Copa America 2016. 100 Jahre gibt es diese Fussballveranstaltung bereits und ich hab noch nie davon gehört. Wären wir nicht grad in Kolumbien und würde Kolumbien nicht im Eröffnungsspiel gegen die Mannschaft der USA antreten – hätte es mich überhaupt jemals berührt, interessiert, erreicht? Wohl kaum.

So aber sitze ich mit einigen Fussballfans in einer kleinen Pizzeria im Stadtteil Manga. An einer Wand schickt der grosse Flachbildfernseher bunte Bilder der Eröffnungsfeier aus den USA zu uns herüber. Gespannte Vorfreude bei den Fans, einige sind sogar in die passenden gelben T-Shirts gewandet. Die sind aber irgendwie auch schon wieder out, man hat die Farbe gewechselt, mannschaftstechnisch; eigentlich wäre weiss jetzt angesagt. Im Spiel dagegen tritt Kolumbien (um meine Verwirrung perfekt zu machen) in einer Kombination aus dunkelblau mit roten und gelben Akzenten auf. Dazu quietschbunte Stollentreter und knallgelbe Knieschoner – es ist eine wahre Freude für das Auge. Blass und farblos im Kontrast dazu die Gegner: weiss mit hellblau.

Wir stärken uns für die kommende Anstrengung mit superleckerer Pizza und einheimischem Bier. Schauen zwischendurch dem Pizzabäcker bei seiner gekonnten Arbeit zu und lassen uns von den herumstehenden und –hängenden grossen Ventilatoren noch die letzten Haare vom Kopf wehen. Könnte auch gut sein, dass wir den morgigen Tag mit Halsschmerzen, verrenktem Nacken und ähnlichen Gebrechen begrüssen werden.

Dann geht’s los. Nach tanzenden, lebendigen Flaggen und einer etwas fragwürdigen Musikshoweinlage betreten die Mannschaften das Feld – das Spiel wird eröffnet. Und erstmal ist nicht viel los auf dem Rasen. Spielen die jetzt schon oder warten die noch auf was? Meine Kenntnisse von Fussball tendieren gen Null, auch nach über 10 Jahren an der Seite eines Fussball-Fans. Irgendwann kommt das Spiel aber in Gang, die Kolumbianer rasen über den Platz, den Ball für meine Begriffe gekonnt von einem Spieler zum Anderen trippelnd. Dagegen sehen die Amerikaner ziemlich blass aus und nach dem ersten Tor werden sie noch etwas blasser, der sogar mir bekannte Trainer kneift die Lippen mühsam beherrscht zusammen. Das war aber auch Klasse, der Torwart der USA wird gewissermassen überrollt, liegt längelangs auf dem Rücken – TOOOOORRRR, alle Gäste der Pizzeria jubeln und klatschen, zwei kleine Jungs in der ersten Reihe sitzend drehen sich amüsiert schauend zu uns herum. Soviel Lokalpatriotismus scheint ungewohnt zu sein – zumindest von Gringos.

Aus dem Fernseher ertönt das Stakkato eines Moderators. Fast ohne Luft zu holen jagt er Worte in einer Geschwindigkeit ins Mikrofon dass selbst Kolumbianer bei der Frage, ob sie denn alles verstehen, nur hilflos die Schultern zucken und antworten „mas o menos“. Ich bin felsenfest überzeugt: würde man den Herrn ins Stadion durchstellen, die gegnerischen Manschaften wären absolut verwirrt und unfähig, noch irgendein Tor zu schiessen oder ein gescheites Spiel auf die Beine zu stellen! Hin und wieder wird die Moderation von einem anderen, ruhigeren Sprecher übernommen, das Wortbombardement schweigt für kurze Zeit – Erholungspause für die Ohren. Beim 2:0 für Kolumbien ist aber der Wortartist nicht mehr zu bremsen; wir ebenfalls nicht.

Jede Torchance und jeder übers Netz fliegende Ball wird mit einem bedauernden, kollektiven Stöhnen unsererseits kommentiert. Und ich bin ganz baff, als es doch tatsächlich eine gelbe Karte für einen der Spieler gibt! Wird doch auf dem Spielfeld gerempelt, gestossen und fest gehalten was das Zeug hält. Und niemand interessiert sich dafür. Fällt ein Spieler aufgrund eines Zusammenstosses mit einem Anderen wird einfach weitergespielt. Nur die Berührung des Balles mit dem Arm durch ein Teammitglied der USA wird mit einem Elfmeter geahndet – der dann Kolumbien auch prompt das 2. Tor beschert. Was der sonst sehr beherrscht dastehenden grauhaarigen Trainereminenz einen wahren Gefühlsausbruch entlockt und auf der Gegenseite für ratloses Kopfschütteln sorgt. So ein Trainer hat es echt schwer.

90 Minuten plus 3 Minuten Nachspielzeit, die Amerikaner geben nochmal alles aber es reicht nicht. Kolumbien hält sie locker auf Distanz und übersteht mit diversen Spielerauswechslungen gegen Ende der Spielzeit auch noch die Nachspielzeit, ohne einen Treffer zu kassieren. Obwohl da schon noch ein, zwei Chancen für die USA bestanden.Die beiden ambitionierten Nachwuchsspieler, die das Spiel eher gelangweilt verfolgen, hält es in der Halbzeit nicht mehr auf ihren Stühlen. Sie stürmen samt Fussball den kleinen Platz gegenüber nachdem das Trippeln im Gastraum der Pizzeria mit einem strengen Blick von der grossen Schwester untersagt wurde.

Abpfiff, grosse Umarmung, Hände schütteln. Wir schreien nach der Cuenta, bezahlen und entlassen das sichtlich erleichterte Personal der Pizzeria in den wohlverdienten Feierabend. Sind wir doch tatsächlich die letzten Gäste und das Telefon für Hauslieferungen hat auch schon lange nicht mehr geklingelt. Durch ein ruhiges aber stellenweise leicht überflutetes Manga geht es nach Hause. An einigen Stellen gibt es Durchlässe von der Strasse zur Bucht, die nur etwas unter Strassenniveau liegen. Wen das Wasser dann mal etwas höher steigt, wird die jeweilige Kreuzung dann auch gleich überflutet und die Autos müssen sich vorsichtig durch die Fluten tasten oder gar einen Umweg in Kauf nehmen. Und wir dachten gleich an Wasserrohrbrüche!

Am Dingisteg haben sich die Reihen stark gelichtet und wir können ausnahmsweise ohne Probleme unsere Taxis besteigen. Ruhig liegt die Bucht da, kein Schaukeln mehr, keine grossen Wellen. Nur etwas weiter entfernt bewegt sich ein Disco-Katamaran im Schritttempo, voll beleuchtet und mit Livemusik an Bord durch die Bucht. Wochenende – Entertainmentzeit in Cartagena. Und uns ruft die Koje, spät ist es geworden.