Monats-Archiv Juni, 2016

Er hat auch gar nicht gebohrt

Dem Käpt’n ist eine Zahnfüllung verloren gegangen, also muss ein Zahnarzttermin her. Diverse Empfehlungen verweisen auf Senor Ricardo Ramirez Acosta. Der hat seine Praxis in der Nähe der Stierkampfarena und man empfiehlt uns, ein Taxi zu nehmen. Telefonisch einen Termin vereinbaren, das überlassen wir einer Kolumbianerin, die praktischerweise mit einem deutschen Segler zusammen lebt und ebenfalls deutsch spricht. Mittwoch früh um 9 soll sich der Patient einfinden. Entsprechend früh haut es uns heute, am Mittwoch, aus der Koje.  Ein Taxi ist schnell gefunden, los geht es in gewohnt flottem Tempo ….. bis zum ersten Ampelstau. Der Fahrer wählt irgendwelche “Umgehungen” die gefühlt aber nur von einem Stau in den Nächsten führen. An einer Kreuzung hat es gekracht, zwei Autos sind auf Tuchfühlung gegangen; die Polizei nähert sich auf wendigen Motorrädern, um wieder etwas Ordnung ins Chaos zu bringen. Sind wir wirklich auf dem richtigen Weg? Wir wären ja etwas anders gefahren aber gut, der Herr hinterm Steuer wirds wissen. Vorbei an unzähligen Läden, durch typische Ortsteile in denen man den uns so begeisternden Baustil der Altstadt vergeblich sucht, führt die Fahrt.

Dafür tobt hier das pralle Leben. Unzählige Moto-Taxis schlängeln sich hupend links und rechts an Autos und Bussen vorbei. Dazwischen Fußgänger und Straßenverkäufer, die ihre hölzernen Obstkarren die Straße entlang schieben. Bunt ist es hier und quirlig. Cartagena wieder anders, neu, spannend. Wir saugen alles in uns auf. Dann biegt das Taxi auf eine breite Straße ein: die kennen wir doch, ist das nicht die Avenida Pedro de Herredia? Und da ist auch die Stierkampfarena. Ein Stück weiter haben wir dann das Ziel erreicht: Los Ejecutivos Centro Medico liegt rechts querab.

Überpünktlich, 8:45, betreten wir das Gebäude. Vor dem Aufzug hat sich schon eine Schlange gebildet, wir nehmen die Treppe in den 2. Stock, der ja eigentlich der 1. ist. Primera und Secundo - im spanischen gibt es kein Erdgeschoss. Zimmer 201 ist schnell gefunden, eintreten, Begrüßung durch die Sprechstundenhilfe Cindy und den freundlichen Zahnarzt und schon sitzt der Käpt’n auf dem Behandlungsstuhl. Der Termin vor ihm, um 8:30 anberaumt, hatte wohl mehr Schwierigkeiten mit dem Verkehr und trifft mit Verspätung ein, hat das Nachsehen und muss jetzt warten. Gut, das wir so früh los sind!

(Hoch-)Zeit(en) in Cartagena

Getsemani – zum gefühlt x-ten Male laufen wir durch die Gassen. Ob uns die alten Leute, die vor ihren Häusern sitzen schon erkennen? In einer Tür sind mehrere gigantisch grosse Musikboxen über- und nebeneinander getürmt,, die ganze Gasse wird damit beschallt. Ein hagerer, hutzeliger Mann tanzt uns entgegen, torkelt etwas. Na, ganz nüchtern sind wir wohl nicht mehr. Freundliches Grüssen und schon baumelt eines der allgegenwärtigen kleinen Plastiktütchen vor unseren Augen. Weisses Pulver ist darin, vielleicht 5-6 Gramm. Backpulver, Mehl oder sonstwas? Wer weiss es schon und wir haben keinerlei Ambitionen, es auszutesten.

