Monats-Archiv Mai, 2016

Sonn-Tag

Sonn-Tag

Und am 7. Tage sollst Du ruhen. Wir ruhen, weitgehend. Und erzwungenermassen. Denn ab 10 Uhr sind wir nicht mehr in der Lage, irgend etwas zu arbeiten. „Ist das heute noch wärmer oder täuscht das?“ – der Skipper täuscht sich nicht, sein Kreislauf rebelliert und fordert eine Zwangspause. Immerhin schaffen wir es, das gestern in der Tapizeria German Perrera abgeholte Sonnensegel zu montieren und die ebenfalls brandneuen, in stylisch dunkelrot gehaltenen Polster für unsere Outdoor-Sitzecke in Betrieb zu nehmen. Wow, nach 4 Jahren unterwegs und insgesamt 11 Jahren Boot im Wasser ( oder sollte ich besser sagen: Wasser im Boot) herrscht in unserer Plicht Luxus pur! Wir lümmeln uns auf 10cm dickem Schaumstoff, ummantelt von besagtem rotem Stoff, mit Rückenlehnen und einem Polster für die hintere Querbank. Das wird mein Sundowner-Stammplatz, hier fächelt mir die leichte Abendbrise eine Abkühlung ins Gesicht, von hier kann ich Schiff und Umgebung überblicken.

Hinter den Hochhäusern und Shoppingmalls von Boccagrande versinkt die Sonne im Meer, zaubert eine Mischung aus blau-grau und rosa-orangefarbenen Tönen auf alles. Die Fahrrinnenbojen blinken abwechselnd grün und rot, drüben auf dem Marinestützpunkt ist ein mobiler Kran vorgefahren. An der Mole liegt ein kolumbianischer Dreimaster, wedelt mit einer überdimensionalen Nationalen am Heck und gibt später noch einmal alles an Decks- und Mastbeleuchtung.

„Moin-moin“ und „die kommen aus Bremerhaven“ – wieder einmal rauscht eine schnittig-sportliche Segelyacht heran, prescht auf Armlänge an unserem Heck vorbei. Alle Gesichter sind uns zu gewandt, keiner der offenbar deutschstämmigen Herren an Bord der Yacht hat noch Augen für den Kurs. Wir moinen zurück, dann ist die Yacht auch schon irgendwo Richtung Muelle Touristico verschwunden. Wer das wohl war? Leben die hier, sind die zu Besuch? Würde uns ja schon interessieren, näheres zu erfahren, wer hier dem sonntäglichen Segel-Luxus frönt.

Ein Sonn-Tag geht zu Ende, ein fauler Tag. Auf vielen der uns bekannten Yachten sind die Dinghis heute nicht zu Wasser gelassen worden, Gammeltag, irgendwie, jedenfalls kein Landgangtag. Oder kauen wir alle noch an den Nachwirkungen des gestrigen Nachmittags? Den haben wir kollektiv im „Leon de Bavaria“, dem „Bayrischen Löwen“ verbracht. Mit Grossbildleinwand, Liveübertragung des Fussballspiels Bayern München-BVB Dortmund. Auch wenn die BVB-Fans zahlenmässig gar nicht mal so gering waren, es hat nix genutzt, die Bayern haben wieder einmal gewonnen. Und wir haben ein Stück deutscher Kultur in Cartagena, in Kolumbien entdeckt.Mit Gulasch & Spätzle, mit Bratwurst, Frikadellen & Kartoffelsalat, mit Brezen und natürlich Paulaner Weissbier. Der Wirt ist sympathisch, lebt und kneipiert seit 15 Jahren in Cartagena. Offenbar mit Erfolg. Multikulti heisst es hier, denn nicht nur die Deutschen finden den Weg in den Löwen (Immer hin haben sich inzwischen 8 deutsche Yachten bzw. deutschstämmige Bootscrews in Cartagena versammelt). Wozu wahrscheinlich auch die Live-Musik beiträgt. Rockmusik, Jazz, Jam-Sessions und der Chef frönt dem Schafkopfen. Urig ist er, der bayrische Löwe in Cartagena und wir werden sicherlich noch des öfteren den Weg hierher finden.

