Auf der Werft wird nicht nur gearbeitet. Es wird auch mit anderen Seglern zusammen gesessen, sich ausgetauscht, über dies und das geredet. Wir haben seit gestern neue Nachbarn auf dem Boatyard, die unter holländischer Flagge fahrende “Paddy Boy” mit den italienischen Eignern, Roberto und Juliana. Wer seine Italienischkenntnisse auffrischen möchte, für den ist vielleicht der Blog http://sy-paddyboy.blogspot.com/ ganz interessant. Sympathisch sind uns die Beiden auf Anhieb und so wird gleich schon mal etwas mehr geschwatzt wie nur das übliche, woher-wohin. Und eine Aussage der Beiden (Juliana erzählt auf Englisch und Roberto nickt eifrig und bestätigend mit dem Kopf, rollt mit den Augen) bringt uns/mich etwas zum Nachdenken. denn auch diese Beiden sagen:

„Wir sind enttäuscht von der Karibik“. - Warum hören wir das so oft von anderen Seglern? Hoffnungsfroh und mit einem bestimmten Bild vor Augen brechen jedes Jahr zig Segelyachten auf, queren den Atlantik, um in der Karibik anzukommen.

Manche - so wie wir - machen einen „Umweg“ über Brasilien, lernen so exotische Länder wie Franz. Guyana und Suriname kennen. Die irgendwie ganz schön am Tropf Europas hängen aber andererseits sehr auf ihre Selbständigkeit pochen. Unabhängig sein ja bitte, aber auf finanzielle Unterstützung der „Mütter“ verzichten? Nein, Danke, das denn doch nicht.

Karibik. Palmen, weisser Sandstrand, blaues Wasser. Dem Himmel so nah, nicht nur Farbpaletten technisch gesehen. Doch welchem Himmel? Karibik, wie wir sie erleben präsentiert sich oft anders. Mit dunklem Wasser, mit schmutzigem Wasser. Überhaupt Schmutz, das ist die Kernaussage dessen, was viele so stört. Der Schmutz.

Gibt es in Europa, unseren Heimatländern keinen Schmutz? Gerade Italien als ein Südland ist ja nicht gerade für Ordnung und Sauberkeit „berühmt“. Und doch sind es nun auch italienische Segler, die uns sagen: „überall ist es so schmutzig und die Menschen hängen einfach nur rum, wollen Geld für  nichts-tun“.

Ist es wirklich nur der Schmutz, der stört? Sind wir nicht alle los gezogen, um das fremdländische, die andere Kultur, ein anderes Leben kennen zu lernen, zu er-leben? Und wenn wir dann mittendrin sind, stellen wir fest, das ist ja gar nix für uns? Schon merkwürdige Kreaturen, wir Menschen.

Mal fehlt uns dies, mal jenes. Wasserfälle und Regenwald, schön. Hast Du einen gesehen, kennst Du alle. Stimmt das wirklich? Ist nicht doch jeder Regenwald auf jeder Insel ein klein wenig anders? Mal fehlt uns ein ansehnliches Architekturbild, mal ein gut sortierter Obst- und Gemüsemarkt der mit bunten Bildern und Wohlgerüchen unsere Sinne anspricht. Mal sind wir zu weit weg von der Stadt, mal zu nah dran. Mal ist es zu laut, mal zu still (und Internet gibt es in der Stille meist auch keines).

Oder ist es vielleicht auch mehr das Klima, die Hitze, die schwüle Feuchtigkeit. Die uns lähmt, unsere Gedanken, unsere Entschlussfreudigkeit klebrig werden lässt. Die uns freudig den Seetagen entgegen sehen lässt. Die von klaren Strukturen geprägt sind, von einem Gleichklang, von einer gewissen Routine und der Möglichkeit, auch selbst einfach nur abzuhängen. Ohne schlechtes Gewissen. Einfach, weil grad nix zu tun ist. Weil man nur dasitzen und Wellen, Wolken und vielleicht ein paar Walen oder Delphinen zuschauen kann. Dann sind wir zufrieden und schauen doch erwartungsfroh der grauen Linie am Horizont entgegen, die den nächsten Landfall ankündigt. Eine neue Insel, ein neues Land, in der Karibik. Wird es anders sein, aufregender, sauberer? Sind die Menschen hier aktiver oder hängen sie auch meist nur ab? Hektik und Hitze, das verträgt sich einfach nicht. Abhängen im Schatten füllt auch einen Teil unseres Tages aus. Und doch haben wir dabei das Gefühl, etwas zu verpassen. So recht geniessen können wir es nicht, das abhängen. Wir Europäer schwitzen lieber aktiv vor uns hin, erklimmen in der besten Mittagshitze ein Fort oder brechen schon früh am Morgen zu einer Rundfahrt mit dem Leihwagen auf um spät am Abend mit zig Kilometern auf dem Tacho und viel gesehenem auf der hirneigenen Festplatte völlig erschöpft in die Koje zu fallen. Oder wir hecheln zum ixten Male von einem Boatyard zum anderen, von einem Laden zum nächsten. Auf der Suche nach dem besten Service, dem gewünschten Schräublein, der neuen Lichtmaschine.

