Samstag, 22.03.2014 – Letzter Tag auf See und Ankunft in Salvador

Heute ist unser letzter Tag auf See. Nach dem Fruehstueck sind wir beide hellwach, kein Bedarf mehr an einem Nickerchen. Zwischendurch heisst es mal wieder motoren. Der Wind verlaesst uns. Schade, dabei lief es so gut. Dann kommt er wieder. Zaghaft erst, dann kraeftiger. Basteln an unserem Spibaum und koennen Dank diverser Kurskorrekturen und Winddrehungen Schmetterling segeln! Zwischendurch Besuch der Wassserakrobatiktruppe. Pech Jungs, haben grad keine Zeit, nach euch zu schauen, muessen auf die grossen Poette achten und den Kurs im Auge behalten. Landfall ist spannend. Und vor lauter Aktivitaet kommen wir richtig ins schwitzen. Trotz einiger Regenschauer ist es warm. Eine Dusche waere vielleicht sinnvoll, nicht dass uns nachher an Land jemand in Ohnmacht faellt wenn wir ihm begegnen. Wobei: Landgang, heute? Weiss nicht, ob mir danach schon der Sinn steht. 13: 20 bemerken wir dann so fast nebenbei, dass wir doch tatsaechlich schon Land sehen ….. Brasilien querab! Und zwar so richtig mit hellem Strand und einer Hochhaus-Skyline. Das ist mal was Neues, sonst haben wir immer irgendwie Berge oder Gebirgszuege gesehen.

Wo ist denn diese verflixte Untiefentonne? In allen Karten ist sie verzeichnet, in Natura gucken wir uns die Augen nach ihr aus und sehen nix, nada, niente …. Schon wieder so eine Tauchtonne? Dafuer sehen wir die Hochhaeuser nun sehr deutlich und den kleinen schwarz-weissen Leuchtturm an der Zufahrt zur Bucht. Ein paar grosse Frachter liegen auf Reede oder umrunden uns noch galant, um dann ebenfalls die Bucht von Salvador anzusteuern. Ein Kreuzfahrer legt ab und kommt uns entgegen. Am Wind segeln wir in die Bahia do Salvador. Am Ufer stehen kleine vereinzelte Haeuschen mit Stegen direkt am Wasser. Und eine Ansammlung ebenfalls kleiner, bunter Haeuser zieht sich einen Hang entlang. Ueber allem thront Hochhaus an Hochhaus. Motorboote flitzen durch die Bucht. Ultralaute Musik ist enorm wichtig. Hauptsache schnell und laut. Das Fort kommt in Sicht, dahinter liegt der Terminal Nautico (oder das oder die?). Leider antwortet keiner auf unseren Funkruf und die im Guide angegebene Telefonnummer ‚is not available‘. Zwei mickrige Stege liegen vor uns, davon ist nur einer mit Yachten belegt. Die Crew einer belgischen Yacht zuckt hilfsbereit mit den Schultern – Mooring?? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Wir drehen eine Ehrenrunde und laufen erneut an. Aha, Monsieur hat einen Marinero organisiert. Der weist auf die andere Seite des Steges, das ist jetzt bloed, aber gut. Bugleine ueber, Mooringleine aufnehmen, nach hinten flitzen. Pech, dass ich auf der falschen Seite nach hinten laufe – das Desaster nimmt seinen Lauf. Wir bekommen die Mooring nicht fest, das Schiff treibt quer gegen den Steg. Keine Chance, sie rumzubekommen. Werner steht am Heck und zieht an der Mooring, ich schiebe den Bug vom Dalben weg. Meine Hand ziehe ich leider nicht schnell genug zwischen Anker und Dalben raus. Autsch, das tut jetzt richtig weh. ‚Take care of your hand‘ – die hilfsbereite Belgierin ruft, etwas zu spaet. Ihr Mann versucht, uns beim ausrichten des Schiffes zu helfen. Keine Chance, jetzt haengt auch noch die Mooringleine irgendwo fest. Im Ruder! Na super. Madam findet den Liegeplatz wohl nicht adäquat genug und motzt auf ihre Art. ‚Nein, hier will ich nicht liegen‘, zeigt sich aeusserst bockig. Der Wind schiebt das Heck rum und irgendwie und –wann liegen wir erstmal laengsseits und der Dalben kann unserem Bug nicht mehr gefaehrlich werden. Grosses Palabra, einige Brasilianer kommen , schauen und gehen wieder. Die Belgier sind busy mit ihrem eigenen Boot, verweisen auf den Marinero und verabschieden sich. Wir scheinen ein hoffnungsloser Fall zu sein und letztendlich ist es ja auch unser Problem, das Schiff festzumachen. Und doch denke ich, wie anders die Menschen sind. Unsere Freunde und auch wir haetten uns wohl kaum mit dieser Begruendung verzogen. Werner schafft es immerhin auch alleine, die Mooringleine aus dem Ruder zu befreien. Pech, dass sie sich gleich schon wieder einklemmt. Dann tauchen nacheinander der Marinero, ein junger aber tatkraeftiger Brasiliano und ein aelterer Brasilianer auf. Letzter spricht – endlich – Englisch und wir koennen erklaeren, was unser Problem ist und das wir gerne mit dem Bug zum Steg liegen moechten. Mit viel Tranquillo und vereinten Kraeften schaffen wir es dann doch nach gut 1 ½ Stunden, das Schiff ordnungsgemaess festzumachen: Bug zum Steg, Heck mit der Mooring Richtung Stadt fixiert. Die ganze Aktion ist begleitet vm Ein- und Auslaufen unzaehliger kleiner Boote, von mehrfachem durchdringenden Pfeifen an einem der Gebaeude hinter uns und viel Musik. Ich hab das Gefuehl, gleich zusammen zu brechen. So hatte ich mir unsere Ankunft nicht vorgestellt. Die Hand schmerzt und ist nicht wirklich zu gebrauchen. Vorsichtig bewege ich den kleinen Finger, scheint nix gebrochen zu sein. Derweil erklaert uns Marcello – so heisst der englischsprachige Helfer – wo sein Bootsshop ist, dass wir auch einige Plaetze weiter liegen koennen (weil da 2 Moorings sind), aber erst einmal sollen wir abwarten, dass der Wind nachlaesst. Von wo wir herkaemen. Mindelo, vor 16 Tagen gestartet. Ein Laecheln geht ueber sein Gesicht, hey, great, nice boat, steel? Nix steel, nix Polyester, bleibt ja nicht mehr viel. Werner sondiert schon gleich mal die Lage, von wegen Solarpaneelhalterung schweissen und Lenzventile auswechseln. Ja, koennen wir alles machen, im Wasser oder in der Bahia Marina an Land. Im Wasser? Ja klar, ist halt deutlich teuerer wie in der Marina. Aaahh, kleiner Scherzkeks!

