Shirley Heights

In English Harbour liegt die Pier wieder verlassen, fast alle Schiffe sind zum ersten richtigen Race der Antigua Sailing Week ausgelaufen. Die Wassertaxis draengeln sich an der Pier und wir werden sofort uebergesetzt. Die Fahrt geht quer ueber die Bucht zum Strand der Galleon Beach. Von hier aus schlaengelt sich ein sog. Trail den Berg hinauf zu Shirley Heights Lookout. Der Einstieg ist gut beschildert und wir nehmen die Steigung hochmotiviert in Angriff. Wenige Meter spaeter rast mein Puls, mein Herzschlag trommelt ein „Du bist bekloppt, Du bist bekloppt“ und ich frage mich wieder einmal, wer eigentlich auf diese bescheuerte Idee kam ….. Selbsterkenntnis, zu spaet, jetzt gibt es kein zurueck mehr und die Uhr kann man auch nicht mehr zurueck drehen. Wir sind jetzt, um halb elf, eindeutig schon zu spaet dran. Backofenhitze staut sich zwischen den niedrigen Baeumen und Hecken. Wandern unter Saunabedingungen. Von oben kommt uns ein Paar entgegen, macht uns Platz und nimmt mir die Gelegenheit, einen Boxenstopp einzulegen. Ob es noch weit ist nach unten wollen sie wissen. Nein, sie sind gleich da. Leider koennen sie uns nicht mit einer solchen Auskunft troesten. Es sei schon noch ein ganzes Stueck Weg bis zum Lookout. Mitleid steht in ihre Gesichter geschrieben. Nutzt nix, weiter. ‚Wer von uns hatte eigentlich mehrere Herz-OP’s, Bypaesse und den ganzen Kram???‘ Werner stiefelt vorneweg, schnauft lange nicht so wie ich, ist aber trotzdem ueber eine Trinkpause froh. Im Schatten, moeglichst mit einer kuehlenden Brise. Davon gibt es hier leider wenig. Ich muss mich setzen, was mir nicht ganz so gut bekommt. Beim hochkommen veraendert sich meine Farbwahrnehmung, irgendwie flimmert alles vor meinen Augen. Tiiiiief durchatmen und den festen Vorsatz fassen, jeden Morgen 30x ums Schiff zu schwimmen und in Deutschland jeden Tag laufen zu gehen. Sooo geht das jedenfalls nicht weiter!

Weiter geht es aber schon noch und mit einigen Stopps (man muss ja schliesslich die Landschaft und Pflanzenwelt bewundern und fotografieren) ist das Ziel erreicht: vor uns tauchen die Gebaeude von Shirley Heights auf. Die anno 17hundert zu einem Fort gehoerten und ganz andere Verwendungszwecke hatten wie heutzutage. Das ehemalige „Guard House“ dient heute als Bar-Restaurant. Holzbauten und schattenspendende Daecher ergaenzen die Anlage. Aber sogar die alten Toilettenhaeuser wurden wieder hergerichtet. Etwas weiter die Strasse hinunter stehen die immer noch imposanten UEberreste der einstigen Offiziersunterkunft. Vom Exerzierplatz, der sich hier befand, ist leider nix mehr zu sehen. Friedhof, Wasserzisterne und andere Gebaeude liegen weit verstreut in der Landschaft, die mit sandfarbenem, trockenem Gras und erstaunlich gruenen Bueschen aufwartet. Die Agaven stehen in voller Bluete. Unten, auf dem tiefblauen Meer, ziehen die Regattateilnehmer ihre Bahnen. Scharf beobachtet von George und Brendan, zwei Einheimischen, die sich weitab vom Shirley Heights Touristenrummel ihren Beobachtungsplatz gesucht. George sitzt wie versteinert auf einem richtigen Stein und beobachtet die Segelboote, Brendan graebt derweil unter einem Baum einen kleinen Kaktus aus. Den will er zu Hause im Garten einpflanzen. Mit einem Segelboot um die Welt reisen, das wuerde er auch gern. Seinen Traum leben, das sei doch so wichtig. Was soll ich dazu sagen? Wie wichtig das ist, haben wir oft genug erlebt in den letzten Jahren, bei uns, bei anderen. Und dafuer nehmen wir dann auch alle Unannehmlichkeiten und Widrigkeiten in Kauf. Noch ein wenig fachsimpeln ueber Regattasegeln oder nicht, ueber unsere Reise, woher wir kommen, wo wir waren. Ich mach mich jetzt mal besser auf den Rueckweg, bevor der Kaeptn noch eine Suche anleiert.

