MIt einem Tag Verspätung kommen wir endlich los! Nach dem Memorialday zieht es auch uns auf die Piste, Richtung Kanada. Leichen pflastern unseren Weg bis dahin.  Von Virginia nach New York, in den Staat New York, führen mehrere Strassen. Egal, welche Nummer sie auch tragen,  sie sind alle in einem weitgehend schlechten Zustand. So manches Mal kann ich mich kaum entscheiden, welchem Schlagloch ich ausweiche und falle prompt gleich in mehrere rein. LKW überholen mich mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit, die spüren die Löcher wahrscheinlich überhaupt nicht.  Ob das allerdings die Hauptursache für die vielen Reifenleichen ist, deren Reste die Strassenränder zieren? Dann müssten sich die vielen vierbeinigen Opfer beim Queren der Strasse die Haxen gebrochen haben oder in einem der unzähligen Schlaglöcher hängen geblieben sein. Es schmerzt, die vielen schönen “white tale deer’s”, die Waschbären, Füchse und Squirrels zermatscht am Strassenrand  liegen zu sehen. Die Jagdleidenschaft der US-Bürger scheint auch auf der Strasse nicht zu enden.
Grün ist es, eine abwechslungsreiche Landschaft umgibt uns. Berge. Farmland, unzählige Seen, Bäche und Flüsse. Eine atemberaubende Querung des Hudson River. Leider verpasen wir den einzigen Fotostopp zu Beginn der Brücke, auf der anderen Seite gibt es keine Haltemöglichkeit mehr.  Wir erreichen unseren ersten richtigen Campingplatz in Berkshire. Im Taconic State Park ist es noch ruhig, nur wenige Camper hat es hierher verschlagen. Wir stehen unter Bäumen, das rustikale Steinhaus mit den Toiletten dichtbei. Ob ich mich da in der Nacht evtl. mit einem Bären um die Schüssel prügeln muss? Nein, die Nacht bleibt ruhig, sehr ruhig. Kein Vergleich zu unserem ersten Übernachtungsplatz auf einem Walmart-Parkplatz. Diese Walmart Plätze sind unter den US Campern sehr beliebt, kann man hier doch problemlos die oft ellenlangen RV-Gespanne parken. Und bei Schlaflosigkeit noch eine Shoppingrunde im Walmart drehen.
Am nächsten Tag geht es noch einmal in die Bakery in Housatonic. Die ist durch eine Kochshow berühmt geworden, expandiert gerade und backt tatsächlich verschiedene, nicht nur lecker aussehende Brotsorten. Wir greifen  gleich zweimal zu.
Vermont ist erreicht. Gelbe Schilder warnen vor die Strasse kreuzenden Elchen (hier Mooses genannt) oder Schneemobilfahrern. Um die Jahreszeit???? Weit und breit ist kein Schnee zu sehen. Insider behaupten allerdings - wenn auch mit einem Lächeln - das der Vermont-Sommer am 4. Juli beginnt und am 6. Juli wieder endet. Eine kurze Poolsaison. Und die Elche seien eine wirklich tödliche Gefahr für die Autofahrer. Ihre Augen reflektieren nicht in der Dunkelheit und wenn dann so ein Brummer mal eben auf die Strasse tritt, kann das für den Autofahrer böse enden. Vorsicht ist also geboten.
Für eine Nacht geniessen wir die Gastfreundschaft von Joyce und Steve in Steves Haus am Rande der Adirondacks, wo sich Fuchs und Hase eine gute Nacht wünschen. Ein Trail führt zum Haus, danach ist nur noch Wald. Hinterm Haus plätschert ein Bach und der Garten besteht aus Gras und Farnkraut. Dafür stehen morgens schonmal die Deers vorm Fenster und Koyoten kann man auch hin und wieder sehen. Selbst gebaut hat Steve sein Haus. Während der Bauphase hat er im Zelt gelebt. Im Haus hängt noch ein selbst gebautes, wunderschönes Holzkanu und eine ebenfalls von ihm gebaute Geige. Sehr begabt, der Mann. Joyce ist sichtlich stolz auf ihn und wir sind begeistert.
Stundenlang fahren wir durch die Adirondacks, staunen über so viel Wald. Die Landschaft erinnert uns an unsere Heimat, ein bisschen was von Pfalz, Rheingau, Taunus, Sauerland, Bergisches Land und Bayern, Schwarzwald. Ähnlich und doch ganz anders. Weiter, grösser, andere Baumarten. Überall kann man sein Boot parken, sofern es ein trailerbares Motorboot ist. Seen und Flüsse gibt es reichlich. Reben und Obstbäume gedeihen rund um den grossen “Lake Champlain”.  Erdbeeren zum Selbstpflücken, auf einer riesigen Wiese stehen skurrile Skulpturen aus Altmetall und anderen Materialien. Reiterhöfe, Marinas, Sliprampen um Boote ins Wasser zu lassen - eine bunte Mischung aus allem.