Das Wochenende geht zu Ende, die Ausflugsboote kehren heim. Eines davon fährt zu den Islas Rosarias. Ein Name, der in mir Trauer und immer noch Fassungslosigkeit herauf beschwört. Trauer um eine Seglerin, die hier ihre Reise beendet hat, für immer. Die auf ihrer Yacht ums Leben kam. Fröhlichkeit, Lebensfreude und Tod – so nah beinander. Die Unglücksyacht liegt unweit unseres Ankerplatzes, in einer kleinen Marina nahe des Muelle Touristico. Wartet darauf nun endlich – nach einem ¾ Jahr – von zwei Holländern übernommen zu werden, die sie nach Curacao überführen wollen. Ob der Eigner und Ehemann der Ermordeten dann wieder übernimmt oder ob sie verkauft wird? Egal was wird, es ist das Ende einer Reise, die vor einigen Jahren begann und eine ähnliche Kurslinie aufwies wie die unsrige. Der Tod begleitet uns, irgendwie, auch wenn er uns nicht wirklich berührt, Gottseidank. Aber er ist präsent. Ob es ein Segler ist, der auf St. Lucia umgebracht wird oder ein Däne, der sich auf Cuba, in Cienfuegos das Leben nimmt und erst einige Tage später an Bord seines Bootes leblos aufgefunden wird. Es sind Schicksale, die uns berühren, die wir gestreift haben. Menschen, die wir kurz kennengelernt haben oder von denen wir auch „nur“ gelesen/gehört haben. Es erinnert uns daran, dass wir nicht auf einem anderen Stern leben, dass die Welt sich auch hier ganz normal bewegt und weiterdreht, dass Dinge passieren, die nicht schön sind, die uns traurig und nachdenklich machen.

Aber daran werden wir ja auch erinnert, wenn wir an stinkenden Abfallhaufen vorbei laufen oder an abgemagerten Gestalten, deren Schlafplatz unter irgendwelchen Bäumen kleinerer Parks liegt. Die kaum Kleidung am Leib haben und deren „Bett“ aus Gras, Pappe oder im besten Fall aus einer verschimmelten, längst weg geworfenen Matratze besteht. Wie privilegiert leben wir dagegen, wie gut geht es uns. Nicht nur hier in Kolumbien.

Boccagrande 20.05.2016

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„Waaaas, ihr wollt nach Boccagrande laufen, von hier aus? Nicht euer Ernst, ich kann euch doch mit dem Dinghi rüber fahren, dann könnt ihr den Bus zurück nehmen“ – Jonas hängt über der Reling der Little Wing und erklärt uns offenbar gerade für völlig verrückt. Wir haben ihn nach einer Adresse in Boccagrande gefragt, wo man Solarpaneele bekommen kann.

Nein, an gefassten Plänen halten wir (manchmal) doch fest und so tappern wir kurze Zeit später mit einer für uns noch etwas vagen Lagebeschreibung im Ohr erst Richtung Getsemani. Auf dem kürzesten Weg geht es durch dieses schöne alte Arbeiterviertel. Auch die Muelle Pegasus wird mehr oder weniger mit Missachtung gestraft. Dann betreten wir mit dem Muelle Touristico Neuland. Die Kirchtürme der Altstadt lugen vorwitzig über die Stadtmauer und bieten eine neue Perspektive. Auch hier sind die Strohhutverkäufer auf der Suche nach Kundschaft. Die Ausflugsschiffe bereiten ihre Abendtouren vor, Planen werden gespannt, 3 Sänger üben die Choreographie ihres Auftrittes ein. Am Abend wird der Nachbau eines historischen Frachtseglers bunt beleuchtet im Schritttempo durch die Bucht tuckern, die Fracht besteht dann aus zahlenden Gästen, die Cartagena bei Nacht vom Wasser aus erleben wollen, Karaoke inclusive.

Vorbei an den zahlreichen Kassenhäuschen der diversen Tourveranstalter und den Anlegestellen der Taxiboote kommen wir zum Marinehospital und dann zum Marinestützpunkt. Vom Wasser sieht man hier eher nix, die weitläufige Anlage nimmt den Blick, da haben wir von unserem Ankerplatz aus definitiv die bessere Perspektive. Dann tauchen wir ein in die Hochhauslandschaft Boccagrandes. Hotels, Appartmenthäuser, Supermärkte, kleinere Läden, Shoppingmalls und eine extrem stark befahrene Strasse. Die dann beginnende Uferpromenade steckt noch in den Kinderschuhen, wird gerade erst angelegt oder überarbeitet. Wie auch immer, sie ist extrem kahl und gibt freien Blick über die Bucht. Wo liegen wir? Leichte Orientierungsschwierigkeiten werden schnell überwunden, dann haben wir auch unser Böötchen im Blick.

