Tages-Archiv 9. November 2016

Morgenstunde

Morgenstunde - die erste Stunde am Morgen. Wenn die Nacht dem Tag weicht, wenn es noch angenehm ist von den Temperaturen her. Wenn ich feststelle, dass ich sogar hier am Liegeplatz Internet habe, dabei die erste Tasse Kaffe geniesse. Das Wasser ruhig und fast unbewegt daliegt, die Schiffe sich in einer ganz sanften Welle leicht wiegen. Die Vögel übers Deck tippeln, an einer kleinen Regenpfütze Wasser trinken; wenn sich eine kleine Libelle an der Aloe Vera niederlässt und inne hält; der Boatyard noch schläft und die Crew auf dem Boot an unserer Steuerbordseite noch in der Koje liegt - ich geniesse diese Zeit. Und weiss doch um ihre Endlichkeit.

Stilles Wasser

Stilles Wasser

Wehmut kommt auf, Abschiedsschmerz einerseits, Vorfreude andererseits. Nur noch wenige Tage, dann wird unser Zuhause wieder an Land stehen, aufgepallt und allein gelassen. Ein klein wenig schlechtes Gewissen schleicht sich ein. Das Schiff der Verantwortung anderer überlassen, sich nicht mehr kümmern, weit weg von ihr zu sein - es fühlt sich wie Verrat an. Aber wir wissen; unsere naja gut versorgt und sicher. Und freuen uns schon jetzt auf das Wiedersehen mit ihr. Trotzdem ist es erst einmal ein Abschied, auf unbestimmte Zeit. Die Ungewissheit einerseits, der feste Wille zurück zu kehren anderseits.

Und was erwartet uns in Deutschland? Fotos vom ersten Schnee erreichen uns. Kälte, Winterzeit, Weihnachtszeit. Weihnachtsmärkte, Glühwein, Heizungswärme anstelle von Sonnenwärme. trockene klare Luft anstelle von hoher Luftfeuchtigkeit , die körperliche Aktivitäten einschränkt. Spaziergänge im Schnee, Nebel, kalter Regen, Glatteis - wie lange haben wir das schon nicht mehr erlebt? Werden wir es wirklich geniessen können oder werden wir es verfluchen?

Deutschland im Winter, das wird aber auch hoffentlich bedeuten: Zeit haben, weiter Spanisch zu lernen; Zeit, (m)ein Herzensprojekt endlich voran zu bringen. Zeit für die Familie, für Geschwister, Kinder und Freunde. Treffen mit anderen Seglern, die ebenfalls die Winterzeit hier verbringen; Zeit, um neue Pläne zu schmieden. An einer Fortsetzung unseres Lebens zu arbeiten, mit neuen Bedingungen, neuen Zielen. Zeit, uns körperlich wieder richtig fit zu machen und auch Zeit, tief durch zu atmen, alles zu sortieren, zu ordnen. Zeit, inne zu halten und die vergangenen 4 Jahre Revue passieren zu lassen. Fotos gucken, in Erinnerungen schwelgen. Gedanklich an Plätze zurück zu kehren, an denen wir uns wohl fühlten, wo wir besondere Erlebnisse und Begegnungen hatten.

Eine Zeit des „weisst Du noch….“. Aber auch eine Zeit zu erkennen, was wir wollen, neue Ziele zu definieren. Winter - die Zeit des Innehaltens, des Ausruhens für das Frühjahr, den Sommer. Für die Natur wie auch für uns. Zwangsweise, aber vielleicht gerade richtig. Manchmal braucht es eben einen Schuss vor den Bug, um zu erkennen, das man vielleicht doch nicht auf dem richtigen Weg ist. Wir sind an einer Kreuzung angekommen, Türen haben sich geschlossen, andere werden dafür aufgehen. Es liegt an uns, durch welche wir hindurch gehen.

Bilder eines Tages

Scherben bringen Glück: auf der Suche nach Kaugummi für den Käptn habe ich meine schöne Schale zerdeppert. Eine Erinnerung an Port Sollen. Lange prophezeit vom Käptn, bislang sorgsam gehütet, ist sie nun also reif für die Tonne. Kann den Käptn schon hören ‘hab ich dir doch gleich gesagt, Keramik hält nich lange auf einem Segelboot’. Immerhin hat sie 3 Jahre “gehalten”.

Nachträgliches Geburtstagsgeschenk von Berit & Dan, diesen beiden wundervollen Menschen. Liebevoll eingewickelt, verziert - alles wie es sich für ein richtiges Geschenk gehört. Und zum Vorschein kommt dann diese schöne kleine Geldbörse aus kolumbianischen Leder. Eine Erinnerung an keine einfache Zeit, eine mit Sorgen. Aber auch eine Zeit mit vielen wundervollen und unvergesslichen Begegnungen.

Jorge, unser Travelliftfahrer. Jeden Morgen bringt er seinen kleinen Vogel im Käfig mit zur Arbeit. Hängt den Käfig im Schatten an der Mauer auf und lässt das Vöglein mit seinen frei lebenden Artgenossen um die Wette zwitschern. Ob er die grosse Freiheit vermisst, ob ihm die Kollegen was von der grossen weiten Welt erzählen, die er vielleicht nur kurz kennen gelernt hat? Auch wenn Jorge sicherlich gut für ihn sorgt, es ist ein kleiner Käfig, der ihn daran hindert, seine Flügel auszubreiten und die Schwerelosigkeit des Seins zu geniessen. Ist er deshalb ein armer Vogel oder fühlt er sich vielleicht ganz wohl in seinem Käfig? Was wissen wir schon von den Wünschen, Sorgen und Nöten dieses kleinen Vogels in seinem kleinen Käfig …..