Aber der ist weit davon entfernt, sich um mich zu sorgen. Doest im Schatten vor sich hin. Nur noch wenige Besucher sind hier oben und geniessen die fantastische Aussicht ueber die Buchten und einen Teil der Insel. Leider ist es etwas diesig, Guadeloupe und Montserrat versinken im Dunst, sind nicht zu erkennen. Dafuer koennen wir unser Schiff sehen. Ganz klein, ganz weit hinten streckt Madame ihre Nase nach Sueden – wie alle anderen auch. Braves Maedchen.

Aus der Bar dringt Steel Pan Musik. Gefaellt dem Kaeptn, wie die Band wohl heisst? Ich gehe fragen und erfahre auch gleich noch, dass genau diese Band hier live auftritt, ab 16 Uhr. Noch zwei Stunden, die es zu ueberbruecken gilt. Mit einem kleinen Rundgang und etwas doesen an einem der Tische. Es wird betriebsam. Eine Gruppe Frauen wird von einem Taxibus gebracht, laedt unzaehlige Taschen, Tueten und Klapptische aus. Die Verkaufsfront wird eroeffnet. Schmuck und Tuennef wird angeboten. Man kennt sich, haelt ein Schwaetzchen, alles ganz relaxt, keine Hektik. Ein junger Mann laedt derweil die Musikinstrumente von einem LKW, baut auf und fuehrt erste Klangproben durch. Dann ruecken die Mitglieder der „Halcyion Steelband“ an, nehmen ihre Plaetze ein und auch die Touristen stroemen herbei. Vom Grillbuffett ziehen appetitanregende Duefte herueber und ich teste einen Rum mit Gingerbeer. Gute Mischung, in Anbetracht des Heimweges bleibt es bei dem einen. Die Stimmung steigt, es wird getanzt, gewippt und man schwingt die hier feilgebotenen bunten Rasseln im Takt der Musik. Eine bunte Mischung an Volk ist zu beobachten. Jung, alt, blass, gebraeunt. Tanzfreudige und nicht ganz so beweungsfreudige. Ich stelle fest: „Weisse haben eindeutig den schlechteren Groove und bewegen sich nicht so elegant-lasziv wie die Locals“. Ein Mann bietet seine Palmflechtarbeiten an. Und erstaunlicherweise scheinen viele der Besucher in Kauflaune zu sein. Einer der Musiker kommt offenbar zu spaet und wird vom Chef erst geruegt und dann des Platzes verwiesen. Hartes Regiment. Gleich darauf werden auch schon seine Trommeln entsorgt.