Wo müssen wir hin? Calle 6 – die finden wir relativ gut, die Strassenschilder sind eindeutig und durchnummiert, wir zählen abwärts. In einem kleineren Hochhaus im 4. Oder 5. Stock soll die gesuchte Firma zu finden sein. Es handelt sich um ein Ingenieurbüro, kein Ladengeschäft mit Schaufenster oder grossem Hinweisschild. Dieses Wissen nützt uns irgendwie aber auch nix, denn in Calle 6 steht kein passendes Gebäude. Hier ducken sich noch viele niedrige Häuser zwischen einen grossen Carulla und einen Olmpica Supermarkt. Beide 24H geöffnet. Mutig fragen wir uns durch – niemand kennt die betreffende Firma. In einem Farbenladen haben wir die ungeteilte Aufmerksamkeit der anwesenden Kundschaft und sämtlicher Verkäufer, alle rätseln und überlegen, ob sie vielleicht wissen, wo die Firma ihren Sitz haben könnte. Der Senor hinter der Theke fackelt nicht lange und zieht das www zu Rate, wird auch binnen weniger Sekunden fündig und weist ebenso strahlend wie entschlossen und zielstrebig auf das gegenüberliegende Gebäude. Beim Wachmann sollen wir fragen, in welchem Büro genau die Firma ist. Gesagt-getan. Die Wachfrau nennt uns die Stockwerk- und Büronummer und öffnet einen Durchgang für uns. Mit dem Aufzug geht es in den 4. Stock und kurz darauf stehen wir ganz offensichtlich in den Räumen einer Solaranlagen-Firma. Fotos von grossen Solarfeldern an den Wänden, ein Musterboard mit Invertern und Reglern. Mehrere nette junge Damen und ein Herr bemühen sich um uns, aktivieren Übersetzungsprogramme, telefonieren einem ausserhäusigen Verkäufer hinterher und zeigen uns ein Musterpanel. Das kann angeblich auch mit 24Volt arbeiten, der Käptn staunt noch etwas ungläubig und beschliesst sicherheitshalber, eine Angebotsanfrage nochmal per Email zu schicken.

Unsere Motivation, den Rest Boccagrandes ebenfalls noch zu erkunden ist gen Null gesunken. So viele Hochhäuser, das halten wir dann doch nur begrenzt aus. Auf der Atlantik- und somit Strandseite geht es zurück. Den schmalen Schattenstreifen unter den Bäumen und Sträuchern haben zahlreiche Verkaufsbuden und Strandbars okkupiert, für die Badegäste stehen aber reichlich Sonnenpavillons und Plastikstühle im gräulich-braunen Sandstrand. Der wirkt irgendwie künstlich-aufgeschoben und gibt sich viel Mühe, sich auch noch über den Gehweg auszubreiten. Gebaut wird hier noch ohne Ende, Nobel-Hotels, Appartmenthäuser – bunte Plakate mühen sich, potentielle Käufer zu überzeugen. Kaum vorstellbar, dass das alles mal verkauft bzw. bewohnt sein soll. Zwischen Bebauung und Strand donnern zweispurig unzählige Nobelkarossen, die unvermeidlichen Taxis und die quitschenden Busse vorüber, alle haben es furchtbar eilig. Als Fussgänger muss man hier flott sein oder einen guten Schutzengel haben. Vereinzelt ducken sich normale zweigeschossige Wohnhäuser zwischen die Giganten. Eines ist zum Schutz vor der benachbarten Grossbaustelle komplett mit Wellblech überdacht, ein Schild hängt dran „zu vermieten“. Wer bitte, will hier einziehen….. vielleicht der Baustellenleiter?

Auch wenn es interessant war, einen neuen Stadtteil kennengelernt und die Perspektive einmal vertauscht zu haben – wir sind froh, als wir wieder in die schmalen Gassen Getsemanis einbiegen, mit ihren vielen kleinen Handwerksläden wie Schneider, Schuster, Druckerei; den Bars, Restaurants, Hostals, den mobilen Verkaufsständen, dem quierligen Leben zwischen den vergleichsweise kleinen und vor allem niedrigen Häusern die sich dicht aneinander kuscheln. Beim Schuster holen wir Werners Sandalen ab. Schon irgendwie erstaunlich, dass der Meister in dem Wirrwarr seiner Werkstatt das richtige Paar Schuhe findet. Über Auftragsmangel kann der Senor jedenfalls nicht klagen. Der Käptn strahlt und tauscht umgehend die blasenverursachenden Croqs gegen die frisch reparierten Sandalen aus. Schnell noch ein Erinnerungsfoto und dann zur Feier des Tages ins Cafe de la Trinidad am gleichnamigen Plaza.