Leben in der Karibik. Viele flüchten nach kurzer Zeit bereits wieder. Es zieht sie zurück nach Europa, zu den Azoren, ins Mittelmeer oder gar ganz nach Hause. Nach Deutschland oder wo auch immer das ist. Ein paar gehen durch den Panama-Kanal und in den Pazifik. Suchen Seglers gelobtes Land dort. Und finden andere Inseln. Mit anderen Menschen und Kulturen. Sind diese Inseln sauberer, besser? Welche Vorstellungen haben diese Segler vom Pazifik und werden diese erfüllt? Ist es Natur pur, ohne Abzocke, ohne Kriminalität? Oder jagen wir einem weiteren Mythos hinterher und finden erstaunt eine Realität, die wir uns so nicht vorgestellt hatten? Hören wieder von “alten Hasen”: ja, vor ein paar Jahren hättet ihr hier sein müssen, da war alles viiiiiil besser!”

Und wären wir wieder zurück in Europa, was würde uns dann fehlen? Was würde uns dort stören? Die hohen Preise in den Marinas? Das Überangebot im Supermarkt? Die leichtere Beschaffbarkeit von Ersatzteilen fürs Schiff? Oder die Tatsache, dass auch hier der Müll mal nicht fachgerecht entsorgt wird, die Häuser in einem fragwürdigen und wenig ansehnlichen Zustand sind, die Autos genau so viel Staub aufwirbeln und Dreck in die Luft schleudern. Oder die Kälte in den Herbst- und Wintermonaten, der Nebel und der Schnee; der viele Regen, der uns nach kurzer Zeit nicht nur durchnässt, sondern auch auskühlt. Die Tatsache, das man Strümpfe, Schuhe, lange Hosen und Pullover tragen muss, während wir hier die meiste Zeit nur leichtbekleidet durch die Gegend hüpfen (wenn wir denn mal hüpfen). Oder würden wir es wirklich ganz bewusst wieder geniessen, vielleicht auch nach gemässigteren Alternativen suchen. Doch welche Alternativen wären das? Jeder findet ein Haar in der Suppe, irgendwas ist immer nicht passend. Das Paradies auf Erden, liegt es vielleicht in uns selbst?

Karibik - Wunschtraum oder Wahnvorstellung? Sehen wir die bunten Bilder der Prospekte von Orten, die wir kennen, sagen wir: „wow, so sieht das da aus??“ Papier ist geduldig, Fotografen sind kreativ und moderne Programme der Bildgestaltung machen heute vieles möglich. Vielleicht sind es die unterschiedlichen Blickwinkel die wir haben. Vielleicht sieht man ein Land wirklich ganz anders, wenn man mit einem Boot ankommt und sich um alles selbst kümmern muss. Kein all-inclusive hat.

Wären die, die zu Hause bei der Erwähnung wo wir sind in Entzückensschreie ausbrechen, hier wirklich glücklich? Würden Sie sich wohlfühlen und sagen, ja, so haben wir uns das vorgestellt?

Unser Auge lässt sich nur allzu gerne täuschen, sieht gerne über vieles hinweg. Aber spätestens wenn man an einer vierspurigen Strasse steht und ordentlich Staub schluckt, der von unzähligen vorbei donnernden LKW aufgewirbelt wird, dann weiss man: wir sind in der Karibik, in Kolumbien. Denn in Deutschland würde ich mich nicht freiwillig an eine solche Strasse stellen oder an ihr entlang laufen. Und der Mythos hat spätestens dann der Realität Platz gemacht, die Gedanken sind Dank Klimaanlage im Aufenthaltsraum der Werft wieder etwas auf Trab gebracht und unser Schiff hat schon wieder einen schwarzen Bauch. Aber dieses Mal vom Antifouling-Anstrich. Der ist seit 3 Jahren mal wieder schwarz ausgefallen! Und DAS ist die harte Realität :-)