehen wir an der vierspurigen Schnellstrase, an der FerroalquimarSA liegt, stoppt ein Pick-Up neben uns, winkt uns zu. Jetzt kennen die uns hier auch schon! Am Steuer sitzt der Lotsenmann und will wissen, wo wir hin wollen. TCC, das sagt ihm was, also rein in die gut gekühlte “Stube”. Bequem werden wir zum Ziel chauffiert.

Benjamin glänzt durch Abwesenheut, aber die Dame des Hauses ist ebenfalls im Bilde und nimmt die Pesetas wohlwollend in Empfang. Und jetzt? Links oder Rechtsrum? Das ist die Gretchenfrage. Überall donnert der Verkehr vierspurig an uns vorbei. Es hupt und dröhnt, langschnauzige Lastwagen halten auf einbiegende Mopedtaxis und PKW’s zu. Nur wer Gas gibt, überlebt hier. Kleine Läden, Panaderias, Ferreterias, Lubricantes, Bars, Restaurantes – entlang der staubigen Gehwege versammeln sich die üblichen Verdächtigen und bieten Autoreifen, Elektronikzubehör etc. an. Wir suchen einen Laden mit dem wohlklingenden Namen „Resinas y Pinturas“. Im Bezirk Torril soll der sein, irgendwo an der Av. Herredia. Die ist lang, staubig und liegt in der prallen Sonne. Das kann uns alles nicht schrecken. In einem Laden mit Vetus-Artikeln und Aussenbordern bekommen wir dann allerdings den Hinweis, dass es sogar mit dem Taxi noch gut 15 Minuten dorthin sein soll. O.k. wir verschieben das spontan. Und was ist mit dem grossen Markt, dem Bazurto?? Der muss doch irgendwo hier sein. Si, ist er. Da kann man gut zu Fuss hingehen meint der nette, gut englische sprechende Senor von der Vetus-Tienda. Aber wir sollen gut aufpassen, das sei keine sichere Gegend. Na, mal sehen. Schon wenige Meter überlegt die ängstlichere, wenn auch trotzdem unverzagte Bordfrau: mit der Tasche über den Bazurto? Da sind 3 Handys, ein Ipad plus Fotoapparat drin, von den Millionen in Bar, die wir mitführen gar nicht zu reden. Also kurzerhand abgebogen und querbeet den kürzesten Weg zurück nach Manga gesucht.

Der führt uns dann doch noch am Bazurto vorbei. Links von uns liegt die kleine Insel Manzanillo. Kleine Fischerboote liegen am Ufer. Rechts geht es weitgehend trostlos und ziemlich schmutzig zu. Hier ist eindeutig die nicht so schöne Seite Cartagenas zu besichtigen. Und ob sich Touristen hierher verirren – sehr zweifelhaft. Wie ein Trost leuchtet es von unzähligen Holzkarren strahlendgelb-orange zu uns her. Mangos in Hülle und Fülle, bestechend, verlockend in Form und Farbe. Allein der Duft bleibt hier auf der Strecke. Gegen die Abgase und den Gestank des Mülls, gegen die Gerüche des Bazurtos jetzt am frühen Nachmittag – dagegen kann kein Obst der Welt „anstinken“. Ausgerechnet die Fisch- und wahrscheinlich auch Fleischmeile müssen wir passieren. Und auch wenn viele der Stände schon leer geräumt sind, ist es kaum noch auszuhalten. Ein Wechsel der Strassenseite wäre vielleicht günstig, aber verkehrstechnisch schwierig. Neben uns werden Fische angepriesen, über deren Frische wir lieber nicht nachdenken. Einige Händler werfen immerhin noch Eis auf die Ware. Ob die tiefen Einschnitte in den glitschigen Fischleibern verkaufsfördernd sein sollen oder als Indiz für die Frische gelten? Ein klein wenig erinnert uns das alles an den grossen Markt in Salvador do Bahia. Man muss es wohl mal gesehen, aber auch gerochen haben. Aber ein zweites, drittes Mal? Vielleicht dann doch eher nicht. Oder nur ganz früh am Morgen.