Jetzt am Spätnachmittag ist das Café fast leer und wir finden sogar einen Aussen-Platz auf den ungemütlich-kleinen Metallsesselchen, die sich neben einen ebenso ungemütlich wirkenden runden Glastisch quetschen. Das Innere des Cafés wirkt auch nicht besonders einladend. Was essen? Hier kostet ein Null-Acht-15 Salat schon so viel wie im Espirituo Sancto das komplette (und wirklich reichhaltige Menü) – ich verzichte. Dazu gesellt sich eine absolut unfreundliche aber dafür irgendwie hektische Bedienung, die unserer Tischnachbarin den Teller schon wegziehen will, obwohl diese noch gar nicht mit essen fertig ist. Dreist. Warum genau wollten wir nochmal unbedingt hierher, hatte das irgendwer empfohlen-gelobt oder sich sonstwie positiv darüber geäussert???? Na, haben wir das also auch mal gehabt, unsere bisherigen gastronomischen Erfahrungen waren ja eigentlich durchweg positiv, da kann uns ein solches Erlebnis nicht wirklich beeindrucken. Wir geben jedenfalls der jungen Dame aus England am Nachbartisch noch schnell ein paar Restauranttipps die sie auch freudig annimmt. Geschmeckt hat es ihr wohl auch nicht so recht, der Hunger treibts halt rein.

Allein ist das Mädel unterwegs, war schon in anderen südamerikanischen Ländern, dann in Bogota und Medellin. Jetzt ist Cartagena dran. Gestern ist sie angekommen, spricht kein Spanisch und hat aufmerksam unseren Kauderwelsch-Unterhaltungsversuch mit Santiago verfolgt. Der jongliert mit Macheten, ist ein Strassenartist und in ständiger Begleitung seines struppigen Hundes. Wir kennen ihn vom Club Nautico und mögen den barfüssigen Kolumbianer mit seinem Lockenkopf und den Zahnbrackets im Dauergrinsen irgendwie. Er habe das Boot auf dem er lebt geschenkt bekommen, von einer Senora, die jetzt auf den Azoren sei. Aha, grosszügige Senoras gibt es. Oder ist der Kahn so marode, dass sie froh war, ihn los zu sein. Unter holländischer Flagge ist das Boot registriert und alle Bedienungsanleitungen seien entweder auf niederländisch, deutsch oder englisch. Das stellt Santiago wiederum vor ein Problem, da er keine dieser Sprachen wirklich beherrscht. Was aber wahrscheinlich nicht wirklich ein Problem darstellt für diesen Lebenskünstler.

Nachts sind alle Katzen grau und Cartagena ist wunderschön

Im Schutz der Nacht

Die Dunkelheit der Nacht verhüllt, bedeckt, verschleiert, verfremdet, macht uns unsicher, lässt zur Ruhe kommen, in den Schlaf finden. Die Hektik des Tages geht zurück, die meisten Menschen halten sich zu Hause auf, geniessen den Feierabend, das Zusammensein mit Familie und Freunde – normalerweise.

Auf Cartagena (wie auch auf andere Städte) wirkt sich die Dunkelheit eher belebend aus. In den Gassen von Getsemani und dem Centro Historico herrscht noch reges Treiben. Fast alle Geschäfte haben geöffnet, sind hell erleuchtet. Die Bars und Restaurants scheinen sich schlagartig vermehrt zu haben, fallen ins Auge durch ausgefallene Beleuchtung und Dekoration, wirken einladend. Gezielt und gekonnt eingesetzte Beleuchtungsobjekte spielen mit Licht und Schatten auf den rauhen, alten Mauern an denen moderne Kunstwerke hängen. Hohe Räume die doch gemütlich und charmant wirken.

Wir irren durch die doch eigentlich schon vertrauten Gassen der Altstadt. Auf der Suche nach dem deutsch-kolumbianischen Kulturzentrum. Verflixt, das gibt es doch gar nicht, das muss hier doch irgendwo sein. Wir fragen nach, bekommen Richtungen angezeigt – kann eigentlich nicht sein. Und dann – ein letzter Versuch – biegen wir um eine Ecke und sehen das vertraute Ladenschild des Juweliergesch#ftes Shaddai. Nein, wir erahnen es eher. Direkt daneben liegt das Ziel des Abends.

