Fenster im Immigration-Gebäude

Fenster im Immigration-Gebäude

Immigration und Sintflut Das Immigration Büro von Cartagena ist in einem wunderschönen, alten Gebäude untergebracht. Einer Villa gleich liegt es hinter einem schmiedeeisernen Zaun in einem Garten. Die überdachte Terrasse auf der Rückseite des Gebäudes lässt Bilder vergangener Epochen aufsteigen. Dunkle, hohe Holztüren verbergen den Blick auf die dahinterliegende Büros und die hier in Cartagena in diesen Villen obligatorischen Schwingtüren mit bunten Glaseinsätzen dürfen auch nicht fehlen. Von der hohen Decke hängen verschnörkelte Lüster, der Fussboden besteht aus alten und erstaunlich gut erhaltenen Fliesen. Alles atmet Gediegenheit und den Prunk vergangener Zeiten.

Aber die Moderne hat hier Einzug gehalten. Zwar erinnert noch ein kleiner roter Nummernkasten, der sich verschämt in eine Ecke kauert an die Zeiten, wo man hier Wartenumern ziehen musste. Heute jedoch kommt man ohne eine online Terminvereinbarung kaum noch zu den Beamten. So ist die Zahl der Wartenden, die in den niedrigen Ledersesseln kauern, auch überschaubar.

Ich jedoch möchte zu Senor Jesus (schon wieder ein Jesus, Nomen est Omen) Suares, seines Zeichens Jeffe der zuständigen Abteilung für Visaverlängerungen. Ganz ohne übersetzende Unterstützung habe ich mich her gewagt, an diesem verregneten Dienstagmorgen, der die Strassen Cartagenas überflutet hat. Senor Jesus kommt somit auch schonmal zu spät und dann ist da noch eine andere Dame in seinem Büro. Aber dann bin ich schon an der Reihe und nehme Platz vor einem schlichten Holzschreibtisch der 60er Jahre.

Berit hat gute Vorarbeit geleistet, ich muss nur noch alle Dokumente vorlegen und dann wird ins Laptop gehämmert, geguckt, gescannt, gedruckt, gestempelt. Ich nutze die Zeit, um mir erst Senor Jesus (sein typisch kolumbianisches Perlenarmband hat es mir dabei besonders angetan) und dann das Interieur dieser Amtsstube etwas genauer anuschauen.

Hohe, blassgelbe Wände, nackt, kahl und unbarmherzig ausgeleuchtet von diversen Neonröhren. Auf dem Boden bilden auch hier alte Fliesen ein lebhaftes Muster. An einer Wand stapeln sich Kartons mit für mich undefinierbarem Inhalt. Drucker, Scanner, Telefon, Laptop und dahinter thront die fast überdimensional wirkende Standarde Kolumbiens. Ob die wohl immer so ein traurig herabhängendes Dasein in diesem Büro fristet? Jesus lächelt milde aus einem schlichten Goldrahmen auf uns herunter, am Fensterrahmen hängt ein Rosenkranz und auf der anderen Seite neben einem grossen Organisationsorganigram versucht ein kleines Aquarell mit einer Altstadtszene aus Cartagena fast verschämt, dem gemalten Jesus den Rang in Sachen Kunst abzulaufen.

Viel Zeit bleibt mir dazu nicht, denn schon kurze Zeit später hat der Drucker endlich das gewünschte Ergebnis geliefert und ich bekomme dieses in zweifacher Ausfertigung überreicht Mit dem Hinweis, das Herr Nagel jetzt bis zum 30.11. Zeit hat, auszureisen. Ich bin verblüfft. Das hätten wir doch auch schon letzte Woche dann so durchziehen können. Egal, ich strahle, bedanke mich vielfach und hüpfe frohen Mutes von dannen.

Es hat aufgehört zu regnen, die Strassen sind allerdings an strategisch wichtigen Stellen wie Kreuzungen immer noch geflutet. Spontan beschliesse ich, diesen Vormittag mit den besten Papa Rienas der Stadt zu krönen. Nur zwei Kreuzungen weiter und genau neben „unserer“ Tapizeria liegt die Terrassa No 19 an einer Ecke und verkauft u. a. diese leckeren frittierten Kartoffelteigbollen. Innendrin ein hartgekochtes Ei, ein paar Fleischkrümel und das ganze für 1500 Peseten. Bis zur Terassa muss allerdings jeder Schritt wohl überlegt sein und einige Umwege führen mich ein Stück in die Seitenstrassen hinein.

Cartagena bei sintflutartigem Regen - das ist auch für uns eine neue Erfahrung. Aus den höher gelegenen Grundstücken und den kleinen Seitenstrassen mit Gefälle schiesst das Wasser ungebremst auf die breiteren Hauptstrassen zu. Deren (falls überhaupt vorhandenes) Abwassersystem wird den Massen nicht Herr und ist entsprechend überflutet. Überall zischt und gurgelt es und in meinem Kopf kommen Bilder anderer Überschwemmungskatastrophen hoch. Jetzt kann ich verstehen, wie es dazu kommen kann. Die Autos bahnen sich mit eingeschalteter Warnblinkanlage im Schritttempo ihren Weg durch die Fluten. Hier sind die höheren SUV und Pickups eindeutig im Vorteil und so manches normale Auto fällt den Fluten zum Opfer, bleibt mitten auf der Strasse stehen und muss abgeschleppt werden. Die Uferstrasse in Manga scheint gänzlich unpassierbar zu sein und auch so manche andere Seitenstrasse wirkt eher wie ein Gebirgsbach. Und es regnet und regnet. Die Menschen suchen Schutz unter Vordächern, die Strassenhunde kauern sich unter die Plastiktische der Bars und vereinzelte Strassenverkäufer versuchen vergeblich, ihre Ware vor den Fluten zu schützen. Man watet vorsichtig durch die Fluten, die Schuhe geschützt durch Plastikhauben oder Gummistiefel und trotzdem fällt so manches Schuhwerk aus, wird durchweicht und halb aufgelöst einfach am Strassenrand seinem Schicksal überlassen. Sobald der Regen aufhört, läuft das Wasser relativ schnell ab Auf den Strassen der einfachen Barrios bleibt ein Gemisch aus Sand und Geröll zurück. Cartagena kehrt zur Normalität zurück - bis zur nächsten Sintflut.

Outdoor-Bereich der Immigration-Residence

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