Und dann ist auch schon der Grenzübergang nahe. Wir reisen in Kanada ein. Müssen angeben, wie hoch unser monatliches Einkommen ist und Fragen beantworten: warum, wie lange und überhaupt. Fast möchten wir umdrehen. Montreal heisst unser Tagesziel und das ist schon fast zuviel Stadt nach all den kleinen Ortschaften, nach der grünen Beschaulichkeit der letzten Tage. An die Verkehrsregeln muss ich mich auch noch gewöhnen. An jeder Minikreuzung stehen Stoppschilder. Und zwar an jeder einmündenden Strasse. Wer zuerst kommt, darf zuerst fahren. Das geht tatsächlich in aller Ruhe und schön der Reihe nach, da drängelt sich keiner dazwischen. In den USA gibt es diese Verkehrsregelung ebenfalls, ich hatte allerdings bislang noch nicht das Vergnügen, sie praktisch zu erproben. Ab jetzt wird auch wieder in Kilometern gerechnet und ich muss höllisch auf den Tacho achten.
Unsere erste Anlaufstelle zwecks Camping ist ein Indianerreservat. Interessantes Wohngebiet, eine kleine Marina, der St. Lorenz-Strom und einiges an unbebautem Grün - aber weit und breit kein Campingplatz. Ein eindeutiger Nachfahre der Mohawk-Indianer (nach denen das Gebiet Kahnawake benannt ist) bremst seinen grossen Pick-Up samt Anhänger unsanft ab und schüttelt den Kopf: Camping?  Nur wenn das grosse Pow Wow stattfindet. Und das ist laut einem unübersehbaren Plakat leider erst im Juli! Guter Rat ist teuer, Internet grad nicht verfügbar und die althergebrachten Aufzeichnungen verraten auch nicht viel. Das Navigationsprogramm gibt auch offline zumindest Anlaufstellen für WLAN her, lotst uns allerdings durch einen Bedienfehler meinerseits erst einmal in die Mac-Donalds-Street. Nicht gleichzusetzen mit der Gourmet-Restaurant-Kette. Vom Beifahrersitz gibt es Mecker: ausgerechnet zu MCD! Antwort der Co-Navigatorin und Fahrerin: ich habe eingegeben: bestes WLAN und nicht bestes Essen! Kurze Zeit und mehrere Stoppschilder später parken wir im Schatten ein und erweitern unser Wissen um diverse Walmart-Sationen und andere Örtlichkeiten. Der Hunger treibt uns erstmal zum Supermarkt-Parkplatz. Lecker Hähnchen essen und einen einigermassen akzeptablen Übernachtungsplatz, das gönnen wir uns heute nochmal. Morgen gibt es dann wieder richtiges Camping, mit Tisch, Stuhl, Gaskocher und evtl. packen wir auch das Zelt aus.
Montreal, nous sommes arrivés! Virginia, Maryland, Pennsylvania, New York, Vermont und jetzt Quebec. 6 Staaten in knapp 3 Tagen. Wir kommen rum.
Samstag, 02. Juni 2018
Ein frischer Wind weht uns vom Walmart-Parkplatz. Vorher aber gibt es noch einen Einkauf in unserer Herberge, das sind wir schuldig und ausserdem besteht Bedarf unsererseits. Frische Croissants, Yoghurt, ein Wäöscheleine samt Klammern stehen auf der Wunschliste. Im Getränkeregal stosse ich auf Weinflaschen. Vom Weingut JUNG! Heimatgefühle kommen auf, der Rheingau in Kanada.  We,in im Supermarkt-Regal, in Kanada? Geht eigentlich nicht. Ist aber alkoholfreier Wein wie ich beim zweiten Blick aufs Etikett feststelle.
Nächste Station ist ein ATM. Die Bank National ist schonmal ein Flopp, der Kasten verweigert meine Karte und der Schalter ist geschlossen. Lebt diese Bankfiliale vielleicht schon gar nicht mehr. Gegenüber ist ein Zugang zur Metrostation, der sieht eher aus wie bei uns der Zugang zu einer Tiefgarage. Dem Adlerauge meines Navigators war ein weiterer Bankenhinweis aufgefallen, also fix noch einen Block weiter flitzen und schon halte ich quietschgrüne, kanadische 20-Dollar-Scheine in Händen! Jetzt tummeln sich schon 3 Währungen in meiner Geldbörse, Multikulti in der Schatulle.