Der Marktbereich endet. Einige Fischläden punkten mit richtigen Kühltheken. Dann kommen kleine Seitenstrassen mit ebenso kleinen Häusern. Hier wohnen keine reichen Leute mehr. Und gegenüber, direkt am Ufer, da haben es sich die ganz Armen bequem gemacht. Die Kleidung hängt am halb herunter gerissenen Maschendrahtzaun oder auf dürren Baumstümpfen, geschlafen wird auf und unter Pappkartons oder zerschlissenen Matratzen die wahrscheinlich schon 2-4 weg geworfen wurden. Müll wird sortiert, Plastikflaschen wandern in grosse Bigpacks, bringen wahrscheinlich ein paar Pesetas. Niemand bettelt uns an, behelligt uns sonstwie. Fotos verkneife ich mir trotzdem. Ein paar Blumenkübel gruppieren sich trotzig um eine Art Zeltpavillon. Da hat wohl jemand versucht, in dieser Einöde ein Stück Oase zu schaffen. Eine alte Frau sitzt unterm Sonnenschirm ihres mobilen Verkaufsstandes, wartet auf Kundschaft wie unzählige andere kleine Tandler auch. Und dann stehen wir – der Käptn hatte es sich schon gedacht – ganz unvermutet vor der grossen Shopping-Mall, Caribe Plaza. Hier der prächtige Konsumpalast mit seinen Marken-Läden, mit dem grossen Baumarkt, dem Jumbo-Supermarkt, den vielen kleinen Fresstempeln – austauschbar, in allen Ländern irgendwie gleich und uniform. Und nur wenige Meter weiter lebt die Armut. Keine offensichtliche, tiefe Kluft dazwischen, kein Warn- oder Hinweisschild „Achtung, sie verlassen jetzt den sicheren Bereich“. Ein, zwei Schritte weiter, egal in welche Richtung, und man ist in einer anderen Welt.

Wir flüchten zwecks cool-down in diese Luxuswelt, gönnen uns eine Limonada Arabe, mit herrlichem Zitronen- und minimalem Kräutergeschmack, erfrischend. Um uns herum dröhnt es, fast alle Tische der umliegenden Imbissläden sind besetzt, Mittagszeit für die shoppenden Kolumbianer. Musik, Telefongespräche werden geführt, alles ist laut, zu laut für uns. Wir flüchten und tauchen ein in die ruhigeren Seitenstrassen des Bezirks Manga. Vertrautes Terrain. Gepflegt, aber nicht zu gepflegt. Mit kleinen Villen und Häusern, kleinen Wohnanlagen im gehobenen Reihenhausstil. Auch hier gibt es die kleinen Eckläden, die neben Besen auch Backwaren, Getränke, ein bisschen was von allem anbieten. Mittendrin erheben sich die kleineren Hochhaustürme. Ob hier früher auch mal solch nette, kleine Wohnhäuser standen? Ein Werbeplakat für so einen Wohnturm am Zaun einer schönen, alten aber offensichtlich unbewohnten Villa lässt Übles ahnen. Die werden doch wohl nicht??? Sollen doch erstmal die anderen Klötze fertigbauen und all die Appartementos an den Senor oder die Senora bringen. In der Verkaufsbroschüre eines Immobilienmaklers werden diese Wohnungen nämlich en masse zum Kauf angeboten.

Noch der obligatorische Boxenstopp im Carulla Supermarkt. Samstag ist Prozentetag für Fleischwaren und ausländisches Bier. Mit der Carulla-Spezialkundenkarte (die auch wir See-Gringos problemlos ausgestellt bekommen) gibt es an der Kasse ordentlich Rabatz, hier descuento genannt, zwischen 15 und 25%. Da spart man doch gerne ein paar Pesos, die wir dann ein paar Meter weiter einem alten Mann in zurückhaltend kleinen Plastikbecher legen. Der sitzt im Schatten auf dem Gehweg, seine beiden Krücken neben sich gelehnt. Dürr ist er, zahnlos dazu und das rechte Bein ist auch nur noch halb vorhanden. Gibt es ein Sozialsystem in Kolumbien? Wer sorgt für solche Menschen, beziehen sie eine Rente, wo und wie können sie davon leben? Und nur einen Steinwurf entfernt sitzen gut gekleidete Kolumbianer sorglos auf einem der zahllosen Motorboote und lassen sich zur aktuellen Ufftata-Stampf-Musik durch die Bucht fahren. Sundowner-Zeit in Cartagena. Für manche geht die Sonne eben ein bisschen schöner, bunter und sorgloser unter. Wenigstens erfrieren die Menschen hier nicht in der Nacht.