Von der Schiffschaukel zum Schaukelschiff oder von Wellenreitern und Blitzjägern

“Von Süd nach Nord, so um Weihnachten rum - das ist HARD CORE”. Diesen Satz im Ohr und mit den neuesten, nicht gerade fröhlich stimmenden Wetterdaten versorgt, humpeln wir (bzw. der Käptn, geplagt von starken Schmerzen im linken Knie) von der Bibliothek zurück zum Strand. Nur noch das Dinghi an Deck, die Kuchenbude abbauen, dann sind wir startklar. Oder sollen wir vielleicht doch noch warten?

Letzteres ist nicht so unsere Stärke. Grosse Verabschiedung also von Karin & Wolfi von der Paranda und das Versprechen, uns sofort nach Ankunft zu melden. Die Paranda’s, das wäre auch ein Grund, noch auf Aruba zu bleiben. Wenn nicht dieser für uns gruselige, weil gar so schaukelige Ankerplatz wäre!

Also Anker auf, über Funk bei Aruba Port Control zum Ausklarieren anmelden, die Bordwand mal wieder von den scharzen Fenderreifen im 2. Dock einsauen lassen, die Klampen über Gebühr beanspruchen: eine Stunde später dürfen wir Aruba ordnungsgemäss verlassen. Nett sind sie alle, die Jungs und Mädels von Customs, Immigration und der Port Authority.

Jamaica, wir kommen!

Wir schaukeln langsam von der Insel weg, setzen Segel und lassen das A der ABC-Inseln hinter uns. Kaum sind wir aus der Abdeckung der Insel heraus, hauen die quer zur Fahrtrichtung anlaufenden Wellen unbarmherzig gegen den Schiffsrumpf. Weisse Schaumfinger recken sich drohend über die Reling - was wollen die von uns? Welle um die 3 Meter, hier hat die Wetterprognose absolut richtig gelegen. Wind -  darfs ein bisserl mehr sein, vorzugsweise in der Nacht? Klar, nehmen wir. Und kommen in den Genuss von bis zu 38 Knoten Wind. Halbwind, raumschots, wenig Wind, drehender Wind, einreffen, ausreffen, Genua rein, Fock raus und umgekehrt; das volle Programm. Und s’Schiffle gibt auch alles, ist gerade von der Autobahn auf die Schotterpiste mit Schlaglöchern abgebogen, rumpelt und ruckelt vor sich hin. In der Wetterküche zwischen ABC-Inseln und Jamaica sind wir inzwischen in einem besonders beliebten Programm angekommen: Blitze zucken, weit weg noch, bald aber schon bedrohlich nahe. Donnergrollen, Regenprasseln; klatschnass zittere ich vor mich hin bis deKäptn die Regenkluft aus dem Schapp gezerrt hat. Bei den Bocksprüngen, die unser Schiff absolviert, mache ich keinen Schritt zuviel unter Deck. Wann haben wir zuletzt das Ölzeug raus geholt? Jetzt bin ich froh über die Hightech-Matschehose Marke never schwitz, die mich relativ schnell aufwärmt. 4 Stunden hält uns das Szenario wach und auf Trab. Hatten wir in der ersten Nacht noch ein zwar bewegtes aber doch relativ entspanntes Segeln inclusive Sternenhimmel und Sternschnuppen, ist die 2. Nacht stockdunkel, wolkenverhangen und wird nur von den Blitzen um uns herum erhellt. Kann man gut verzichten.

Immer wieder passieren uns Frachtschiffe. Einige kommen recht nah, was den Käptn immer gleich zum Funkgerät greifen lässt. “Oh, you are a sailingboat ?? aaah, yes, you are in front of me, right??” Der hatte uns wohl nicht wirklich im Blick. Die moisten aber passieren uns weitab, manchmal können wir sie via AIS noch nicht einmal richtig identifizieren.

Sonnenaufgang der Güteklasse 1a. Zupp, schon ist sie wieder weg, die gute Sonne. Versteckt sich hinter eindrucksvollen Wolkenbildern, aus denen es schon wieder unheilvoll nach unten prasselt. Immerhin sind die Wellen mehr mitlaufend und auch nicht mehr so hoch. Dafür lässt auch der Wind etwas nach bzw. raumt und kommt mehr von achtern. Nicht gut, mögen wir nicht wirklich. Aber mit Etmalen von 173 und 174 nm sind wir die ersten beiden Tage und Nächte sehr gut voran gekommen, peilen daher eine Ankunft am Donnerstag bei Tageslicht an.

Aber wie das so ist -  der Wind lässt wieder einmal nach, wir wechseln die Genau gegen die Fock. Bei irgendeinem Manöver dann tänzelt unsere Steuerbordschot elegant übers Deck bis zum Bug vor. Die wird doch nicht ?? Sie wird nicht nur, sie ist es schon: ausgerauscht!!! Voller Freude übers gelungene Schelmenstück tanzt sie mit ihrer Kollegin von der Backbordseite und schon sind beide innig und mehrfach umschlungen. Nein, wir diskutieren jetzt nicht, warum das überhaupt passieren konnte. Wir wissen ja den Grund. Und da wir ja sonst grad nix zu tun haben (ausser dem bereits erwähnten einreffen, ausreffen) entwirren wir also gemeinschaftlich die beiden Schotleinen. Gut, dass die Wellen wenigstens grad ein Einsehen haben und unser Schiff sehr komod über die Wellen surft. Und ich frage mich doch immer mal wieder, was ich hier eigentlich mache. Ein Haus am Meer wäre vielleicht doch schön. “Nein, wenn schon, dann ein Hausboot auf den Flüssen und Kanälen Europas” kontert der Käptn. Ja, akzeptiert. Aber noch sind wir hier, müssen durch und weiter.

