„Warum fahrt ihr denn nach Kolumbien und nicht nach Panama? Das ist ein hart am Wind Kurs mit viel Welle“. Schreibt uns ein Freund der es wissen muss. Wir wissen es besser und der Abstecher nach Grand Cayman hat uns neben einigen anderen positiven Aspekten auch ein definitiv besseres Wetterfenster für den Trip nach Cartagena beschert. Moderate Winde, teilweise zu moderat und keine hohen Wellen sind vorher gesagt. Und da der Sonntag ja beim letzten Start irgendwie kein guter Tag war, wählen wir dieses Mal den Montag.

Ganz viel gäbe es darüber zu schreiben, über diese 6 Tage und 5 Nächte auf See. Der Hintern ist ziemlich platt, die Kissen auch aber ansonsten ist es einfach Segeln vom Feinsten. Zumindest wenn man auf Am- und Halbwindkurse steht. Windstärken zwischen 8 und 15 Knoten maximal, Wellenhöhe zwischen 0,8 (wenn überhaupt) und max 1,20 Metern. Segeln kann schon fein sein.

Da fällt kaum noch ins Gewicht, dass die Reffleine der Genua reisst, zwei Mastrutscher sich vom Grosssegel verabschieden, der Hörer vom Funkgerät ein unbekanntes Problem hat und wir nicht mehr verständlich sind. Oder der Autopilot bevorzugterweise in der Nacht kurzzeitig mal den Dienst quittiert. Was ein in-den-Wind drehen samt eleganter Pirouette unseres Schiffes und kurzzeitiger Desorientierung der Crew zur Folge hat. Warum das immer kurz nach dem Wachwechsel passiert, weiss der Geier.

Aries Dream steht uns jedenfalls hilfreich und tröstend zur Seite. Als dann die Funke nicht mehr mitspielt, gibt es sogar ein „Ersatzhörer von Schiff zu Schiff reichen“. Mittels Affenfaust, einer dünnen Leine und einer weitgehend wasserdichten Box wird ein Ersatzhörer in voller Fahrt von der Aries zur Naja übergeben. Hätten wir das also auch mal gemacht. Und ich bekomme eine Ahnung davon, wie es sein mag, bei hoher Welle von einem Schiff abgeborgen zu werden. DAS muss ich definitiv nicht machen.

Aries bleibt noch etwas an unserer grünen Seite. Weil Murphy lässt grüssen meint der Skipper. Und da kommt mir die Idee: wir setzen Murphy einfach auf unsere Crewliste, gewähren ihm freie Kost und Logis bei uns an Bord. Seine ständigen und unerwarteten Überraschungsbesuche sind ja doch sehr nervenaufreibend und anstregend. Wie viel einfacher wird es sein, ihn ständig bei uns zu wissen, kontrolliert und überwacht. Die letzten 4 Jahre hat er sich so viel Mühe gegegeben, uns zu zerstreuen und zu unterhalten – das muss doch eigentlich belohnt werden. Ist ja für ihn auch viel einfacher und angenehmer, muss er uns doch nicht ständig hinterher reisen, kann bequem an Bord mitfahren. Und wenn es ihm langweilig werden sollte – auf den Ankerplätzen, die wir besuchen, findet er bestimmt ein weites Betätigungsfeld. Und wir sind ihn dann auch wenigstens kurzzeitig mal los. Also Leute, nehmt euch in Acht: wenn ihr das gelbe Lazyback irgendwo seht, dann ist Murphy nicht weit!

Bei uns hat er sich jedenfalls erstmal ausgetobt. Und wechselt prompt auf die Aries Dream. Bei der platzt der Schlauch zur Heckdusche. Wasseralarm, die Bilgenpumpe pumpt und und pumpt, der Skipper kann das Problem aber relativ schnell lokalisieren und beseitigen. Und was ist Süsswasser schon gegen unseren Salzwasservorrat in der Bilge. Obwohl – wir wollen ja nicht meckern: der hält sich bei diesem Törn extrem in Grenzen, ist kaum der Rede wert. Ist der Steuerbordbug vielleicht nicht geschwindigkeitsmässig aber wassermässig gesehen der bessere Bug? Oder haben wir per Zufall irgendeines der Löcher gestopft, durch die das Wasser normalerweise seinen Weg in unser Schiff findet? Ob wir dieses Rätsel wohl irgendwann doch noch einmal lösen?