Es verwundert uns schon etwas, so viel Polizeipräsenz und trotzdem wird ganz unverhohlen in den Strassen, auf Plätzen Drogen angeboten. Ob man vielleicht dabei aus alter Gewohnheit gerne mal wegsieht, ein Auge zudrückt? Beim Verzehr von Bier auf dem Platz de la Trinidad passiert das jedenfalls nicht: Bier trinken ist hier verboten und wird mit umgehendem Platzverweis geahndet.

Ein kleines Stück weiter, auf dem kleinen Platz an der Pizzeria Basilico werden Möbel gestrichen. Nebenan in der Garage des Schreiners lagern Holzbohlen und wir werfen fachmännische Blicke auf das Mahagoniähnliche, rötliche Holz. Ein einheimisches, hartes Holz sei das erklärt uns des Schreiners Frau, ja hatten wir uns schon so gedacht. Auf einer Bank sitzen 2 jüngere einheimische Männer und verwickeln den Käptn in ein Gespräch. Woher wir sind. Unsere Antwort löst dann meist die ständige Wiederholung von Satzfregmenten wie „alles klar, alles paletti“ aus. Und oft bekommen wir auch noch erzählt, dass es hier oder dort ein Lokal unter deutscher Regie gibt.

Im Takt - dieser Mann tanzt durch die Gassen Getsemanis und vertickt nebenbei weisses Pulver in Plastiktütchen

Im Takt - dieser Mann tanzt durch die Gassen Getsemanis und vertickt nebenbei weisses Pulver in Plastiktütchen

Ortswechsel – wir sind in der Altstadt. Cartagena ist im Fussballfieber. Gut erkennbar an den Farben rot-gelb-blau, die plötzlich alle Ecken dominieren. In den Bussen und auf den Strassen sieht man fast nur noch in gelbe Shirts gekleidete Kolumbianer. Tröten und andere Fanartikel sind über Nacht an den Verkaufsständen aufgetaucht und man wird schon fast genötigt, ein Trikot in den Farben der Nationalmannschaft zu erwerben. Und auch wenn uns die Dehnbarkeit sowohl in der Breite als auch der Länge tatkräftig unter Beweis gestellt wird, sind wir skeptisch, ob das vorgeführte Modell auch wirklich der Grösse XL entspricht.

auch diese Strassenbar hat kräftig aufgerüstet

Cartagena im Fussballfieber: auch diese Strassenbar hat kräftig aufgerüstet

In Amerika wird gerade zum 100. Mal der Copa America zelebriert. Alle Fussballmannschaften aus dem lateinamerikanischen Raum geben sich ein Stelldichein und treten mit mehr oder weniger Elan den Ball übers Feld. Kolumbien hat die ersten beiden Spiele in seiner Gruppe gewonnen, entsprechend ist die Euphorie im Lande - oder zumindest in Cartagena – gestiegen. Nicht nur die Zahl der Trikotverkäufer sondern auch die der Trikottragenden Bevölkerung nimmt stetig zu. Unter Public viewing hatten wir uns allerdings etwas anderes vorgestellt. Hier zahlt man Eintritt, erhält allerdings vom Hauptsponsor der Veranstaltung 2 Dosen Aquila Bier gratis dazu. Die Besucherzahl ist überschaubar, der Lärm aus den Boxen dafür grandios. Auf die ständigen Werbeeinblendungen könnten wir allerdings gut verzichten. Die Halbzeitpause wird durch 2 sprachgewandte Live-Moderatoren überbrückt, die sich 4 tanzfreudige junge Mädels aus dem Publikum picken. Die müssen dann zu fetziger Musik auf der höher gelegenen Bühne ihren Hüftschwung präsentieren. Das dann eine blasshäutige, blonde Australiererin den Miniwettbewerb gewinnt ist wahrscheinlich eine eher tourismusfördernde Massnahme oder der hohen Anzahl an Gringos geschuldet. Der gegen Ende einsetzende leichte Regen lässt uns einen schnellen Heimweg durch ein ruhiges Getsemani antreten. Kein Autokorso, keine Böller, keine Jubelgesänge aus Bars oder Restaurants. Was war das doch lebhaft in Brasilien, in Salvador do Bahia, nach einem Fussballspiel. Irgendwie scheinen die Kolumbianer in dem Punkt beherrschter, zurückhaltender zu sein. Hatten wir jetzt so auch nicht gedacht.

