Wasser. Stark, sanft, schnell, langsam, fliessend, stehend, kraftvoll. Blau, türkis, grün, schieferfarben, braun, klar, schmuddelig, salzig, süss, tragend, immer tragend. Mal mehr, mal weniger.  Mal leise, mal laut. Donnernd, brüllend. Sich über eine Felskante kühn über mehrere Meter in die Tiefe stürzend, furchtlos. Stromschnellen bildend, Strudel formend, weissen Schaum auf der smaragdgrünen Oberfäche bildend. Und immer faszinierend.
Niagarafälle … ein magischer Name, der mir vor über 40 Jahren von einer Postkarte entgengen leuchtete. Eine Postkarte, die es schon lange nicht mehr gibt. Die Niagarafälle aber liegen mir zu Füssen, berühren all meine Sinne, meine Seele. Völlig nebensächlich, wie hoch, wie breit oder ob es noch höhere, breitere, beindruckendere Wasserfälle gibt. Das hier, das ist MEIN Wasserfall. Der in dem Kind eine diffuse Sehnsucht manifestierte, die jahrelang unterdrückt und ins Unbewusste verbannt wurde und jetzt bewusst wird, sich ans Licht drängt.
Alles sauge ich auf, alles wird fotografiert. Unermüdlich, in verschiedenen Variationen. Nicht sattsehen kann ich mich am Horseshoe-Fall, an den Stromschnellen oberhalb. An dem Farbwechsel, wenn das Wasser sich über die Felskante stürzt. An der Gischt, die sich hoch über die Wasserfälle hinaus erhebt und mein Gesicht benetzt. Unten, auf den Rundfahrtschiffen, stehen rote und blaue Punkte. Die Uniform der Fahrgäste, rote und blaue Regencapes, Müllsäcken ähnelnd, aber ihren Zweck erfüllend. Regenbögen leuchten auf.
Stromschnellen geben nochmal so richtig Gas, bilden weisse Schaumkronen auf der Oberfläche bevor sich die Masse, jetzt nicht mehr türkis, sondern fast durchsichtig, ungebremst über die Kante der Horseshoe-Falls in die Tiefe stürzt. Wie ein Sog, der den Beobachter mitzieht und als Gischtwand meterhoch wieder aufsteigt. Ganz nah stehen wir an dieser Kante, lassen uns mitziehen, mit den Augen. Sehen die Auslugsboote weit unten taumeln und torkeln. Wie bunte Korken liegen sie vor der Wasserwand, werden umspannt von Regenbögen, die sich in der aufsteigenden Gischt bilden.
Auf dem Wasser geht es uniform zu, an Land dagegen ist das Motto “die Gewänder aller Herren Länder”. Hier trifft Asien auf Europa, der Buddhismus auf den Islam und so manches Kleidungsstück verrät ziemlich genau die Herkunft seiner Träger/in.
Attraktionen heissen sie, die vielfältigen Angebote. An einem Drahtseil kann man sich von einer Felsnase zur anderen rutschen lassen. Oder man fährt mit der “Maid of Mist” mitten rein in den Vorhang aus Wasser. Lässt sich benebeln und durchfeuchten von den Wassermassen. Oder man macht eine “Journey behind the Falls” - die, so erfahren wir von den Campingplatznachbarn, wahrscheinlich deshalb so preisgünstig ist, weil unspektakulär und weit hinter den Erwartungen zurück bleibend. Aufzüge bringen die höhenresistenten auf den schlanken Tower. Wo man dinieren und gucken kann. Oder nur gucken, je nach Budget. Und wer gar nicht genug von den Fällen bekommen kann, der bezieht ein Zimmer mit “Fall”sicht.  stellt sich auf den kleinen Balkon und schaut dem Spektakel aus luftiger Höhe zu. Gleich hinter dem Nobelhotel ist das Vergnügen zu Hause. Das rattert, klingelt, hupt, blinkt und musiziert. Ein Graus für unsere Ohren nix wie weg hier! Uns genügt der Blick auf die Wasserfälle, genügt die Stimme der Fälle in unseren Ohren. Warum muss der Mensch da noch Casinos, Souvenirshops noch drumherum bauen? Die eigentliche Attraktion sind die Wasserfälle. Und die kann man sich glücklicherweise noch gratis angucken.
Der Niagara Parkway führt uns bis nach Niagara-on-the-lake. Gepflegte Häuser, Parks mit Picknickmöglichkeiten, immer wieder Ausblicke auf den NIagara-River, auf Sperrwerke die Strom erzeugen oder auf Weingärten, Weingüter. Auch die Weinroute führt hier entlang. Alles ist idyllisch, ansehnlich, beruhigend aber auch touristisch. Und dann stehen wir am Lake Ontario. Haben den See auf seiner Nordseite einmal von Ost nach West erkundet. Sind mal von ihm weg gefahren, um ihm wieder ganz nah zu kommen. Haben verschiedene Facetten gesehen und erlebt und längst nicht alles gesehen. Für uns schliesst sich kein Kreis, aber irgendwie ist es schon ein Ende unserer Reise durch einen kleinen Teil Kanadas. Da wo sich Anno 18irgendwas die Amerikaner mit den Kanadiern bekämpft haben. Wo Amerika Fort George nach 2 Tagen Kampf erobert und eine Woche später wieder verloren hat, da fliegen heute die Golfbälle über gepflegten Rasen. Stehen prachtvolle Villen auf parkähnlichen Grundstücken und flanieren die Menschen entspannt am Seeufer entlang. Gut, das die “alten Zeiten” vorrüber sind und man die Grenze zwischen kanada und USA relativ unkompliziert überschreiten kann. Und hoffentlich bleibt das auch so.
Ein klein wenig vom Lake Erie werden wir noch erkunden, dann geht es wieder zurück über die Grenze, in die USA, zurück nach Virginia.
Und pünktlich um 22 Uhr wird das Donnern des Wassers übertönt. Dann ist Feuerwerk-Zeit. Die Wasserfälle werden illuminiert und mit Raketen beschossen. Zum Glück nur farbigen. Wer weiss, wie sich sonst die Felsformationen verändern würden.