Um 20:38 Ortszeit sind wir tatsaechlich und richtig angekommen, liegen fest. Jetzt erstmal eine Runde Arnica und die diversen Salben und Gels rauskramen – erste Hilfe fuer meine Hand. Und dann kommt erste Hilfe fuer mein Inneres: ich heule erstmal ne Runde still vor mich hin. Muss jetzt einfach sein. Und in der Koje langlegen, wenigstens fuer eine halbe Stunde. Abendessen faellt aus, ich habe keinen Hunger mehr und Werner stillt den seinen mit Keksen und Alster, was fuer eine Mischung! Eine Ankunftsfeier nach dem Atlantic crossing sollte eigentlich anders aussehen. In der Plicht sitzend lassen wir Salvador auf uns wirken. „Hey, wir sind ueber den Atlanik“ – „Und ueber den Aequator“ und ich hab das Gefuehl, es noch gar nicht richtig realisiert zu haben. Nach seiner ersten Atlantikquerung mit der Doertita hatte sich der Kaeptn schon geschworen, das macht er noch einmal, im eigenen Schiff. Und jetzt ist es vollbracht. Und auch wenn schon viele andere Segler vor uns und noch viele nach uns den Atlantik queren – fuer uns (wie fuer jeden anderen auch) ist es etwas ganz Besonderes, vielleicht auchEinmaliges. Ich muss an Heidi denken, die immer so haette weiterfahren koennen auf dem Weg von Deutschland nach Almerimar im Mittelmeer. Immer so weiterfahren. Nach 16 Tagen auf unserer kleinen schwimmenden Insel habe ich ein aehnliches Gefuehl, koennte immer so weiterfahren. Aber das Angekommen sein ist definitiv auch schoen. Und alles ist neu. Um uns herum ist ploetzlich so viel Leben, Musik, Bootsmotoren in allen Variationen, Rufe, Pfiffe, Autos, Lichter. Der Aufzug und einige aeltere Gebaeude am Hang hinter uns sind stimmungsvoll beleuchtet. Linienbusse ziehen immer in 4er oder 5er Gruppen die Strasse hinauf. Etwas weiter oben liegt ein riesiges Kreuz vor einem dreigeschossigen, offenbar auch schon aelteren Gebaeude.