Durch Wohnviertel führt uns unser Weg. Zweigeschossige Wohnhäuser mit kleinen Gärten drumherum. Ins Obergeschoss führt immer eine Aussentreppe. Grün sind diese Viertel und irgendwie gemütlich. Mit Kneipen und Bars, die ihre Sitzgelegenheiten mal eben so draussen parken. Und während die Bewohner der US-Staaten sich durch Flagge zeigen wo es nur geht hervortun, zeigen die Kanadier in diesem Punkt auffallend viel Zurückhaltung. Zumindest hier in der Stadt.
Der zweite angepeilte Campingplatz ist schwer zu erreichen. Montreal baut und seine Strassen haben es auch bitter nötig. Leider zwingt uns das zu diversen Umwegen die widerum unser Navigationssystem irritieren. Aber irgendwann findet es eine neue Route und führt uns auf eine Brücke über den imposanten St. Lorenz-Strom. MItten drin, auf einer Insel, liegt ein grosser Vergnügungspark, mit Achterbahnen, Riesenrad und allem was dazu gehört. Mächtige Steinportale markieren den Eingang. Unser Navi-Dame mit dem leichten Links-Rechts-Drall (in 1500 Fuss leicht links = die Strasse macht eine Linkskurve) und dem Unterscheidungsproblem zwischen geradeaus fahren oder abbiegen (in 500 Fuss geradeaus = es geht nur “leicht” links oder “leicht” rechts, was davon ist bitteschön geradeaus???) verschafft uns eine unfreiwillige Stadtrundfahrt, gemäss unserem Motto “Umwege erweitern die Ortskenntnis”. Die besagte Brücke queren wir somit gleich 2x in jede Richtung, dann sind wir endlich wieder auf der Spur.
Am Eingang des Campingplatzes - übrigens sehr idyllisch auf dem Gelände einer grossen Marina gelegen - schüttelt man bedauernd den Kopf. Zwei junge Damen kramen ihr bestes Schulenglisch hervor, fragen nochmal rück bei der Chefin und müssen uns trotzdem wieder wegschicken. Keine Übernachtung mit dem Auto, nur RV’s dürfen hier stehen, auch keine Zelte. Wo jetzt genau der Unterschied zwischen unserem Mini-RV und einem der Mega-Dinger genau besteht, wissen die Götter. O.k, wir sind schon arg klein, haben keine Indoor-Küche und kein eigenes Bad - aber ansonsten?? Ob wir uns vielleicht mal mit dem Hinweis auf Diskriminierung wehren sollten?
Die Nachfrage beim kleineren Yachtclub nebenan wird ebenfalls negativ beschieden, Kein Verständnis für arme Segler auf ihrem Roadtrip. Immerhin dürfen wir die Toilette benutzen und Boote gucken. Etwas enttäuscht  gurken wir noch ein Stück am Wasser entlang und finden einen rustikalen Parkplatz direkt hinter der Polizeistation. Da steht schon ein grosses Wohmmobil (in den Staaten RV = Recreation Vehicle genannt). Kurze Rücksprache mit dem Fahrer: man steht schon seit gestern, keiner hat sie weg geschickt, sie wollen auch heute Nacht noch hier bleiben und wir sollen uns doch einfach daneben stellen. Machen wir. Blick auf St. Lorenz, auf Freizeitpark, Achterbahnen und Brücke inclsuive. Es rattert und kreischt von drüben. Das wär ja nix mehr für mich, nich für Geld dabei! Fahrradfahrer donnern auf dem zweispurigen, gut ausgebauten Fahrradweg an uns vorbei. Wären die Strassen so Schlaglochfrei wie die Radwege hier …. Die Kanadier sind jedenfalls sportlich, man joggt oder fährt mit dem Bike, paddelt, segelt.
Wenn es nach mir, der Fahrerin ginge, könnten wir jetzt weiter fahren. Von Montreal habe ich genug gesehen, Stadt satt. Gut, dass es nicht immer nur nach mir geht. Sonst hätten wir viele neue und tolle Eindrücke verpasst! Unweit unseres Stellplatzes legt die Fähre nach Montreal Altstadt ab. Eine Fährfahrt über den St. Lorenz Strom, das ist doch mal was. Und so geht es nicht auf eigenem Kiel, aber immerhin übers Wasser in die Altstadt. Die Fähre legt im alten Hafen an, der gar nicht so alt ausschaut.  Montreal beeindruckt uns. Mit seinen alten Gebäuden, mit dem alten Hafen, den Kirchen, den vielen Plätzen und Parks. Die Stadt ist grün und heute, am Sonntag, scheint die Sonne.  Überall gibt es Strassencafés, Park- oder Picknickbänke. Motor- und Segelboote nutzen das herrliche Wetter, der Parkplatz des Freizeitparks auf der Insel mitten im Fluss ist voll. Fluss oder Strom? Was passt besser zu diesem mächtigen Wasserlauf? Wir bummeln am Wasser entlang und lassen uns ins neu eröffnete Cruise Terminal einladen. Das punktet mit einem begrünten Dach und einem tollen Ausblick auf Stadt, Fluss und die Schleuse zum Lachine Kanal. Der wird heute nur noch von Sportbooten genutzt und hat seine Bedeutung für die Grossschiffahrt längst verloren. Umso idyllischer wirkt er auf uns.
