Immer wieder hoeren oder lesen wir, dass wir beneidet werden. Das macht uns nachdenklich. Nicht weil da von “Neid” die Sprache ist. Nein, es gibt durchaus positiven Neid und wir wissen schon, dass es nicht missguenstig gemeint ist. Aber es macht uns nachdenklich, weil wir das oft so gar nicht als beneidenswert empfinden. Denn das mit dem beneiden ist echt relativ. Es ist einfach ein anderes Leben, das wir hier fuehren, kein Dauerurlaub. Klar, wir koennen uns unsere Zeit frei einteilen, besuchen exotische und auch sehr schoene Laender, lernen viel Neues kennen, kommen in Kontakt mit interessanten Menschen, es entstehen Bekannt- und Freundschaften, die wir sonst nie gemacht haetten. Aber manchmal denke ich, zum Weltenbummler muss man auch geboren sein.

Es ist auch anstrengend, all die neuen Eindruecke zu verarbeiten. Manchmal wissen wir schon gar nicht mehr, wo was war bzw. wann wir wo waren. Und wir muessen uns ja auch um alles kuemmern - wie zu Hause. Mit dem Unterschied, dass es hier noch schaukelt, dass man oft nass wird wenn man an Land faehrt. Alles muss wasserdicht verpackt werden, Salzwasser auf den Klamotten kommt richtig gut, so rein optisch und auch gefuehlsmaessig . Waesche waschen, einkaufen - das will alles organisiert sein, dauert ein Vielfaches laenger.

Ich hab noch nie in meinem Leben so viel gekocht, so viel Waesche von Hand gewaschen, so oft oeffentliche Verkehrsmittel benutzt, so viel Zeit mit Warten auf einen Bus verbracht oder so viele Kilometer zu Fuss zurueck gelegt, um Wasser, Lebensmittel oder Benzin zu bekommen. Die Tage, Wochen, Monate fliegen dahin. Und kaum sind wir irgendwo, kaum hab ich das Gefuehl “angekommen zu sein”, da geht es schon wieder weiter. Rastlos, ruhelos - vielleicht. Aber wir sind auch der Diktatur des Wetters unterworfen. Passt der Wind, um in die Richtung, zu dieser oder jenen Insel zu segeln? Wo verbringen wir die naechste Hurrikansaison? Auch der Geldbeutel hat ein Woertchen mit zu reden. Marinas sind oft teuer, Fluege aus diesem oder jenem Land nach Deutschland nicht so preiswert wie noch im Land xy. Staendig geht irgendwas kaputt, muss repariert oder gar ausgewechselt werden. Wo gibt es Ersatzteile, wo bekommen wir was Neues - immer zu moeglichst kassaschonenden Preisen, versteht sich. Mein Sohn schrieb mir vor kurzem, dass mein juengster Enkel durchgeschlafen habe, von 20 Uhr am Abend bis 8 Uhr in der Frueh. Mein Kommentar dazu: “wuerde ich auch gerne mal”. Auch das ist ein Thema: das Klima ist gewoehnungsbeduerftig, man hat Zeit fuer sich und irgendwie doch nicht. Ich komme kaum noch zum Laufen (war mir einmal sehr wichtig), entweder aus logistischen Gruenden oder aber auch weil ich als Frau durchaus oft Hemmungen habe, alleine irgendwo durch die Pampa zu hecheln. Vor allem zu Zeiten, wo es die Temperaturen erlauben wuerden. Schwimmen von Bord aus - super. Wenn dann der Nachbar erzaehlt, irgendwo einen Hai gesichtet zu haben, entspannt mich das nicht mehr so sehr. Oder es hat oft Wellen und Stroemung am Ankerplatz. Auch nicht spassig, dann schwimmen zu gehen. An den Strand fahren mit dem Schlauchboot will ebenfalls oft genug wohl durchdacht werden. In Brandungswellen anzulanden hat schon so manches Schlauchboot samt Besatzung ein unfreiwilliges Bad nehmen lassen. Ist uns letztens ja auch passiert. Da waren allerdings die Killerbienen-Drinks nicht ganz unschuldig. Aber nicht das jetzt der Eindruck entsteht, mir bzw. uns macht das alles keinen Spass!! Das ist definitiv nicht so. Und wenn ich mich ganz ganz ehrlich frage, ob ich lieber ein anderes Leben fuehren moechte, dann muss ich ebenso ehrlich sagen: NEIN.