Bis weit in die Nacht tuckern und roehren die kleinen, Autoreifen bewehrten Holzboote (Faehren??) durch den Hafen, legen an und wieder ab. Ob wir vielleicht doch unser Heck mittels der mobilen Ankerlaterne etwa ausleuchten sollten, so zwecks besserer Umrundung? Wir liegen genau an der Haupteinfahrtsschneise und es geht schon recht nah an uns vorbei.

Spaeter, in der Koje, hoere ich wunderschoene Trompetenmusik. Bekannte Melodien, leicht interpretiert. Ein Klavier ganz dezent als Begleitung dazu. Dann klopft es gegen unseren Rumpf, 6-7 mal. Wer will da was von uns? Ignorieren. Spaeter klopft es wieder und die Neugier treibt mich hoch. Da ist aber keiner. Und dann wird mir klar, dass es die Festmacher oder der Steg oder beides in Kombination waren, die das Klopfen erzeugten. Die Stadt ist ruhig geworden, nur wenige Autos fahren ueber die Uferstrassen, keine Musik mehr, die Beleuchtung der Gebaeude ist stark reduziert, nur noch vereinzelte Bootsmotoren, irgendwo bellt ein Hund und ein Vogel zwitschert ganz leise vor sich hin. Der kann wohl auch nicht schlafen. Fast eine Stunde schon sitze ich hier und tippe. Geht erstaunlich gut mit meiner maltraetierten rechten Hand. Der kleine Finger ist schon nicht mehr so schmerzhaft. Moderate Bewegung scheinen im gut zu tun, auch wenn er immer noch etwas Abstand zu seinem naechsten Kollegen haelt. Sieht komisch aus, ob das jetzt so bleibt. Im Wasser platscht es manchmal mysterioes. Grosse Fische oder naechtliche Schwimmer? Aus zwei anderen Booten plaetschert es laut und anhaltend, da haben wohl noch mehr das Problem ‚Wasser im Schiff‘. Man gut, dass es automatische Lenzpumpen gibt. Das Echolot zeigt konstant 3,90 an. Stillwasser? Wuesste doch zu gerne, was wir hier bei absolutem Niedrigwasser noch unter dem Kiel haben. Die Angaben in Handbuch, Seekarten und von den Locals schwanken erheblich und die Angaben reichen von 2 Metern (zu wenig) ueber 3 Meter (waere grade noch o.k.) bis zu „no problem“ (fuer wen???) Auf jeden Fall haben wir Stillwind, kein Lufthauch regt sich. Warum ist das bei Anlegemanoevern eigentlich fast nie so????

Das Wasser scheint nicht mehr fallen zu wollen – ich habe fertig. Zumindest fuer Heute oder besser gesagt Gestern. Ab in die Koje wo der Kaeptn schlaeft wie ein Stein und wieder mal nix mitbekommt!

Aus dem Wasser aufsteigend und nach einem perfekten Bogen in den Himmel wieder im Atlantik versinkend - traumhaft schoen

Regenbogen ueber dem Atlantik: Aus dem Wasser aufsteigend und nach einem perfekten Bogen in den Himmel wieder im Atlantik versinkend - traumhaft schoen

Hafenleben - Aussicht von unserem Liegeplatz im Terminal Nautico

Hafenleben - Aussicht von unserem Liegeplatz im Terminal Nautico

Land in Sicht - die Skyline von Salvador do Bahia rueckt unaufhaltsam naeher
Land in Sicht - die Skyline von Salvador do Bahia rueckt unaufhaltsam naeher