Der Stimmung im Volk und der Qualitaet der Musik tut das keinen Abbruch. Im Gegenteil, die Jungs an den Pans steigern sich noch und die Massen stehen dicht gedraengt. Mittlerweile sinkt die Sonne unaufhaltsam dem Horizont entgegen und ein weiterer Hoehepunkt des sonntaeglichen Spektakels hier auf Shirley Heights Lookout steht an. Obwohl das fuer uns jetzt nicht sooo spektakulaer ist, da haben wir schon eindrucksvollere Sonnenuntergaenge gesehen. Mag aber auch am diesigen Licht liegen. Schoen ist er trotzdem, der Sonnenuntergang aus einer fuer uns doch etwas neuen Perspektive. Schweren Herzens entschliessen wir uns, den Heimweg anzutreten. Dieses Mal und in Anbetracht der fortschreitenden Dunkelheit waehlen wir den 2 Kilometer langen Asphaltweg, der uns dafuer dann aber auch direkt nach Falmouth Harbour bringt. Vorbei an unzaehligen Autos und Taxibussen gehen wir im schwindenden Tageslicht bergab. Geniessen noch letzte Ausblicke auf die Nachbarbucht, sehen ein Stueck des Indian River Verlaufs und die Muendung. Von oben begleiten uns die Steelband Klaenge, von unten droehnt uns die Musik vom Beer-Festival in Nelson Harbour entgegen. Es ist dunkel geworden und wir muessen schon aufpassen, faellt doch der Randstreifen rechts von uns teilweise ganz gut ab. Auch die Beleuchtung laesst zu wuenschen uebrig. Ein Mitfahrangebot schlagen wir aber trotzdem tapfer aus. Immerhin gibt es mittlerweile Strassenlaternen, Haeuser und Hinweisschilder – wir sind auf dem richtigen Weg. „Hoffentlich verfehlen wir den links abbiegenden Weg nicht, dann laufen wir laenger“. Wir verfehlen nicht, schnaufen (schon wieder) einen kleinen Berg hinauf. „Hello“ – „War da wer??“ „Ja, da sitzt einer auf seiner Veranda“ – „Und da vorne rechts, da steht einer“. Ein kleiner Esel kuschelt sich auf dem Randstreifen an einen Zaun und moechte offenbar nur seine Ruhe haben. Noch ein paar Meter, dann haben wir es geschafft und es geht wieder bergab. Unter uns liegen die Lichter von Falmouth Harbour, leuchten die angestrahlten Masten der Megayachten herauf und schaukeln die Sterne des Ankerplatzes ueber dem Wasser.

Absacker im Mad Mongoose. Wir treffen Cindy, die Kanadierin wieder. Mit Schwester und Freund und auf dem Weg zu Shirley Heights. Mit dem Auto und bewaffnet mit einigen Rumpunsch-Bechern. Man weiss ja, was einen preislich dort oben erwartet und wenn es hier im Mongoose den Rum heute gratis gibt …. Shirley Heights, jetzt waren wir also auch dort und koennen mitreden. Und auch wenn wir von einigen hier gehoert haben, dass es zu touristisch, zu teuer und ueberhaupt sei, finden wir: das sollte man gesehen und erlebt haben! Und wenn man ueber den Trail zu Fuss hinauf kraxelt, muss man auch keinen Eintritt zahlen (immerhin 8 USD). Der entfaellt Donnerstags uebrigens auch. Dann allerdings soll es auch deutlich ruhiger zugehen bei Barbecue, Live-Musik und Sonnenuntergang auf Shirley Heights, Antigua.

Verlaufen unmoeglich - der Trail zum Shirley Heights Lookout ist super ausgeschildert

Verlaufen unmoeglich - der Trail zum Shirley Heights Lookout ist super ausgeschildert

Anlegesteg an der Galleon Beach. Hier laesst uns das Wassertaxi an Land
Anlegesteg an der Galleon Beach. Hier laesst uns das Wassertaxi an Land

Schoen gruen und teilweise schattig - der Pfad zu Shirley Heights

Schoen gruen und teilweise schattig - der Pfad zu Shirley HeightsDer Ausblick entschaedigt fuer jeden Schnaufer

Geschafft! Shirley Heights ist erreicht und sowohl English als auch Falmouth Harbour liegen uns zu Fuessen

Geschafft! Shirley Heights ist erreicht und sowohl English als auch Falmouth Harbour liegen uns zu Fuessen

Halcyon Steel Band auf Shirley Heights Lookout

Halcyon Steel Band auf Shirley Heights Lookout