Aber jetzt geniessen wir erst einmal, sitzen weitgehend entspannt (der Hintern…) im Cockpit, beobachten den Himmel und das tintenblaue Meer. Ein Mann mit Hut jagt auf einem an das Don Quiqote Pferd erinnernden Grauschimmel über den Abendhimmel. Wenige Minuten später zerfransen die Konturen, lösen sich auf und werden überlagert von anderen Wolken. Eine andere erinnert an ein Gesicht. Wolken-Bilder, man könnte sie malen, die Figuren und Gesichter, die man mit einiger Phantasie in den tuffigen Gebilden am Himmel entdecken kann.

Immerhin funktioniert unser Kurzwellengerät samt Pactor bestens. Emails werden abgesetzt, Wetterdaten abgerufen. Und das rasend schnell. Trinidad ist nur selten „occupied“ und antwortet umgehend. Und dank rechtzeitig eingeworfener Antikotz-Tablette namens Tramamin bin ich in der Lage, mich auch längere Zeit unter Deck aufzuhalten. Abgesehen davon, dass mir der Schweiss in Strömen aus den Poren rinnt und ich das Gefühl habe, in einer Dauersauna zu sein incl. Aufguss. Vielleicht sollte ich noch ein paar Worte zu meiner Seekrankheit sagen: es hat sich bei mir bewährt, ein bis zwei Stunden vor Abfahrt eine Tablette einzunehmen. Bisher habe ich Stugeron genommen. Gibt es irgendwie in Deutschland nicht, aber in der Schweiz. Nachteil: man wird schon sehr müde davon. Allerdings habe ich nur diese eine Tablette nehmen müssen, auch bei mehrtägigen Törns. Irgendwie gewöhnt sich mein Körper dann wohl doch an die Schiffsbewegungen und ich kann mich sogar längere Zeit unter Deck aufhalten, kochen, funken etc. Seit Grand Cayman bin ich auf Stramamin umgestiegen. Ein amerikanisches Produkt, das den Müdigkeitseffekt nicht haben soll. Testen wir mal, dachte ich. Und es hat gut funktioniert. Eine Tablette, wie gewohnt, sonst war nichts mehr nötig. Da ich mich selbst als ziemlich hartnäckigen Seekrankheitsfall bezeichne und schon so einiges ausprobiert habe, weiss ich sehr genau, von was ich spreche. Und vielleicht funktioniert mein „Rezept“ ja auch bei anderen, bislang hoffnungslosen Fällen? Vielleicht bekomme ich ja irgendwann mal ein Feedback dazu. Positiv am besten!