Ich kann mir nicht mehr vorstellen, 8 Stunden oder mehr in einem Buero zu sitzen und mich egal mit was zu befassen. Wenn ich in Deutschland bin, geniesse ich es einerseits sehr, andererseits spuere ich eine gewisse Unruhe in mir und freue mich auch auf das zurueckfliegen zum Schiff. Aber auch die Partnerschaft ist an Bord nicht einfacher. Man verbringt 24/7 miteinander - mehr oder weniger. Hat wenig Rueckzugsmoeglichkeiten. Hat oft genug andere Vorstellungen von Ausfluegen, Unternehmungen oder zu bereisenden Laendern. Wuerde sich gerne einmal ein schickes Kleid kaufen, fragt sich dann aber “wozu - wann kann ich das anziehen??”. Schmuck ist oft genug tabu, weil man keine Begierde bei den armen Menschen der besuchten Laender wecken und ein UEberfallopfer werden will. Und so waere noch viel aufzuzaehlen. Die uns beneiden, steigen in ein Auto wenn sie irgendwo hin wollen; wir muessen erstmal untereinander koordinieren, wer welche Plaene/Wuensche bezueglich des Tagesablaufs hat, was erledigt werden muss. Der Trend geht bei Seglern leider nicht zum Zweitdinghi fuer die Bordfrau - in erster Linie aus Platzgruenden!

Es ist wie mit dem “Gras auf der anderen Weide” - das, was man grad nicht hat, erscheint immer erstrebenswerter, verlockender und veranlasst uns, unzufrieden zu sein. Man muss glaube ich sehr an sich arbeiten, um das zu schaetzen, was man hat. Wer ist wo gluecklicher? Welches Leben bietet wem mehr an Zufriedenheit oder Erfuellung? Anerkennung, Wertschaetzung, froehliche Stunden die man mit Freunden und/oder dem Partner verbringt; sich auch am 1000sten Sonnenauf-/untergang erfreuen, stundenlang aufs Meer gucken oder den Pelikanen beim Sturzflug zusehen koennen — das macht mich genauso gluecklich, wie mich frueher andere Dinge gluecklich gemacht haben. Es liegt im Auge des Betrachters. Und ist unser Leben beneidenswert, weil wir Fotos von blauem Himmel ueber einem palmengesaeumten Sandstrand an die Lieben zu Hause schicken koennen? Fotos, fuer die sich dann kein Mensch mehr interessiert wenn wir zu Hause sind und auch was dazu erzaehlen koennten?

Wie kurzlebig ist unsere Zeit? Nur das Jetzt und Hier zaehlt, ist interessant. Davon sind wir weit weg. Fuer uns zaehlt ganz viel. Fuer uns sind Erfahrungen wichtig, fuer uns sind Fotos von Inseln, Ankerplaetzen etc. informativ oder wecken Erinnerungen an er-lebtes.

Manchmal wuensche ich mir, dass ich diese Reise 10 Jahre frueher haette machen koennen. Aber haette ich es in diesem Alter auch wirklich machen koennen/wollen? Haette ich es dann wirklich geniessen koennen oder waere mir so manches dann vielleicht auch leichter gefallen? Faehrt doch auch die Sorge um die alt gewordenen Eltern oder um die Kinder und Kindeskinder mit. Haette ich die Familie vor 10 Jahren nicht ganz so schmerzhaft vermisst? Waere mein Selbstwertgefuehl staerker gewesen, so dass ich nicht staendig nach Anerkennung durch den Partner ringe und in Zickentum verfalle, wenn sie mir verwehrt wird? Wo bleibt meine Wertschaetzung fuer die Ermoeglichung dieses Lebens? Ist es nicht ein ganz besonderes Geschenk, das andere, kleinere Geschenke ueberfluessig werden laesst? Bin ich zu sehr in alten Verhaltens- und Denkmustern gefangen und haenge zu sehr an materiellem? Wo versteckt sich so manches Mal dieses schoene Gefuehl von Freiheit und Weite, wenn ich mich umsehe? Ein Gefuehl, dass sich frueher schon beim Anblick eines dahin stroemenden Flusslaufes einstellte oder beim Anblick des Rheintals mit seinen Weinbergen? So viel ,haette’, ,wenn’ und ,waere’.

Jetzt und hier lass ich meinen Drachen steigen. Ohne auf den Nachbardrachen zu schielen, der groesser, bunter, knisternder ist. Lasse ihn steigen und achte darauf, dass er im Wind steht, nicht abstuerzt. Lasse ihn mit den Wolken um die Wette fliegen und geniesse so viele Momente dieses Lebens wie nur moeglich.