Public Viewing in Cartagena

Public Viewing in Cartagena

Stattdessen entschliesse ich mich ganz spontan, an einem der kleinen Cocteleria-Stände einen Garnelencocktail zu probieren. Stilecht aus dem Pappbecher, mit Plastiklöffel. Die dazu gereichten Cräcker in ein Stück Küchenrolle gewickelt. Dem Käptn wird beim zusehen schon schlecht: „was der alles in die Sauce gepackt hat …..das kann man doch nicht essen“. Ich kann und finde, es schmeckt gut. Nein, da sind die dicken frittierten Klossähnlichen Teile aus Kartoffeln, etwas Fleisch und einem eingebackenen Ei schon eher nach Käptns Geschmack. Leider werden die hier grad nicht angeboten.

Lecker Shrimpscocktail - stilecht im Styroporbecher, die Cräcker in Küchenpapier gewickelt - Fastfood a la Columbia

Lecker Shrimpscocktail - stilecht im Styroporbecher, die Cräcker in Küchenpapier gewickelt - Fastfood a la Columbia

Dafür bekommen wir auf der alten Stadtmauer was geboten: hier sind die Vorbereitungen für eine Hochzeitsfeier in vollem Gange. Mit Bühne für die Band, mit Blumentorbogen, mit Glaskronleuchtern unterm Pavillondach, mit zierlich anmutenden Tischen und Stühlen im Silberlook, Kerzenleuchtern aus Glas und und und. Die Paletten mit den Aquila-Bierdosen fallen in dem ganzen Edel-Dekokram kaum auf. Hoffentlich regnet es heute Abend nicht. Die Location, das Ambiente sind jedenfalls traumhaft. So heiratet man also in Cartagena de Indias … zumindest wenn man genug Geld hat. Und der Käptn stellt sich schon mal probeweise wen nauch nur kurz unter den blumenberankten Torbogen. Das ist nicht so sein Ding, nix wie weg. Die kleinen Plätze unten rund um Kirche und Museen warten schon mit neuen Ansichten auf uns.

Kurzer Blick, dann flüchtet der Skipper auch gleich wieder. Hochzeit, das ist nix für ihn. Auch wenn es nicht die eigene ist

Kurzer Blick, dann flüchtet der Skipper auch gleich wieder. Hochzeit, das ist nix für ihn. Auch wenn es nicht die eigene ist

Genau gegenüber, am Muelle Touristico, liegen die bunt geflaggten weissen Militärboote. Nummer 155 und 154 haben hier festgemacht während drüben am Kai des Marinestützpunktes alle grauen Trümmer mit Lichterketten versehen und teilweise vor Anker gelegt wurden. Sogar der schöne Dreimaster musste seinen Liegeplatz räumen. Und ein mit einer Lichterkette geschmücktes U-Boot haben wir auch noch nie gesehen. Auf die Böller, die mich fast meinen Wein verschütten lassen und die dumpf und vielfältig aus den Hochhausschluchten Mangas und Boccagrandes widerhallen, hätten wir allerdings verzichten können.

auf der Stadtmauer, mit edlem Geschirr und besonderem Mobiliar

Nobel wird hier gefeiert: auf der Stadtmauer, mit edlem Geschirr und besonderem Mobiliar

Plätze in Cartagena

Immer wieder sehenswert: Plätze in Cartagena

Und noch mehr Fotos gibt es unter diesem Link:


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Abschiedsschmerz und Vorfreude

Die ersten Stunden des neuen Tages, still sind sie. In der Pantry duftet das gestern frisch gebackene Brot; der Wasserkessel pfeift nach mir – eine Kanne Kaffee fürs Frühstück, eine Tasse Tee für jetzt gleich. Klar ist die Luft, von einer gewissen Frische und irgendwie hat sie heute auch einen besonderen, angenehmen Geruch. Keine Benzinabgase der vorbeifliegenden Taxiboote kitzeln die Nase. Vögel zwitschern. Ja, die hört man auch hier draussen auf dem Wasser.