Zurück zu unserem Törn: dreht der Wind jetzt doch noch mal auf Nord? Angekündigt war das und ich hab mich voll darauf verlassen. Leider zuckt er erstmal kurz Richtung Süd und dem Käptn entgleisen die Gesichtszüge angesichts unserer Kurslinie. „Siehste, wir hätten doch mehr Höhe laufen sollen“. Ich bleib ganz cool und glaube fest an meine Norddrehung, spätestens wenn wir auf Höhe Kolumbiens sind. Und dann können wir super anluven und unser Ziel auch mit weniger Wind erreichen. Weniger Wind? Vor der Küste Kolumbiens, diesem berühmt-berüchtigten Teil der Karibik, in dem es immer ordentlich fetzt und die Wellen beängstigende Höhen haben? Ja, wir erleben diesen Teil von seiner angenehmen Seite. Der Wind dreht tatsächlich langsam Richtung Nord, wir laufen ruhig und aufrecht unseren Kurs, müssen immer mal wieder etwas korrigieren. Hab ich also doch Recht behalten. So kommt am Samstagvormittag erst auf unserem Kartenplotter die Meldung, dass wir uns umgehend bei der Port Control via VHF 16 zu melden haben und dann die Hochhaus-Silhouette Cartagenas in Sicht. Das mit der Meldung bei Port Control klappt bei uns nicht ganz so gut, entweder mögen die uns nicht antworten oder sie hören uns nicht (aus oben näher beschriebenem Grund). Aries Dream bekommt jedenfalls die Erlaubnis einzulaufen sobald der auslaufende Frachter XYZ sich vom Acker gemacht hat. Kurz darauf schieben wir uns in die grosse Zufahrt zur Bucht, passieren Untiefen- und Ansteuerungstonne, staunen über die vielen entgegenkommenden Motorboote. Wochenende, die Cartagener gehen ihrem Freizeitvergnügen nach und fahren wahrscheinlich zu den vorgelagerten Inseln.

Cartagena begrüsst uns mit dem ganzen zweifelhaften Flair einer grossen Stadt: Industrieanlagen, vor Anker liegende Tanksschiffe, die Feuersäule einer Raffinerie leuchtet weithin, es stinkt irgendwie nach Katzenklo, das Wasser ist schmuddelig braun-grün und über allem hängt eine graue Dunstglocke, die dem karibischblauen Himmel keinen Raum lässt, ihn völlig verblassen lässt. „Und wo sind jetzt die Berge???“ Wieder nicht aufgepasst, so ein Mist. Die sind doch weiter oben, bei Santa Marta und Baranquilla – klärt mich mein allwissender Käptn auf. Dort kommen die Kordilleren ganz nah ans Meer heran. Ah, das sind doch die von Karl May, Winnetour und Old Schmetterhand.Oder doch nicht?

Egal. Wir sind jedenfalls in Kolumbien. Nochmal: WIR SIND IN KOLUMBIEN! So ein klein wenig waren diese insgesamt über 800 Meilen von Cuba hierher meine karibische Biskaya. Was hatten wir uns im Vorfeld Gedanken gemacht, ob und wie, ob überhaupt oder lieber doch nach Panama oder oder. Wie oft haben wir Sätze gehört wie „zu spät dran – falsche Richtung – kann man schon, aber…“ etc etc. Nicht gerade angetan, sich auf einen solchen Törn zu freuen oder ihn entspannt anzugehen.

Aber jetzt liegen wir hier, im grossen Ankerfeld vor dem Club Nautico, vor der Hochhaus-Kulisse. Hinter uns ragen Verladekräne in den Himmel und wir fühlen uns ein klein wenig an Bremerhaven erinnert. An Land gehen mögen wir noch nicht. Ein wenig aufräumen, das Dinghi klar machen, den Nachbarn (es liegen zweit weitere deutsche Yachten in unserer Nähe) Hallo sagen. Abendessen, noch ein wenig die ungewohnte Abendkulisse vom Vorschiff aus geniessen und hoffen, dass unsere Schlafkammer bald etwas besser durchlüftet ist. Bis dahin liegt der Käptn im Cockpit und schläft schonmal ne Runde. Und ich bewundere die Zielstrebigkeit der hier mit Vollspeed durchrauschenden Motorboote. Einmal durchs Ankerfeld ohne irgendwo anzuecken. Das hier, liebe Trixi, das ist Ankern wie auf dem Mittelstreifen der A1 zur Ferienzeit! Dagegen war der Ankerplatz auf Grand Cayman idyllisch ruhig! Und trotzdem, wir sind an einem unserer Traum-Wunschziele angekommen. Resümieren noch einmal die bisherigen grossen Ziele wie Lissabon, die Kanaren, Kap Verden, Salvador do Bahia in Brasilien, Jamaika, Cuba und jetzt Kolumbien.

- Fotos folgen noch! -