Ungeschminkt

Cartagena hat viele Stadtteile und viele Gesichter: Boccagrande, Marbella, Centro Historico, Manga, Pie de la Popa, Crisanto Luce, Bosque, Albornoz und wie sie alle heissen.

Und zu jeder Tageszeit ein etwas anderes Gesicht. Mal ungeschminkt, mal mit kräftigten Farben hübsch gemacht.

Früh am Morgen rumpelt der Bus an kleinen Ständen und Eckläden vorbei. Frühstückszeit, Zeit für einen Tinto, den kleinen Kaffee. Der aus espressogrossen Styroporbechern direkt auf der Strasse geschlürft wird. Ausgeschenkt aus unzähligen Thermoskannen, die neben einigen Süssigkeiten auf kleinen Handkarren stehen. Arepas, die fettigen, frittierten flachen Teilstücke werden bevorzugt am Morgen gegessen. Wie überhaupt frittiertes überall angeboten und verzehrt wird. Meist ist das Innenleben der Firtatas ziemlich dröge und schmeckt uns nicht wirklich. Ausnahme: Papas rienas. Dicke Kugeln, deren Innenleben aus einem Gemisch aus Kartoffelbrei, hart gekochten Eiern und hackfleischähnlichen Krümeln besteht. Auch fettig, aber irgendwie ganz lecker. Die meisten Läden verhüllen ihr Angebot noch hinter nichtssagenden Metallrolläden. Vor den Geschäften versammeln sich schon die ersten Kaufinteressenten, sitzen auf den Stufen, stehen in kleinen Gruppen zusammen. Noch geht es etwas ruhiger zu auf den Strassen und Gehwegen.

Über den Tag dann ist das Bild bunt, quirlig, laut. Es wird gehupt wenn es an der grünen Ampel nicht gleich weitergeht. Und auch sonst ist die Hupe ein wichtiges Requisit am Fahrzeug. Dementsprechend wird sie auch in vielfältigen Variationen eingebaut und ihr Klang kann je nach Situation variiert werden. Die Läden sind geöffnet und präsentieren Ihr Warenangebot: mal nur Schuhe, mal Kleidung, mal alles mögliche aus Plastik. Der Bazurto, der grosse lokale Markt ist geöffnet, allerlei Gerüche zwischen Fisch und Obst wetteifern um die Gunst der Nase. Die sich gequält abwendet und ihr Heil in Verstopfung oder Flucht sucht.

Am Abend dann wieder das Rolladenbild, auch auf dem Bazurto sind die meisten der kleinen stände verschlossen. Jetzt ist die Zeit der Grillstände und Eckkneipen gekommen. Laute Musik dröhnt aus Lautsprechern, die Spielbretter werden aufgebaut, kühles Bier nicht in den Kehlen. Die Busse werden von Getränke- und Süsswarenverkäufern geentert. Gerne verkürzt man sich die lange Busfahrt mit einer Nascherei, Nüssen, Gebäck und undefinierbaren gelben Kringeln. Alles einzeln fein säuberlich in Plastikfolie verpackt. Am Strassenrand haben sich Müllhaufen gebildet, eine Mischung aus Plastiktüten, Pappkartons, Styropor und Obstschalen.Die Müllabfuhr ist unterwegs, um alles einzusammeln und man fragt sich, ob diese Berge überhaupt in das relativ kleine Müllauto passen. Die Strassenhunde durchforsten einträchtig mit den ärmsten der Armen die Abfälle. Jetzt haben die Busse Hochkonkunktur. Alle paar Meter ruft der Beifahrer entweder „Quanta“ = stehenbleiben, da steigt jemand ein oder aus oder „Valle“ = kannst weiterfahren. Und im Bus quietscht es immer wieder „Parada“ = ich will aussteigen. Bremsen und Getriebe singen ihr Lied dazu, meist lautstark untermalt von der richtigen Musik aus dem Radio. Das Thema Busfahren - vielfältig und immer wieder faszinierend. Und für mich derzeit 2x täglich ermüdender Alltag. Und Zeit genug, die Bilder links und rechts der Strasse aufzunehmen, täglich Neues zu entdecken.

Auch die Stadtmauer rund um die Altstadt wandelt ihr Bild im Laufe des Tages. Am frühen Morgen sind die ehemaligen Schiessscharten meist noch leer. Zur Mittagszeit spenden sie jungen Leuten Schatten und am Abend werden sie von vielen Paaren aufgesucht, die sich von hier aus einen spektakulären Sonnenuntergangsblick erhoffen. Grosse, gelbe Lampen strahlen die alte Mauer später dann an und ersetzen die Sonne, sorgen für ein stimmungsvolles Bild. Oben auf der Mauer werden Selfies gemacht, sitzt man in den Freiluft-Restaurants auf dunklen Holzstühlen und geniesst den Blick aufs Meer, lässt sich eine leichte Brise durchs Haar fächeln. Am Fusse der Mauer wird Fussball gespielt und die Pferdekutschen rumpeln auf den breiten Paseo hinaus, um ihren Fahrgästen auch einen Blick von aussen auf die angestrahlte Altstadt zu gewähren.