Von den hohen Verladekränen her klingt die ewige Melodie des Tag und Nacht beliebten Spiels „Container stapeln“. Ein Schiff geht, der nächste Frachter kommt. Ein ewiges Hin und Her, ein Kommen und Gehen.

Ich geniesse diese Stunden, in der die Welt scheinbar nur mir gehört. Zumindest unsere kleine, vertraute Bordwelt. Und werde schon mal ein klein wenig Abschiedswehmütig. Die Tage fliegen dahin, mein Reisetermin und damit Deutschland rückt näher. Vorfreude auf vieles aber auch ein klein wenig Sorge werde ich im Gepäck haben. Noch nie waren Skipper und Schiff solange vor Anker auf sich allein gestellt. Immer haben wir in den letzten 4 Jahren alles gemeinsam bewältigt. Wenn jetzt der „Cullo de Pollo“ kommt? Schafft der Käptn es, die im Sturm wie Segel wirkenden Sonnensegel alleine schnell genug zu bergen? Jeden Abend muss das Dinghi hoch genommen werden, zu zweit kein Thema, allein mit etwas Lauferei und Koordination verbunden. Wird er auf sich achten? Was, wenn ihm mal nicht gut ist? Es war seine Entscheidung, hier zu bleiben. Eine Entscheidung die ich akzeptiere, auch wenn es mir schwer fällt. Oder mach ich einfach zuviel „Geschiss“ wie man im Rheingau sagt? Und ganz allein ist er ja auch nicht. Um ihn herum sind genügend mittlerweile Bekannte; Menschen mit denen er was unternehmen kann, die er trifft, im Supermarkt, in der Marinabar.

Auf Steffi’s Block „Segeln mit Yemanja“ lese ich von ihrer Vorfreude auf Deutschland. Von allem, was sie geniesst, noch geniessen wird. Und habe das Gefühl, ich muss gar nix mehr dazu schreiben, da steht schon alles. Vielleicht hat sie ein paar Kleinigkeiten nicht erwähnt. So elementare Dinge wie morgens zum Bäcker zu fahren, den Duft der frischen Backwaren in der Nase zu haben und beim Frühstück das Gefühl zu haben: ja, das schmeckt genauso gut wie es riecht. Wissen das die eiligen Menschen in Deutschland überhaupt noch richtig zu schätzen?Jedes Jahr freue ich mich, Familie und Freunde wieder zu sehen, alte Bekannte im kleinen Heimatort zu treffen. Auf dem Marktplatz zu sitzen und mit lieben Menschen am Weinprobierstand einen guten Wein zu trinken. Wie sich der Rheingau wohl verändert hat, was gibt es Neues, was wird nicht mehr sein was immer war?Die Nachbarn haben einen neuen Hund, eine andere Nachbarin ist mit ihrer Hundemeute weggezogen, in den Norden. Wie ich vor jetzt gut 11 Jahren. Das Bett wird nicht mehr sanft schaukeln und aus dem Wasserhahn in der Dusche kommt Wasser in einer mir genehmen Temperatur. Es wird nicht nach Chlor oder sonstigen Chemikalien riechen und das Handtuch mit dem ich mich abtrockne wird richtig sauber sein, flauschig duftend. Nicht, dass unsere Wäsche nicht flauschig und duftend wäre – für einen kurzen Moment, direkt nach der Waschmaschine. Aber sauber …. Sauber ist anders. Und trotzdem kann man/frau irgendwie auch gut damit leben.

Aber es wird kein in seinem schmalen Boot stehender Fischer an mir vorbei staken, kein Nachbar wird seinen Astralkörper unverhüllt zum Duschen an Deck stellen. Es werden keine Schweissbäche an mir herunter fliessen und keine Nachbarn werden zu einem Plausch heran tuckern.Anstelle von Hochhäuser und stilvollen Kolonialbauten rücken die Wälder der Taunusausläufer, die Weinberge des Rheingaus. Fachwerkhäuser, Schieferdächer, Rosenstöcke, Clematis, Lavendel; Kirschen werden reif sein in dieser Zeit während ich Erdbeeren und Spargel knapp verpasse. Der Kühlschrank ist gross und übersichtlich, für Einkäufe steht ein Auto vor der Tür, bringt mich wann und wohin ich will.