Cinetag ist heute; gezeigt wird ein deutscher Film mit spanischen Untertiteln. Eine gute Gelegenheit, den spanischen Wortschatz etwas zu erweitern, das Gehör gezielt für die doch teils noch recht fremde Sprache zu trainieren. Und ganz nebenbei vielleicht ein paar Leute kennenlernen, die hier in Cartagena leben. Kolumbianer, die deutsch lernen und sprechen möchten oder Deutsche, die schon etabliert sind in Kolumbien, in Cartagena.

Und so lernen wir Ulrich kennen. Aus Emden stammend und hier sein freiwilliges soziales Jahr absolvierend. Was macht man denn in so einem Instituo will ich wissen. Musikveranstaltungen, Sprachkurse – leider findet nur ein Deutschkurs statt), ein Stammtisch, Bücherlesungen mit anschliessender Besprechung, die Kino-Abende – halt alles, was irgendwie mit Kultur und Bildung zu tun hat. Finanziert wird das alles in erster Linie vom Goethe-Institut; wie passend, dass heute der Film Goethe auf dem Plan steht.

Vor uns hin schwitzend sitzen wir mit Ulrich im Hof des Instituts, trinken kaltes Bier und beschliessen, auf eigene Faust zum eigentlichen Kino zu laufen. Das „Ciudad de Movil“ liegt in Getsemani, wie praktisch, dann ist der Heimweg schon mal etwas kürzer. Mit einer simplen Wegbeschreibung tigern wir los, haben noch gut eine Stunde Zeit, gemütlich dorthin zu bummeln. Unterwegs muss aber erst nochmal aufgetankt werden. Uns dürstet gar sehr, wie gut, dass noch viele der kleinen Ecktiendas geöffnet haben. Auf dem Platz vor der Kirche La Trinidad spielen kleine Jungs Fussball. Sorgsam bewacht von 2 Polizisten und diversen privaten Sicherheitsmenschen. Alle Tische der umliegenden Bars und Cafés sind besetzt, wir ergattern nur noch einen Sitzplatz auf einer der Steinb#nke. Kleine fahrbare Stände bieten Getränke und einfache Gerichte an, es duftet gut. Ein junger Mann wird samt Bierdose und frisch angezündeter Zigarette von der Bank neben uns vertrieben. Die Polizei ist freundlich aber bestimmt zu ihm und er räumt die Bank auch ohne Widerworte. Liegt das jetzt an der Zigarette oder am Bier? Es ist das Bier: auf dem Platz de la Trinidad ist Biertrinken nicht erlaubt. Die 3 Bronzemänner, die hier vor der Kirche tagein- tagaus stehen, beeindruckt das alles nicht.

Weiter geht es. In den Gassen stehen Sitzgelegenheiten aller Art vor den Häusern, viele ältere Menschen schaukeln gemütlich vor sich hin, beobachten das Treiben auf der Strasse oder halten einen Schnack mit den Nachbarn. Laute Musik dröhnt aus einigen Häusern,magere Katzen huschen die Mauern entlang und kleine Hunde sitzen hinter denGittern der Hauseingänge. Offene Fenster und Türen (immer mit Gitter davor) gewähren Einblicke in die Wohn- und Einrichtungskultur der Kolumbianer in Cartagena. Eine Frau lässt die Nähmaschine rattern, ein Mann sitzt am Laptop, ein anderer räkelt sich einfach nur auf seiner Couch. An einer Strassenecke werden Lose verkauft und man unterhält sich lautstark über die Gewinnchancen. Fahrradfahrer, Mopeds und ab und zu quetscht sich ein dicker Pickup durch die schmale Strasse. Wo im Hellen die Hitze des Tages vieles lähmt und verdeckt, herrscht jetzt am Abend Leben und Betriebsamkeit.

Leider fällt der Film aus. Wir finden zwar problemlos das/die Ciuadad Movil, werden aber von einer jungen Dame dort informiert, dass der Film auf kommenden Montag verschoben ist. Merkwürdig dass keiner im ja veranstaltenden Instituto davon wusste, wahrscheinlich eine sehr spontane Entscheidung. Macht nix, haben wir einen Grund mehr, wieder am Abend nach Getsemani zu bummeln. Fest steht, sowohl bei Tag als auch bei Nacht ist das Flair dieses Stadtteils einfach toll.

