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Montserrat — unfreundlich wie die gestrige wettertechnische Begruessung war, setzt sich unser Eindruck von der Insel erst einmal fort: Regen trommelt auf Deck und Luk und der Skipper klopft sich auf die Schulter fuer den Einfall, die Kuchenbude auszupacken. Leider hat dadurch auch das Luk ueber unserer Koje keinen Regenschutz mehr und muss geschlossen werden — Sauna vorprogrammiert? Es geht. Irgendwie ist es eigentlich mehr kuschelig. Und so kuscheln wir uns in den Morgen hinein, spaetstuecken (das lieben wir sehr) und beobachten unsere — mittlerweil wieder in Sonnenlicht getauchte — neue Umgebung.

An der Pier hat eine Catamaranfaehre festgemacht und im heute doch tatsaechlich bemannten Ankunftsgebaeude erfahren wir einiges zu den Faehren. Die gehen nach Antigua und nach St. Kitts. Wann? Oh, zwei, dreimal die Woche bzw. “it depends”. Hmm, von was es abhaengt wagen wir nicht zu fragen. Raus aus dem Tor, der Wachmann will wissen, ob wir schon einklariert haben. Bootsnamen nennen - guckt der jetzt nicht auf seiner Liste nach, wo der Name steht???? Nein, guckt er wohl im stillen Haeusle. Das Tor jedenfalls ist 24 Stunden geoeffnet, keine Sperrstunde.

Naechste Station ist der hartnaeckige Taxifahrer von gestern. Von dem amerikanischen Nachbarboot wollte er fuer die Tour “nur” 80 USD haben. Das war den Nachbarn aber auch zu teuer. Wir bescheiden ihn weiterhin abschlaegig und wandern ausgeruht los. Entlang der neuen Barmeile. Die ist Teil eines ambitionierten Bebauungsplanes, der eine Marina und ein Kreuzfahrtterminal beinhaltet. Wir kommen ins Gespraech mit einem auf Montserrat ansaessigen Kanadier, seines Zeichens Vorsitzender des oertlichen Yachtclubs und natuerlich in das Bauprojekt involviert. Ob wir denn zufrieden seien mit dem Klarierungsprozedere und ob alles o.k. sei? Ja, bei uns ist alles o.k.; wenn wir das Touristbuero gefunden haben, ist alles noch besser. Er weist uns die Richtung und erklaert. Kurze Zeit spaeter stehen wir am neu erbauten Local Market von Little Bay. Touristoffice? Upstairs. Upstairs heisst es, nein, wieder rueber ueber den Kreisel, vorbei am superneuen Sportpark und dann in das grosse Gebaeude links am Berg. Sicherheitshalber fragen wir downstairs nochmal nach und werden prompt wieder upstairs geschickt. Da kenne sich mal einer aus. Hinter einer Tuer bekommen wir immerhin schon mal einen Inselplan und die Auskunft, dass das Touristbuero umgezogen ist. Aha, das erklaert die allgemeine Verwirrung. Inclusive der unsrigen.

Wir wandern, erst vorbei an Baustellen und scheuen Ziegen, dann von einer Tuer zu andern. Hinter einer treffen wir auf extrem freundliche und sehr gespraechsfreudige junge Damen. Die uns vor lauter Begeisterung ueber unseren Besuch auch noch eine Mitfahrgelegenheit zum hoeher gelegenen Ort anbieten. Das Inselbussystem bekommen wir ebenfalls erlaeutert und dann stehen wir vor einer Bank, die aber leider nur Visa-Karten akzeptiert, winken unseren Chauffeusen freudig hinterher und wissen nicht so recht, was jetzt tun. Mit dem Sammeltaxi nach Salem oder erst einmal die oertlichen Gegebenheiten erkunden? Wir entscheiden uns fuer letzteres und stiefeln langsam wieder bergab unter Begutachtung der lokalen Geschaefte. Eine Baeckerei hat ein sehr verheissungsvolles Werbeschild an der Fassade. Im Inneren werden uns aber lediglich kleine Baguettaehnliche Stangen offeriert. Immerhin haben wir die Auswahl zwischen solchen aus Vollkornmehl und aus weissem Mehl. Zwischen der Frage, ob wir ein Auto mieten und was genau “Goat-Water” ist, staerken wir uns in einer Art Imbiss. Treffen auf zwei junge Segler, die mit ihrem Boot ziemlich weit draussen liegen. Australier sind sie und das Boot hat der eine, Louis, in St. Martin gekauft. Gebaut wurde es auf Martinique und dorthin wollen sie auch segeln, er und sein Kumpel Jordy. Typisch australische Namen. Wie alt die Beiden wohl sein moegen? Recht jung wirken sie auf uns, allerhoechstens Mitte der Zwanziger. Innerlich leicht belustigt vernehme ich Louis’ Satz ” I worked my whole life with steel”. Ist halt alles relativ.Whole life, tss.