Ich werde mit einer Freundin morgens durch den kühlen Wald joggen (naja, was bei mir dann so joggen sein wird) und mit anderen werde ich stundenlang sitzen, erzählen,dabei Sekt trinken und eine Zigarette nach der nächsten rauchen bis mir kotzübel ist wie in Teenagertagen und der Schädel brummt. Wir werden über uns und Gott und die Welt reden und kein Ende finden. Werden über Feste streunen und Leute beobachten. Und ich werde jedes Wort verstehen, das gesagt wird. Denn das ist meine Welt, meine Heimat. In der alles vertraut und bekannt ist und manchmal furchtbar langweilig. Und in der ich irgendwann wieder leben werde. Wenn ich des Herumzigeunerns müde geworden bin, wenn ich mich auf das Gleichmass der Dinge freue. Wenn ich nicht mehr mit dem Wörterbuch in der Tasche laufen will und keine Lust mehr habe auf grosse Veränderungen.

Aber jetzt liegen erst einmal 9 Wochen Abenteuer und aufregende Erlebnisse in einem wunderbaren Land vor mir: in Deutschland!

Fußball ist unser Leben

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Das 3. Spiel Kolumbiens, gegen Costa Rica. Liveübertragung und wir gucken im Club Nautico. Copa America 2016 und ganz Cartagena ist im Fussballfieber

Von meinem iPhone gesendet

Hoch auf dem gelben Wagen

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Hoch auf dem gelben Wagen

Lange vorbei sind die Zeiten, in denen der ÖPNV aus gelben Pferdekutschen bestand. Viel bequemer ist es in diesen Teilen der Welt aber auch heute noch nicht, mit den neuzeitlicheren Nachfolgern, den Bussen aller Art, unterwegs zu sein.

Es ruckelt und schuckelt, knarzt und quietscht. Hupt und dudelt, die Lichtorgel blinkt im Takt der Musik und der Bremsen. Die Strasse gleicht eher einem Wellblechdach und verfügt über etliche Stolperfallen, auch für Autoreifen. Alle 50 Meter hält ein Mensch die Hand hoch und will einsteigen. Oder einer ruft im Businneren „Parada“ und will raus. Dazu Bommelvorhänge, Troddeln liebevoll von Mutti an die wellenförmige, grünplüschige Meterware gestichelt. Hochglanzfotos vom guten Stück sind in Sichtweite des Fahrers an die Windschutzscheibe gepinnt. Wenn man schon drin sitzen muss den lieben langen Tag muss man(n) doch wissen, wie der Schatz von aussen aussieht. Oder in seinen besseren Zeiten mal ausgesehen hat. Der Sitz besteht aus einem umfunktionierten Gartenstuhl, die Scheibe ist gegen allzuviel Lichteinfall durch zahlreiche Blenden und Folien geschützt. Freie Sicht nach aussen ist damit ebenfalls eher weniger gewährleistet; soviel Sonnenschutz - in Deutschland undenkbar!

In den auch während der Fahrt offen stehenden Türen hängt der Kassierer. Der ist gleichzeitig auch eine Art Rattenfänger und hält Ausschau nach willigen Opfern = Fahrgästen. Weit ausholend wedelt er die Leute mit der Hand in den Bus. Und bist Du nicht willig…. manchmal drängt sich das Gefühl auf, gleich, gleich packt er den Mensch am Strassenrand und zerrt ihn einfach rein in den Bus. Ob er jetzt in Richtung Centro will oder nicht, egal.