Wendemarke naja

Knatter-rausch-flatter. Winschen wirbeln, Schoten fliegen, Segel knattern,  Musik dröhnt zu uns herüber, laute Rufe erschallen. Auf Deutsch würde es jetzt heissen: „klar zur Wende ….. REEEEE(H)“. Winschen klackern, Schoten werden losgeworfen und wieder dicht geholt, Segel gehen über. Wendemarke naja. Beeindruckend dicht gehen die Teilnehmer der samstäglichen Club-Regatta wahlweise an unserem Heck oder – besonders bevorzugt – vor unserem Bug durch. Eine Herrencrew bewundert die Bordfrau in ihrem schwarzen Sport-BH, ruft fröhlich ein Buenas Noches herüber, lacht sich was und bedauert wahrscheinlich, dass es keinen Grund zu einer weiteren Wende gibt. Die weiteren Kommentar an Bord des sportlichen Segelbootes verstehen wir leider (oder vielleicht glücklicherweise) mangels Sprachkenntnisse und zunehmnder Distanz dann nicht mehr.

Äusserlich ganz cool, innerlich jedoch schon leicht angespannt, beobachten wir die teils doch sehr rasanten Segelmanöver. Bewundern die Eleganz und das modische Styling der jeweiligen Crews, das eingespielte Handling von Schoten und Segeln. Werden ganz klein und ehrfürchtig. Sind wir doch „nur“ langweilige Fahrtensegler. Die lieber etwas mehr Abstand halten zu anderen Booten und ungern jemand so dicht am Bug vorbei fahren. Schon gar nicht unter Segeln. Ob ich vielleicht doch ein Schild raushänge: „in case you have a good insurance, you can come close to us“? Unsere gelbe Segelpersenning - obwohl teils durchs Sonnensegel verdeckt - scheint ein Anziehungspunkt zu sein.

Andere Teilnehmer haben die Segel schon gestrichen, streben unter Maschine ihrem Liegeplatz im Club Nautico zu. Und wir hatten uns schon über die vielen freien Plätze an den Stegen gewundert.

Dafür kreuzen jetzt die Sundowner-Motorboote um uns herum, lassen uns auf und nieder, hin und her schaukeln. Der Wind schläft ein, der Ankernachbar lässt die Kette rasseln – aufwärts. Die Boote drehen sich wieder einmal schwer vorhersehbar, da kommt man sich schnell mal zu nah. Jetzt, in der Dunkelheit, einen neuen Ankerplatz suchen finden wir persönlich ja nicht so prickelnd. Aber wat mut, dat mut. Und uns betrifft es ja dieses Mal nicht. Trotzdem beäugen wir noch einmal kritisch unsere aktuelle Lage – hat sich was verändert? Nein, sieht alles noch gut aus. Wir haben ja nun auch oft genug umgeankert. Und das, obwohl unser Anker immer bombenfest im Schlick sass.

Von flachen Wassern und tiefen Kluften

14.05.2016 – von flachen Wassern und tiefen sozialen Unterschieden

Mit der Aries Dream geht es zu Ferroalquimar. Mit an Bord ist ein Mitarbeiter der Werft, als Lotse. 15 Meter Segelboot mit eigenem Lotsen. Feine Sache, denn der Kanal zur Werft ist zwar ausgebaggert und ausreichend tief, aber nicht wirklich klar erkennbar. Tonnen sucht man über eine längere Distanz vergeblich. Und das genau dort, wo es links und rechts auf 1,50 Wassertiefe runter geht! So aber erreicht die Aries Dream wohlbehalten ihr Ziel. Travellift und Mitarbeiter der Werft stehen schon parat, alles ist bereit. Leinen rüber, Kran ranfahren, Gurte absenken. Auch wenn es nicht das eigene Schiff ist, immer wieder spannend. Ein Ferroalquimaner taucht unter, kontrolliert und korrigiert den Sitz der Gurte. Dann geht es aufwärts. Riesig ist der Travellift und hebt – wie man auf dem Werftgelände sehen kann – ganz andere Kaliber wie unsere 18 Tonnen Schiff“chen“.Aufpallen, dampfstrahlen, alles geht mit Ruhe und doch Konzentration vonstatten.

Der Naja-Käptn hilft noch, den Grossbaum auf der Aries abzubauen, dann machen wir uns auf die Flip-Flops. Unser nächstes Ziel heisst Benjamin Herrera, seines Zeichens Segelreparierer und wohnhaft in einer kleinen Seitenstrasse, gegenüber von TCC (das ist eine Express-Transport Company und unübersehbar). Hier bekommt unser Vorsegel einen neuen UV-Schutz verpasst, mit ordentlich Sunbrella in dunkelgrau. Und wir müssen heute ein paar Pesetos abliefern, damit Benjamin das Material ordern kann. Nächste Woche können wir dann das Resultat abholen.