Durch die Altstadt kann man sich mit Pferdekutschen fahren lassen, wir bevorzugen den Fussweg. Auch wenn die Kutschpferde hier deutlich besser aussehen als in Cartagena. Brunnen, Kirchen, alte und imposante Gebäude aus grauem Stein - die europäischen Vorfahren werden bautechnisch auch in Montreal nicht geleugnet. Galerien, Schnickschnackläden und unzählige Bars, Cafés und Restaurants laden so oder so zum Verweilen ein. Vom alten Marktgebäude sind wir etwas enttäuscht. Nicht vom Gebäude an sich, aber vom Inhalt. Der besteht aus Boutiquen und Shops und das Marktinnere ist derart umgestaltet, dass es nicht mehr so sehr an seine ursprüngliche Funktion erinnert. Da haben wir in Spanien schon schönere gesehen. Noch ein Abstecher zum Uhrenturm, der sehr viel Ähnlichkeit mit einem Leuchtturm hat und am Eingang der Marina steht. Hier kann man auch ein Stück Strand in der Stadt geniessen, sich die Sonne auf die Haut scheinen lassen und sich vielleicht irgendwo in den Süden träumen.
Noch einmal mit der Fähre wieder zurück zum Auto. Dann suchen und finden wir mit einem leichten Sonnenbrand und zufrieden den Weg zum Campingplatz, bauen unser Zelt auf und geniessen den Abend zusammen mit den Freunden von der SY Kassiopeia, die bereits einen Tag früher ihr Lager hier aufgeschlagen haben.
Auf Sonne folgt Regen und leider gehen auch die Temperaturen runter, die Nacht wird feucht und kühl. Wir kuscheln uns unter die Decke, schliessen alle Fenster und Türen. Im Regen durch Pfützen über den Campingplatz zur Toilette …. nicht spassig. Prompt platsche ich in die grösste Pfütze, die es weit und breit gibt. Gut, dass es nur die Flip-Flops trifft . Neidische Blicke gehen zu den riesen RV’s, die auf ihren Stellplätzen den Full-Service geniessen: Gas, Wasser, SChei…. würde der Fachmann sagen. Übersetzt für den Campingplatz: Wasser, Strom und Abwasseranschluss. Andererseits: mit so einem Monstergespann durch die Stadt kurven, das ist jetzt für mich auch nicht so erstrebenswert. Kein Wunder dass die meisten etwas weiter draussen auf einem Platz wie diesem ihren festen Standort haben.  Was man nur unschwer an den Terrassen, Pavillions und Gartenhäuschen sowie der Anzahl der drumherum geparkten Pkw erkennen kann. Nicht nur die US-Bürger sind begeisterte Camper, die Canadier stehen ihnen kaum nach.
Den Regentag verbringen wir im Untergrund. Die Metro durchzieht die Stadt und drumherum bzw. dazwischen ist eine grosse unterirdische Einkaufsstadt entstanden. Aber auch Theater, Restaurants und Musikbühnen haben hier einen trockenen, warmen Platz gefunden. Entsprechend leer ist die Fussgängerzone an Tagen wie diesem. Da der Skipper sich die Sohle vom Schuh gelaufen und jetzt einen nassen Fuss hat, machen wir uns auf den Rückweg bevor wir noch die wahren Highlights des Untergrunds entdecken können.  Den kurzen Fussmarsch von der Metro zum Parkplatz hält er noch durch, versichert er mir. Auf dem Weg zum Auto kommen wir an einer anderen Schuhsohle vorbei. Witzig, da hat noch jemand seine Sohle verloren und die sieht auch noch der seinen sehr ähnlich. Ich denk mir nix weiter. Am Auto werden die Schuhe gewechselt und jetzt weiss ich, wer die andere Sohle verloren hat! Ja, der Skipper. Bereits auf dem Weg zur Metro muss das passiert sein und ich wundere mich sehr, dass er das nicht bemerkt hat. Lag wohl daran, das es sich um die rechte Sohle handelt und er auf dieser Körperseite immer noch nur sehr wenig Gefühl in den Extremitäten hat. Er siehts gelassen. Endlich darf er sich neue Schuhe kaufen!