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Hoch auf dem gelben Wagen

Lange vorbei sind die Zeiten, in denen der ÖPNV aus gelben Pferdekutschen bestand. Viel bequemer ist es in diesen Teilen der Welt aber auch heute noch nicht, mit den neuzeitlicheren Nachfolgern, den Bussen aller Art, unterwegs zu sein.

Es ruckelt und schuckelt, knarzt und quietscht. Hupt und dudelt, die Lichtorgel blinkt im Takt der Musik und der Bremsen. Die Strasse gleicht eher einem Wellblechdach und verfügt über etliche Stolperfallen, auch für Autoreifen. Alle 50 Meter hält ein Mensch die Hand hoch und will einsteigen. Oder einer ruft im Businneren „Parada“ und will raus. Dazu Bommelvorhänge, Troddeln liebevoll von Mutti an die wellenförmige, grünplüschige Meterware gestichelt. Hochglanzfotos vom guten Stück sind in Sichtweite des Fahrers an die Windschutzscheibe gepinnt. Wenn man schon drin sitzen muss den lieben langen Tag muss man(n) doch wissen, wie der Schatz von aussen aussieht. Oder in seinen besseren Zeiten mal ausgesehen hat. Der Sitz besteht aus einem umfunktionierten Gartenstuhl, die Scheibe ist gegen allzuviel Lichteinfall durch zahlreiche Blenden und Folien geschützt. Freie Sicht nach aussen ist damit ebenfalls eher weniger gewährleistet; soviel Sonnenschutz - in Deutschland undenkbar!

In den auch während der Fahrt offen stehenden Türen hängt der Kassierer. Der ist gleichzeitig auch eine Art Rattenfänger und hält Ausschau nach willigen Opfern = Fahrgästen. Weit ausholend wedelt er die Leute mit der Hand in den Bus. Und bist Du nicht willig…. manchmal drängt sich das Gefühl auf, gleich, gleich packt er den Mensch am Strassenrand und zerrt ihn einfach rein in den Bus. Ob er jetzt in Richtung Centro will oder nicht, egal.

Fahrpläne sucht man vergebens. Es kommt ja auch immer irgendwie nach wenigen Minuten ein Bus. Und weiss man nicht so recht, wo man aussteigen muss – der Kassierer wird’s schon richten. Hilfsbereit sind sie allemal. Da werden dann auch schonmal Fahrspuren gewechselt (mit Handzeichen werden die anderen Fahrzeuge auf den Richtungswechsel aufmerksam gemacht) damit man nicht über die Strasse muss beim Ausstieg. Und wenn es sich gar nicht vermeiden lässt, hilft man den Senoras galant über die stark befahrenen Fahrbahnen. Guck an, die Machos können auch anders.

Auf der Motorhaube, kunstvoll verschnörkelt und entsprechend schwer leserlich, sind die jeweiligen Zielgebiete aufgemalt. So schnell können wir meist gar nicht lesen, wo die Fahrt hingeht. Da ist der „Centro“ schreiende Kassierer schon sehr hilfreich. Aber was, wenn wir vom Centro in die Gegenrichtung wollen? 4 Busfahrten später sind wir immer noch nicht dahinter gekommen, wo wir welchen Bus nehmen müssten, wollten wir mal nicht mit dem Taxi zur Werft rausfahren. Vielleicht erst nach Bosque und dann umsteigen? Macht irgendwie keinen Sinn, was in die eine Richtung funktioniert, muss ja auch in die Gegenrichtung möglich sein.

Unterhaltsam ist es jedes Mal und 2 von 4 Fahrten haben bis jetzt immer durch unbekannte Strassen und Viertel geführt, uns unbekannte Ecken Cartagenas gezeigt. In die es uns normalerweise auch nicht verschlagen würde. Und doch wird auch hier gelebt, gearbeitet, zur Schule gegangen, in der Eckkneipe gesessen, Fernsehen geguckt, Bier getrunken. Von den holperigen und Schlagloch übersäten „Haupt“strassen gehen sandige Schotterpisten ab, schlängeln sich kleine Hügel hinauf und gewähren Einblick in ein ärmlicheres Leben. Auf unbebauten Grundstücken rupfen Esel, Pferde oder Mulis das spärliche, staubig-graugrüne Gras ab. Schulkinder starren uns an wie Ausserirdische – Gringos sind ein seltener Anblick in diesen Bussen und wir fühlen uns entsprechend exotisch.

Mit jeder Fahrt erschliessen wir uns die Stadt ein klein wenig mehr, wird sie uns vertrauter. Wir entdecken bekannte Ecken und stellen Zusammenhänge her. Distanzen werden geringer weil vertrauter. Wir wissen, wo die Supermärkte sind und wo man in welchem Viertel einen Geldautomaten findet. Wundern uns immer wieder über den Palettenberg an einer Strasse – was daraus wohl alles gemacht wird und kostet eine Palette hier soviel wie in Deutschland?

Immer wieder hüpft der Kassierer mit einem Zettel in der Hand aus dem Bus, flitzt zu einem kleinen Stand oder einem Pavillon. Hier wird der Zettel gestempelt und weiter geht die Fahrt. Buslaufkarten, gibt es sowas? Ist Buslaufkartenstempler in Kolumbien ein angesehener Beruf?

Busfahren – in den Ländern rund um den Atlantik und auf den Karibikinseln ein Abenteuer. Viele können darauf gut verzichten, wir halten es für eine preiswerte und interessante Art der Fortbewegung. Zugebenermassen auch oft eine gefährliche. Der Zustand der Fahrzeuge ist oft schlecht, die Fahrstile schlichtweg als halsbrecherisch und selbstmörderisch zu bezeichnen. Auch sind wir oft länger unterwegs, weil Wartezeiten einkalkuliert werden müssen, die häufigen Stopps zum Ein- und Aussteigen Zeit benötigen. Busfahren in diesen Regionen, das ist nichts für Ungeduldige, für Pünktlichkeit liebende Gemüter oder solche die gerne darüber nachdenken, was da alles passieren könnte….. wir sind da bekennendermassen lieber etwas blauäugig und verschwenden möglichst keine Gedanken an das „was wäre wenn“.

Busfahren in Kolumbien – das ist nochmal eine kleine Steigerung und absolut empfehlenswert. Allein die liebevoll dekorierten Fahrerbereiche sind eine Fahrt wert!