Kaum stehen wir an der vierspurigen Schnellstrase, an der FerroalquimarSA liegt, stoppt ein Pick-Up neben uns, winkt uns zu. Jetzt kennen die uns hier auch schon! Am Steuer sitzt der Lotsenmann und will wissen, wo wir hin wollen. TCC, das sagt ihm was, also rein in die gut gekühlte “Stube”. Bequem werden wir zum Ziel chauffiert.

Benjamin glänzt durch Abwesenheut, aber die Dame des Hauses ist ebenfalls im Bilde und nimmt die Pesetas wohlwollend in Empfang. Und jetzt? Links oder Rechtsrum? Das ist die Gretchenfrage. Überall donnert der Verkehr vierspurig an uns vorbei. Es hupt und dröhnt, langschnauzige Lastwagen halten auf einbiegende Mopedtaxis und PKW’s zu. Nur wer Gas gibt, überlebt hier. Kleine Läden, Panaderias, Ferreterias, Lubricantes, Bars, Restaurantes – entlang der staubigen Gehwege versammeln sich die üblichen Verdächtigen und bieten Autoreifen, Elektronikzubehör etc. an. Wir suchen einen Laden mit dem wohlklingenden Namen „Resinas y Pinturas“. Im Bezirk Torril soll der sein, irgendwo an der Av. Herredia. Die ist lang, staubig und liegt in der prallen Sonne. Das kann uns alles nicht schrecken. In einem Laden mit Vetus-Artikeln und Aussenbordern bekommen wir dann allerdings den Hinweis, dass es sogar mit dem Taxi noch gut 15 Minuten dorthin sein soll. O.k. wir verschieben das spontan. Und was ist mit dem grossen Markt, dem Bazurto?? Der muss doch irgendwo hier sein. Si, ist er. Da kann man gut zu Fuss hingehen meint der nette, gut englische sprechende Senor von der Vetus-Tienda. Aber wir sollen gut aufpassen, das sei keine sichere Gegend. Na, mal sehen. Schon wenige Meter überlegt die ängstlichere, wenn auch trotzdem unverzagte Bordfrau: mit der Tasche über den Bazurto? Da sind 3 Handys, ein Ipad plus Fotoapparat drin, von den Millionen in Bar, die wir mitführen gar nicht zu reden. Also kurzerhand abgebogen und querbeet den kürzesten Weg zurück nach Manga gesucht.

Der führt uns dann doch noch am Bazurto vorbei. Links von uns liegt die kleine Insel Manzanillo. Kleine Fischerboote liegen am Ufer. Rechts geht es weitgehend trostlos und ziemlich schmutzig zu. Hier ist eindeutig die nicht so schöne Seite Cartagenas zu besichtigen. Und ob sich Touristen hierher verirren – sehr zweifelhaft. Wie ein Trost leuchtet es von unzähligen Holzkarren strahlendgelb-orange zu uns her. Mangos in Hülle und Fülle, bestechend, verlockend in Form und Farbe. Allein der Duft bleibt hier auf der Strecke. Gegen die Abgase und den Gestank des Mülls, gegen die Gerüche des Bazurtos jetzt am frühen Nachmittag – dagegen kann kein Obst der Welt „anstinken“. Ausgerechnet die Fisch- und wahrscheinlich auch Fleischmeile müssen wir passieren. Und auch wenn viele der Stände schon leer geräumt sind, ist es kaum noch auszuhalten. Ein Wechsel der Strassenseite wäre vielleicht günstig, aber verkehrstechnisch schwierig. Neben uns werden Fische angepriesen, über deren Frische wir lieber nicht nachdenken. Einige Händler werfen immerhin noch Eis auf die Ware. Ob die tiefen Einschnitte in den glitschigen Fischleibern verkaufsfördernd sein sollen oder als Indiz für die Frische gelten? Ein klein wenig erinnert uns das alles an den grossen Markt in Salvador do Bahia. Man muss es wohl mal gesehen, aber auch gerochen haben. Aber ein zweites, drittes Mal? Vielleicht dann doch eher nicht. Oder nur ganz früh am Morgen.

