Der 09. April — fuer mich ein ganz besonderer Tag. Denn heute vor 29 Jahren habe ich mein Kind, meinen Sohn geboren. An einem Tag, der noch kein wirklicher Fruehlingstag war, ein Tag mit Schneegraupel und niedrigen Temperaturen. Damals war er mir ganz nah. Und heute, so viele Jahre spaeter, bin ich ihm physisch so fern wie selten zuvor. Aber eben nur physisch. In allen anderen Bereichen sind wir uns naeher denn je. Verstehen uns besser, denken mehr aneinander, kommunizieren oefter und intensiver miteinander, tauschen uns aus, sind fuereinander da.

29 Lebensjahre, die ich versucht habe zu praegen. Jahre, in denen ich vorgelebt und erzogen habe. In denen ich mich oft gefragt habe, ob ich etwas falsch mache. Jahre in denen der im Sternzeichen Widder geborene der stacheligen Skorpionin beweisen wollte, dass er tatsaechlich mit dem Kopf durch die Wand gehen kann — wenn er nur will. Jahre, in denen wir uns fern waren, obwohl wir in einem Haus wohnten. Jahre, in denen wir uns oft gestritten und wieder versoehnt haben. Heute weiss: ich habe nichts falsch gemacht. Denn viele tausend Kilometer entfernt, im gerade fruehlingshaft erwachenden Deutschland lebt mein Kind, auf das ich unendlich stolz bin. In dem ein Teil von mir weiterlebt und fuer dessen Leben ich so unendlich dankbar bin.

Hier in der Karibik ist es aber auch ein ganz besonderer Tag. Ein Tag des Abschiedes. Nicht irgendein Abschied. Die Voodoochile zieht weiter nach Norden, ruestet fuer die Fahrt zu den Azoren, fuer die Rueckreise nach Europa. Langsam zieht die vertraute rot-weisse Silhouette mit der gleichfarbigen Flagge am Heck an uns vorbei. Wir sind noch nicht ganz fertig mit zusammen raeumen, tun uns irgendwie schwer, uns von Nevis zu loesen. Drueben steht Peer am Mast, winkt — oder ist es mehr eine hilflose Geste? Ein “ich weiss nicht, was ich sagen soll”. Abschiede sind einfach bloed. Uli steht am Ruder und ich kann den Kloss in ihrem Hals genauso gut spueren wie meinen eigenen. Jetzt nur nicht heulen. Dabei stehen die Traenen schon ziemlich hoch. “Take care” — “ihr auch”– „Auf Wiedersehen“…. Alles ist gesagt, zwei wunderschöne gemeinsam verbrachte Wochen liegen hinter uns. Viel Zeit und doch viel zu kurz. Wo wir uns wiedersehen, wann – ungewiss. Wir bleiben in Kontakt, klar. Die modernen Kommunikationsmittel – von anderen verflucht – von uns heiss geliebt. Geliebt, weil wir gar zu gern am Leben unserer Familie und Freunde teilnehmen, auch wenn uns viele Kilometer/Seemeilen voneinander trennen. Was ist schon räumliche Distanz, wenn die Gedanken und Herzen sich nah sind?

Einmal noch die Nase Richtung Nevis drehen, Grosssegel hoch, dann fällt die Voodoochile ab, läuft Richtung St. Kitts, wird kleiner und kleiner. Wir lenken uns ab mit dem, was noch weg geräumt und parat gelegt werden muss. Dann ziehen auch wir die Festmacher aus der Mooringleine und drehen den Bug Richtung Montserrat. Nevis entlässt uns sanft, mit flachen Wellen und einem schönen Segelwind. Montserrat dagegen empfängt uns mit drohenden Regenwolken, hohen Wellen die gegen unseren Bug donnern und viel Wind auf die Nase. Grau in Grau wirkt alles. Leer und verlassen wirken Strand und die Hafengebäude.

Immerhin, ein PC „lebt“ und offeriert uns seine Internetdienst. Sailclear können wir hier nutzen. Wir treffen Brad, den Skipper eines kurz vor uns eingetroffenen Catamaran. „You are from the monohull with the yellow sailcover“. Der Catamarn hat eine andere Route gewählt, ist erst ein Stück die Insel entlang gesegelt bis fast zur Südspitze um dann umzudrehen und auf dem anderen Bug zurück nach Norden segeln zu können. Die Rechnung ist nicht ganz aufgegangen, die letzten Meilen musste er – genau wie wir – unter Maschine laufen.

Ein Taxifahrer offeriert uns gleich seine Rundfahrtdienste. 100 USD für 2 Stunden Inselfahrt, 150 für den ganzen Tag. Das ist uns zu teuer, was ich ihm rundheraus erkläre. Grosse Augen bei meinem Gegenüber, teuer? ‚Wir leben auf dem Boot, wir machen keinen Urlaub und wir müssen unser Geld einteilen.‘ Das versteht er. Vielleicht könnten wir uns ja mit anderen Seglern zusammen tun. Ja, mal sehen. Heute jedenfalls nicht mehr. Wir sind erstmal einklariert und froh, wieder an Bord zu kommen. Aufräumen, Ankerkontrolle, Hunger …. Hunger?? Hunger!!!! Seit dem Frühstück gab es nichts mehr zwischen die Zähne, also schnell was zaubern. In der Pantry gucken mir vorwitzige und nervige Fliegen in die Töpfe, oben droht schon wieder eine Regenwolke und pfeift der Wind sein aufbrausendes Lied. Sonnensegel? Nee, lieber die Kuchenbude. Die ist windschnittiger und hält den Regen auch gut ab. Kuschelig. Die Brandung donnert unverdrossen und mürrisch brummend an Strand und Felswände, der Wind legt immer mal wieder einen Zahn zu, Madam naja schwankt immer wieder bezüglich der Richtung, in die der Bug zielen soll. Und schwankt auch sonst hin und her. Auch wenn ich es mir schlimmer vorgestellt hatte – ruhig ist anders. So zieht eine stockdunkle Nacht herauf. Aus der völlig unerwartet drei helle Lichter auf uns zuhalten. Sofort ist der Käptn hellwach: „siehste, da kommt doch noch eine Fähre, hoffentlich liegen wir nicht im Weg“. Wir liegen nicht, die Fähre zieht in guter Entfernung an uns vorbei auf die Mole zu, dreht irgendwo und –wie. Hätten wir das also auch geklärt. Und morgen erkunden wir Montserrat, zu Fuss, erst einmal.