Erwerben wir jetzt eine lokale Fahrlizenz bei der Polizei oder wursteln wir uns per Bus durch die Gegend? Immerhin wissen wir schon mal, wo die Polizeistation ist. Ob das turmaehnliche Gebaeude und der hohe Zaun dahinter zu einem Gefaengnis gehoeren? Wenn, dann werden hier die Verbrecher saemtlicher Karibikinseln inhaftiert. Montserrat, die Gefaengnisinsel? Schwer vorstellbar — oder doch? Den verbliebenen, nicht in Vulkanasche gelegten Inselteil bevoelkern derzeit zwischen fuenf- und sechstausend Menschen. Viele der Einwohner sind in die USA, Kanada oder nach Great Britain ausgewandert. In GB wird auch gerne studiert.

Wir sind zurueck in der Carr’s Bay. Pittoresk anmutend, urspruenglich, karibisch. Mit einer mobilen Grillstation in der Naehe des Strandes, einem sehr verwahrlost wirkenden Friedhof, einer Art Baumarkt. Kanonen sind aufs Meer gerichtet, Relikte einer nicht so friedlichen Zeit. Ein kleiner Junge wirft sich mit seinem kleinen Schwimmbrett in die Brandung, rutscht in die Wellen rein und wieder raus. Auf der anderen Seite ein Scherenschnitt aus moenstroesen Steinen, einem Auto und zwei Maennern, die hier angeln. An der Kreuzung steht ein Kreuz, in den Fels geschmiegt, einen steinernen Esel an seiner Seite. Darunter ein Haeuschen mit einem monstroesen, geschwungenen Sofa, vielleicht ein Relikt aus einem der alten Kolonialhaeuser? Eine alte Tiefkuehltruhe am Strassenrand und ein Sammelsurium von allerlei Geraetschaften, Tonnen, Plastikstuehlen, Eisenteilen vervollstaendigen das Ensemble. Laub rankt sich uebers Dach. Gegenueber steht das Visitor-Center. Hier sind die Zukunftsvisionen Montserrat’s an die Wand gepinnt und eine junge Dame erlaeutert uns routiniert und engagiert, was genau wo einmal gebaut wird. Wir sind beeindruckt. Und froh, jetzt und dieses Jahr auf der Insel zu sein. Die wir in einigen Jahren vielleicht nicht mehr wieder erkennen werden. Zumindest hier in der Little Bay und in der Carr Bay nicht. Aber ob es dann noch eine Insel ist, die wir gerne besuchen werden? Jetzt schon wehmuetig fotografiere ich noch alles. Hier wird dann eine Marina entstehen, mit Kreuzfahrtterminal, mit einer neuen “Stadt”, die viele Facetten in sich vereinen soll. Und die so aussehen wird, wie viele anderen, neu geplanten “Marina-Staedte” auch. Schoen, sicherlich. Aber inseltypisch, voller Charme? Wo wird dann der kleine Junge sein Board in die Brandung werfen, wo werden die Einheimischen ihre mannshohen Lautsprecher aufbauen und wo werden die Tonnenfoermigen Grills stehen? Hier sicherlich nicht mehr, das passt dann nicht mehr in die schoene, neue Kreuzfahrerwelt mit durchgestylten Ressorts ringsherum. Aber vielleicht sind auch alle so stolz auf das, was da auf ihrer Insel entsteht, dass sie sich damit gerne abfinden und vielleicht finden sich ja auch andere Plaetze an der Kueste, wo dann dieses Leben stattfinden wird. “Ohne die Marina und das Kreuzfahrtterminal wird es auch den Rest nicht geben, das ist die Voraussetzung fuer die Realisierung aller anderen Bauten” — so hat es uns die junge Dame im Besuchercenter erklaert. Und das ist auch gut vorstellbar. Denn ohne diese Einnahmequelle, ohne dieses Zugpferd, ohne diesen Zugang zu Montserrat macht der Rest auch keinen Sinn.