Der Marktbereich endet. Einige Fischläden punkten mit richtigen Kühltheken. Dann kommen kleine Seitenstrassen mit ebenso kleinen Häusern. Hier wohnen keine reichen Leute mehr. Und gegenüber, direkt am Ufer, da haben es sich die ganz Armen bequem gemacht. Die Kleidung hängt am halb herunter gerissenen Maschendrahtzaun oder auf dürren Baumstümpfen, geschlafen wird auf und unter Pappkartons oder zerschlissenen Matratzen die wahrscheinlich schon 2-4 weg geworfen wurden. Müll wird sortiert, Plastikflaschen wandern in grosse Bigpacks, bringen wahrscheinlich ein paar Pesetas. Niemand bettelt uns an, behelligt uns sonstwie. Fotos verkneife ich mir trotzdem. Ein paar Blumenkübel gruppieren sich trotzig um eine Art Zeltpavillon. Da hat wohl jemand versucht, in dieser Einöde ein Stück Oase zu schaffen. Eine alte Frau sitzt unterm Sonnenschirm ihres mobilen Verkaufsstandes, wartet auf Kundschaft wie unzählige andere kleine Tandler auch. Und dann stehen wir – der Käptn hatte es sich schon gedacht – ganz unvermutet vor der grossen Shopping-Mall, Caribe Plaza. Hier der prächtige Konsumpalast mit seinen Marken-Läden, mit dem grossen Baumarkt, dem Jumbo-Supermarkt, den vielen kleinen Fresstempeln – austauschbar, in allen Ländern irgendwie gleich und uniform. Und nur wenige Meter weiter lebt die Armut. Keine offensichtliche, tiefe Kluft dazwischen, kein Warn- oder Hinweisschild „Achtung, sie verlassen jetzt den sicheren Bereich“. Ein, zwei Schritte weiter, egal in welche Richtung, und man ist in einer anderen Welt.

Wir flüchten zwecks cool-down in diese Luxuswelt, gönnen uns eine Limonada Arabe, mit herrlichem Zitronen- und minimalem Kräutergeschmack, erfrischend. Um uns herum dröhnt es, fast alle Tische der umliegenden Imbissläden sind besetzt, Mittagszeit für die shoppenden Kolumbianer. Musik, Telefongespräche werden geführt, alles ist laut, zu laut für uns. Wir flüchten und tauchen ein in die ruhigeren Seitenstrassen des Bezirks Manga. Vertrautes Terrain. Gepflegt, aber nicht zu gepflegt. Mit kleinen Villen und Häusern, kleinen Wohnanlagen im gehobenen Reihenhausstil. Auch hier gibt es die kleinen Eckläden, die neben Besen auch Backwaren, Getränke, ein bisschen was von allem anbieten. Mittendrin erheben sich die kleineren Hochhaustürme. Ob hier früher auch mal solch nette, kleine Wohnhäuser standen? Ein Werbeplakat für so einen Wohnturm am Zaun einer schönen, alten aber offensichtlich unbewohnten Villa lässt Übles ahnen. Die werden doch wohl nicht??? Sollen doch erstmal die anderen Klötze fertigbauen und all die Appartementos an den Senor oder die Senora bringen. In der Verkaufsbroschüre eines Immobilienmaklers werden diese Wohnungen nämlich en masse zum Kauf angeboten.

Noch der obligatorische Boxenstopp im Carulla Supermarkt. Samstag ist Prozentetag für Fleischwaren und ausländisches Bier. Mit der Carulla-Spezialkundenkarte (die auch wir See-Gringos problemlos ausgestellt bekommen) gibt es an der Kasse ordentlich Rabatz, hier descuento genannt, zwischen 15 und 25%. Da spart man doch gerne ein paar Pesos, die wir dann ein paar Meter weiter einem alten Mann in zurückhaltend kleinen Plastikbecher legen. Der sitzt im Schatten auf dem Gehweg, seine beiden Krücken neben sich gelehnt. Dürr ist er, zahnlos dazu und das rechte Bein ist auch nur noch halb vorhanden. Gibt es ein Sozialsystem in Kolumbien? Wer sorgt für solche Menschen, beziehen sie eine Rente, wo und wie können sie davon leben? Und nur einen Steinwurf entfernt sitzen gut gekleidete Kolumbianer sorglos auf einem der zahllosen Motorboote und lassen sich zur aktuellen Ufftata-Stampf-Musik durch die Bucht fahren. Sundowner-Zeit in Cartagena. Für manche geht die Sonne eben ein bisschen schöner, bunter und sorgloser unter. Wenigstens erfrieren die Menschen hier nicht in der Nacht.

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