Fahrpläne sucht man vergebens. Es kommt ja auch immer irgendwie nach wenigen Minuten ein Bus. Und weiss man nicht so recht, wo man aussteigen muss – der Kassierer wird’s schon richten. Hilfsbereit sind sie allemal. Da werden dann auch schonmal Fahrspuren gewechselt (mit Handzeichen werden die anderen Fahrzeuge auf den Richtungswechsel aufmerksam gemacht) damit man nicht über die Strasse muss beim Ausstieg. Und wenn es sich gar nicht vermeiden lässt, hilft man den Senoras galant über die stark befahrenen Fahrbahnen. Guck an, die Machos können auch anders.

Auf der Motorhaube, kunstvoll verschnörkelt und entsprechend schwer leserlich, sind die jeweiligen Zielgebiete aufgemalt. So schnell können wir meist gar nicht lesen, wo die Fahrt hingeht. Da ist der „Centro“ schreiende Kassierer schon sehr hilfreich. Aber was, wenn wir vom Centro in die Gegenrichtung wollen? 4 Busfahrten später sind wir immer noch nicht dahinter gekommen, wo wir welchen Bus nehmen müssten, wollten wir mal nicht mit dem Taxi zur Werft rausfahren. Vielleicht erst nach Bosque und dann umsteigen? Macht irgendwie keinen Sinn, was in die eine Richtung funktioniert, muss ja auch in die Gegenrichtung möglich sein.

Unterhaltsam ist es jedes Mal und 2 von 4 Fahrten haben bis jetzt immer durch unbekannte Strassen und Viertel geführt, uns unbekannte Ecken Cartagenas gezeigt. In die es uns normalerweise auch nicht verschlagen würde. Und doch wird auch hier gelebt, gearbeitet, zur Schule gegangen, in der Eckkneipe gesessen, Fernsehen geguckt, Bier getrunken. Von den holperigen und Schlagloch übersäten „Haupt“strassen gehen sandige Schotterpisten ab, schlängeln sich kleine Hügel hinauf und gewähren Einblick in ein ärmlicheres Leben. Auf unbebauten Grundstücken rupfen Esel, Pferde oder Mulis das spärliche, staubig-graugrüne Gras ab. Schulkinder starren uns an wie Ausserirdische – Gringos sind ein seltener Anblick in diesen Bussen und wir fühlen uns entsprechend exotisch.

Mit jeder Fahrt erschliessen wir uns die Stadt ein klein wenig mehr, wird sie uns vertrauter. Wir entdecken bekannte Ecken und stellen Zusammenhänge her. Distanzen werden geringer weil vertrauter. Wir wissen, wo die Supermärkte sind und wo man in welchem Viertel einen Geldautomaten findet. Wundern uns immer wieder über den Palettenberg an einer Strasse – was daraus wohl alles gemacht wird und kostet eine Palette hier soviel wie in Deutschland?

Immer wieder hüpft der Kassierer mit einem Zettel in der Hand aus dem Bus, flitzt zu einem kleinen Stand oder einem Pavillon. Hier wird der Zettel gestempelt und weiter geht die Fahrt. Buslaufkarten, gibt es sowas? Ist Buslaufkartenstempler in Kolumbien ein angesehener Beruf?

Busfahren – in den Ländern rund um den Atlantik und auf den Karibikinseln ein Abenteuer. Viele können darauf gut verzichten, wir halten es für eine preiswerte und interessante Art der Fortbewegung. Zugebenermassen auch oft eine gefährliche. Der Zustand der Fahrzeuge ist oft schlecht, die Fahrstile schlichtweg als halsbrecherisch und selbstmörderisch zu bezeichnen. Auch sind wir oft länger unterwegs, weil Wartezeiten einkalkuliert werden müssen, die häufigen Stopps zum Ein- und Aussteigen Zeit benötigen. Busfahren in diesen Regionen, das ist nichts für Ungeduldige, für Pünktlichkeit liebende Gemüter oder solche die gerne darüber nachdenken, was da alles passieren könnte….. wir sind da bekennendermassen lieber etwas blauäugig und verschwenden möglichst keine Gedanken an das „was wäre wenn“.

Busfahren in Kolumbien – das ist nochmal eine kleine Steigerung und absolut empfehlenswert. Allein die liebevoll dekorierten Fahrerbereiche sind eine Fahrt wert!

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