Sonn-Tag

Und am 7. Tage sollst Du ruhen. Wir ruhen, weitgehend. Und erzwungenermassen. Denn ab 10 Uhr sind wir nicht mehr in der Lage, irgend etwas zu arbeiten. „Ist das heute noch wärmer oder täuscht das?“ – der Skipper täuscht sich nicht, sein Kreislauf rebelliert und fordert eine Zwangspause. Immerhin schaffen wir es, das gestern in der Tapizeria German Perrera abgeholte Sonnensegel zu montieren und die ebenfalls brandneuen, in stylisch dunkelrot gehaltenen Polster für unsere Outdoor-Sitzecke in Betrieb zu nehmen. Wow, nach 4 Jahren unterwegs und insgesamt 11 Jahren Boot im Wasser ( oder sollte ich besser sagen: Wasser im Boot) herrscht in unserer Plicht Luxus pur! Wir lümmeln uns auf 10cm dickem Schaumstoff, ummantelt von besagtem rotem Stoff, mit Rückenlehnen und einem Polster für die hintere Querbank. Das wird mein Sundowner-Stammplatz, hier fächelt mir die leichte Abendbrise eine Abkühlung ins Gesicht, von hier kann ich Schiff und Umgebung überblicken.

Hinter den Hochhäusern und Shoppingmalls von Boccagrande versinkt die Sonne im Meer, zaubert eine Mischung aus blau-grau und rosa-orangefarbenen Tönen auf alles. Die Fahrrinnenbojen blinken abwechselnd grün und rot, drüben auf dem Marinestützpunkt ist ein mobiler Kran vorgefahren. An der Mole liegt ein kolumbianischer Dreimaster, wedelt mit einer überdimensionalen Nationalen am Heck und gibt später noch einmal alles an Decks- und Mastbeleuchtung.

„Moin-moin“ und „die kommen aus Bremerhaven“ – wieder einmal rauscht eine schnittig-sportliche Segelyacht heran, prescht auf Armlänge an unserem Heck vorbei. Alle Gesichter sind uns zu gewandt, keiner der offenbar deutschstämmigen Herren an Bord der Yacht hat noch Augen für den Kurs. Wir moinen zurück, dann ist die Yacht auch schon irgendwo Richtung Muelle Touristico verschwunden. Wer das wohl war? Leben die hier, sind die zu Besuch? Würde uns ja schon interessieren, näheres zu erfahren, wer hier dem sonntäglichen Segel-Luxus frönt.

Ein Sonn-Tag geht zu Ende, ein fauler Tag. Auf vielen der uns bekannten Yachten sind die Dinghis heute nicht zu Wasser gelassen worden, Gammeltag, irgendwie, jedenfalls kein Landgangtag. Oder kauen wir alle noch an den Nachwirkungen des gestrigen Nachmittags? Den haben wir kollektiv im „Leon de Bavaria“, dem „Bayrischen Löwen“ verbracht. Mit Grossbildleinwand, Liveübertragung des Fussballspiels Bayern München-BVB Dortmund. Auch wenn die BVB-Fans zahlenmässig gar nicht mal so gering waren, es hat nix genutzt, die Bayern haben wieder einmal gewonnen. Und wir haben ein Stück deutscher Kultur in Cartagena, in Kolumbien entdeckt.Mit Gulasch & Spätzle, mit Bratwurst, Frikadellen & Kartoffelsalat, mit Brezen und natürlich Paulaner Weissbier. Der Wirt ist sympathisch, lebt und kneipiert seit 15 Jahren in Cartagena. Offenbar mit Erfolg. Multikulti heisst es hier, denn nicht nur die Deutschen finden den Weg in den Löwen (Immer hin haben sich inzwischen 8 deutsche Yachten bzw. deutschstämmige Bootscrews in Cartagena versammelt). Wozu wahrscheinlich auch die Live-Musik beiträgt. Rockmusik, Jazz, Jam-Sessions und der Chef frönt dem Schafkopfen. Urig ist er, der bayrische Löwe in Cartagena und wir werden sicherlich noch des öfteren den Weg hierher finden.

Das Wochenende geht zu Ende, die Ausflugsboote kehren heim. Eines davon fährt zu den Islas Rosarias. Ein Name, der in mir Trauer und immer noch Fassungslosigkeit herauf beschwört. Trauer um eine Seglerin, die hier ihre Reise beendet hat, für immer. Die auf ihrer Yacht ums Leben kam. Fröhlichkeit, Lebensfreude und Tod – so nah beinander. Die Unglücksyacht liegt unweit unseres Ankerplatzes, in einer kleinen Marina nahe des Muelle Touristico. Wartet darauf nun endlich – nach einem ¾ Jahr – von zwei Holländern übernommen zu werden, die sie nach Curacao überführen wollen. Ob der Eigner und Ehemann der Ermordeten dann wieder übernimmt oder ob sie verkauft wird? Egal was wird, es ist das Ende einer Reise, die vor einigen Jahren begann und eine ähnliche Kurslinie aufwies wie die unsrige. Der Tod begleitet uns, irgendwie, auch wenn er uns nicht wirklich berührt, Gottseidank. Aber er ist präsent. Ob es ein Segler ist, der auf St. Lucia umgebracht wird oder ein Däne, der sich auf Cuba, in Cienfuegos das Leben nimmt und erst einige Tage später an Bord seines Bootes leblos aufgefunden wird. Es sind Schicksale, die uns berühren, die wir gestreift haben. Menschen, die wir kurz kennengelernt haben oder von denen wir auch „nur“ gelesen/gehört haben. Es erinnert uns daran, dass wir nicht auf einem anderen Stern leben, dass die Welt sich auch hier ganz normal bewegt und weiterdreht, dass Dinge passieren, die nicht schön sind, die uns traurig und nachdenklich machen.

Aber daran werden wir ja auch erinnert, wenn wir an stinkenden Abfallhaufen vorbei laufen oder an abgemagerten Gestalten, deren Schlafplatz unter irgendwelchen Bäumen kleinerer Parks liegt. Die kaum Kleidung am Leib haben und deren „Bett“ aus Gras, Pappe oder im besten Fall aus einer verschimmelten, längst weg geworfenen Matratze besteht. Wie privilegiert leben wir dagegen, wie gut geht es uns. Nicht nur hier in Kolumbien.