Wir jedenfalls sehen unsere Umgebung, sehen das derzeitige Hafenumfeld mit ganz anderen Augen. Vieles, was wir uns bisher nicht erklaeren konnten, bekommt nun einen Sinn. Hier wird einmal eine Strasse zum neuen, exclusiven Wohngebiet fuehren. Dort hinten ist das nicht anzutastende Areal eines ehemaligen Estates. Ob die Buden neben dem Sportplatz wohl stehen bleiben und ob Frau Huhn ihre Kueken auch spaeter noch ueber den kurzen Rasen fuehren darf? Werden die Autos immer noch fuer eine kleine, die Strasse querende Ziege bremsen? Wird das Leben ob auf dem Berg, in Brades und Cudjoe Head so weitergehen wie bisher?

Am Strand von Little Bay treffen wir die Crew des vor uns ankernden Catamarans, Brad (nein, nicht Brad Pitt) und Sindy. Die gestern kurz vor uns angekommen sind und die heute mit dem Bus in Salem bzw. im Observatorium waren. Und deren Bericht uns entscheiden laesst, wir mieten kein Auto, sondern schlagen uns per Bus oder als Anhalter durch.

Zur Bar “Soca Cabana” werden wir uns heute allerdings nicht mehr durchschlagen. Die Aussage bezueglich Live-Music war dann doch zu vage, man hoert nix vom Strand, obwohl der Wind guenstig dafuer steht. Dafuer laeuft um 20:35 noch die Faehre ein. Starke Lichter tauchen aus dem stockdunklen Nichts auf, bohren ihre Leuchtstrahlen ueber die Bucht, tasten die Fischerboote ab, um dann auf die Pier zuzuhalten. Drehmanoever kurz vorher, anlegen. Fertig. Kurze Zeit spaeter sind die Lichter aus, ausgelaufen wird am naechsten Morgen. Oder vielleicht auch nicht. ,It depends’ — vielleicht ist ja auch Wochenende und es verkehrt keine Faehre mehr zwischen Montserrat und einer der anderen Inseln. Und das verhaeltnismaessig grosse Faehrterminal steht wieder unbehelligt, menschenleer und verlassen am Ufer. Mit einem PC, an dem die Yachties im Sailclearprogramm einklarieren koennen — oder auch nicht. It depends. Und wenn nicht, dann kann man im Customs-Office immer noch drei Durchschlaege mit Kohlepapier dazwischen und mit einem Kugelschreiber ausfuellen. In einem Raum, in dem es von Uniformierten nur so wimmelt — Zoll, Hafenverwaltung und was auch immer. Unklar bleibt, WAS genau die vielen UniformtraegerInnen hier eigentlich den lieben langen Tag tun. Auf die Faehre oder die nicht gerade zahlreichen Yachties warten? Liebenswertes Montserrat. Uns gefaellt es, von Stunde zu Stunde mehr. Auch wenn der Wind ueber den Berg auf die Bucht pfeift und das Boot in der Duenung leicht hin und her schwankt. Weit draussen zieht ein Kreuzfahrtschiff vorbei. Taghell erleuchtet, von weitem sichtbar. Die Zukunft zieht dort draussen vorbei, laesst Montserrat rechts liegen. Noch.