Aber irgendwann schält sich doch tatsächlich Jamaica aus den Wolken. Empfängt uns mit Regenschauern und einem doppelten Regenbogen. Lange hüllen sich die Blue Mountains in den Wolkendunst. Hier wächst der berühmte und sackteure Blue Mountain Kaffee! Wir segeln die Küste entlang nach Port Antonio und irgendwie ist der ganze Frust der vergangenen Stunden vergessen. Fasziniert bestaunen wir die üppige grüne Vegetation, die abwechslungsreiche Küstenformation der Insel. Jamaica, unsere bislang grösste Karibikinsel.

Hier auf der Nordseite der Insel wird es ziemlich ruhig, wenig Welle, kaum noch Wind. In Ruhe Segel bergen, alles fürs Anlegemanöver vorbereiten. Dann ist auch schon der kleine rot-weisse Leuchtturm querab. Wir rufen auf Kanal 16 die Erroll Flynn Marina und biegen in den gut markierten Zufahrtsweg ein. Am Dock liegt eine Megayacht längsseits, wir passen aber noch dahinter. Auf der Megayacht stehen 3 Jungs in weissem Dress und beobachten aufmerksam unser Anlegemanöver und auf dem Pier steht ein Mitarbeiter der Marina, nimmt unsere Leinen an und informiert die Behörden. Die kommen heute noch, es ist zwar schon nach 17 Uhr und somit Feierabend, aber alle tanzen sie noch einmal für uns an: Gesundheitsbehörde, Zoll und Einwanderung. Nette Jungs aber unerbittlich in der Vielfalt ihrer Formulare. Zwischendurch regnet es immer wieder. Ich sitze am Navitisch und bekomme eckige Augen. Hatte ich das Formular nicht gerade eben schonmal? Nein, das war nur so ähnlich, ich verliere den Überblick und fülle stumpf aus, was mir der Käptn von oben runter reicht. Ob wir Fleisch an Bord haben und ob jemand auf der Überfahrt hierher gestorben ist. Haben wir Tiere an Bord (ich hoffe nicht) und wie war das mit dem Fäkalientank?? Wir verneinen, bejahen, beteuern, nix wird überprüft, alles bestätigt. Dann noch die Marina-Formulare; nimmt das denn gar kein Ende? Und Kopien der Schiffspapiere sollen wir im Office noch hinterlegen. Das hat aber Zeit bis morgen. Und bitte bei Ankunftszeit 16:30 eintragen - machen wir. Bezahlen müssen wir nix, trotz erneuter Anfahrt nach Feierabend. Dann bekommen wir stolz und mehrfach von hochoffizieller Seite bestätigt, dass wir jetzt an Land gehen dürfen. Und die gelbe Flagge gegen die Landesflagge austauschen dürfen. Ob wir denn eine haben? Aber Claro! Stolz präsentieren wir unsere Jamaica-Flagge. Jetzt aber nix wie weg vom Steg und ran an die Mooring. Die kostet pro Nacht und mit 2 Personen an Bord 15 USD, incl. Abfallgebühren und Benutzung von Pool und Duschen. Absolut windstill und ruhig ist es in der Bucht von Port Antonio. Wenn man mal von der Mucke absieht, die von mehreren Seiten auf unsere Gehörgänge einprasselt.

Boah, Wahnsinn -  wir sind angekommen, haben den Hard-Core Trip zwar mit dem üblichen Durcheinander unter und an Deck absolviert. Haben die üblichen Schäden zu beklagen (gebrochene Backstagklemme, ausgerissene Klüse fürs 2. Reff), das Segel liegt ziemlich unordentlich im Lazy Bag, so ziemlich alle Sitzkissen sind patschnass und wir, wir sind irgendwie platt, müde und fertig. Es war ein anstrengender Törn hierher. Aber wir sind auch froh, hier zu sein, angekommen zu sein. Ganz sanft schaukelt unsere naja an der Mooringleine; nein, eigentlich liegt sie mehr wie festgetackert.

War es wirklich ein Hard-Core-Trip? Es gibt bestimmt einfachere Strecken mit weniger anspruchsvollem Wetter und selbst die 15 Tage Atlanktikquerung haben uns nicht so geschlaucht wie diese 3 Tage und Nächte. Aber als hard-core würden wir es jetzt vielleicht doch nicht einstufen. Was wäre denn auch die Steigerung dazu? Denn die Momente, in denen das Schiff einfach nur gut, ausgewogen und vor allem schnell segelte sind eindeutig in der Überzahl. Und auch wenn ich mir mal wieder vorgenommen habe, jetzt ist endgültig Schluss, ich segele keinen Meter mehr - irgendwie ist das wohl mit den Geburtswehen: liegt man in einer so ruhigen Bucht wie hier in Port Antonio, ist alles vergessen. Es gibt kein Fluchen mehr, kein Unwohlsein, keine Appetitlosigkeit. Vergessen sind die Verrenkungen, die man macht, um eine simplen Vorgang wie den Toilettengang zu erledigen. Was bleibt, ist ein leichter Muskelkater von der ständigen Anspannung, dem ständigen Ausgleichen der Schiffsbewegungen. Dafür kann man/frau sich wieder voll auf Moskitos und fliegende Kakerlaken konzentrieren, der Musik und dem Gezirpe der Zikaden an Land lauschen. Oder dem Lieblingssport 2Luke-auf-Luke-zu” nachgehen. Es geht doch nix über eine Vollpersenning - leider ist unser grosses Sonnensegel eingerissen und muss erst genäht werden.