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Voodoochile im Anmarsch auf eine freie Mooringboje
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Boatyard auf St. Kitts. Hier werden die Schiffe eingebuddelt

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Auf St. Kitts raucht es mächtig - atemberaubend, im wahrsten Sinne des Wortes

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Kleines Fischerboot - tapfer schaukeln die beiden durch die Wellen und winken uns noch fröhlich zu

5 Uhr — was fuer eine unchristliche Zeit. Vielleicht sind ja noch einige Kuschelminuten in der Koje drin, ein Rauszoegern, Verzoegern der Abfahrt? Aber was hilft das schon? Am Ende des Tages fehlt uns die Zeit und der Kaeptn mault wieder rum, dass ich nicht aus den Federn komme. Wo ich es doch bin, die es hasst, im Dunkeln irgendwo anzukommen, einen Ankerplatz suchen zu muessen. Also hoch die faulen Knochen. Kaffee kochen, dazu gibt es Pizzareste vom Vortag. Kein Fruehstueck fuer zartbesaitete Maegen. Zwei Leinen aus dem Mooringauge ziehen, das ist schon alles. Noch einmal die Nase in die Bucht strecken — das Grosssegel kommt hoch, die Genua entfaltet sich und wir runden die Petit Ille, passieren Gustavia. Segeln fast 5 Stunden auf Halbwindkurs Richtung Nevis. Vorbei an der rundlichen Saba; “das ist keine Insel fuer mich, zu rund und steil” — der Kaeptn nickt verstaendnisvoll: “wie Gomera, gell”. Genau, Irritation meiner Orientierungssinne gewissermassen vorprogrammiert.

Tiefblaues Meer, fliegende Fische und sich teilweise sehr wild gebaerende weisse Wellenpferde. Und mitten drin ein winzigkleines Fischerboot. Mit zwei Maennern darin. Schaukelt hoch und runter dass es mir vom Zusehen schon schwindelig wird. Das waere nix fuer mich. Die Beiden winken herueber, vielleicht koennen sie ja die Bewunderung und das Staunen in meinem Winken erkennen.

Statia praesentiert uns eine neue Seite, die aus einem extrem flachen Teil besteht, und in einem richtigen Vulkankrater endet. Aber selbst von hier sind einige der weissen Tanks vom OEllager auf der Westseite sichtbar. Links von Statia liegt auch schon St. Christopher, auch Kitts genannt. Flach laeuft die Insel aus an ihrem Nordzipfel, gruene Felder huellen sich in eine schweflig-gelbe Rauchwolke. Irgendwas wird abgefackelt, vielleicht die Zuckerrohrfelder? Dunkle, hohe Schornsteine strecken sich ueber die Haeuser weg, der Rauch nimmt uns den Atem. Hoffentlich sind wir bald vorbei. Von hinten kommt eine deutlich groessere Segelyacht auf, zieht laessig mit ueber 10 Knoten an uns vorbei, dreht ab. Aha, die kreuzen jetzt bestimmt. Denkste, noch ein Dreher in die andere Richtung und schon sind beide Segel weg. Unter Motor geht es weiter an der Kueste entlang. Wenige Minuten spaeter ereilt uns das gleiche Schicksal: Wind voll auf die Nase und dazu auch noch kaum noch vorhanden. 2,1 Knoten Fahrt sind uns dann doch zu wenig. Also heisst es auch bei uns, Segel weg und Maschine an.

Ist das da hinten etwa ein Travellift???? Und ein grosser noch dazu. Mr. Doyle gibt bereitwillig Auskunft und wir erfahren, dass es sich um einen 150 Tonnen Lift handelt, der Schiffe mit einer Breite von bis zu 12 Metern heben kann. Die werden dann mit dem Kiel im Erdreich eingebuddelt, die Masten werden gelegt, alles hurrikansicher verstaut und dann kann der Eigner der stuermischen Saison entgegen sehen. Die Toilette sei etwas einfach und es ist ratsam, ausreichend Insektenspray zu bevorraten. Der Kaeptn bekommt so einen merkwuerdigen Blick und will unbedingt mal nach einer Website suchen, so rein interessehalber, ob denn die Preise wirklich so “reasonable” sind wie Herr Doyle weiter ausfuehrt. Ich sag mal nix, ist ja immer mehr Rauch wie Feuer bei solchen UEberlegungen.

Die Westkueste zieht an uns vorbei. Wolken ziehen darueber weg, zaubern Schattenfiguren auf die Haenge. War das nicht eben eindeutig ein Hase? Sekunden spaeter fliesst das Gebilde auseinander, macht Platz fuer den naechsten Schatten. Abwechslungsreich sieht die Kueste aus, macht Lust auf eine Erkundung. Merkwuerdig nur, dass uns meistens die Insellandschaften besonders faszinieren und interessieren, die der heimischen Landschaft aehnelt.

“20 Meilen sind das hier die Kueste lang bis zu unserem Ziel” — wie bitte, ich hab mich wohl verhoert! War da nicht die Rede von 10 Meilen??? Ja,ja, stimmt schon, aber es sind 10 Meilen an Kitts entlang, wir wollen ja nach Nevis, das sind nochmal 10. Na nutzt ja nix, jetzt sind wir mittendrin und haben das “dicke” Teil von Kitts auch schon passiert. So ein klein wenig erinnert die Insel an ein Huehnerbein, mit einem dicken Teil, dem fleischigen Schenkel, der dann in das duenne, eigentliche Bein und einer Art Kralle endet. Gut, fuer die Kralle muss man jetzt etwas Phantasie besitzen, aber man kann es schon erkennen. In der Hauptstadt Basse Terre, also am UEbergang von Schenkel zu Bein, liegt die “Carneval Liberty”, ein Kreuzfahrer. Die laufen die Insel wohl staendig an, zeitweise sind gleich zwei der dicken Poette hier vertreten und ueberschwemmen die Insel mit ihren Gaesten. Oder auch nicht. Wie schrieb eine Freundin, die bereits hier vor Anker lagen? ,St. Kitts macht einen etwas verwahrlosten Eindruck. Und das obwohl hier die Kreuzfahrtschiffe festmachen’. Immerhin soll es auf der Insel in jedem noch so kleinen Ort eine Schule und ein Gesundheitszentrum geben. Und Beides ist ja sehr wichtig, fuer die Bevoelkerung, fuer das Leben auf einer solchen Insel.

Huehnerbein hin oder her — wirkoennen wieder segeln. Faul wie wir sind, wird nur die Genua ausgerollt. Die bringt uns immerhin auf eine Fahrtgeschwindigkeit zwischen 5 und zeitweise ueber 6 Knoten. Da wollen wir mal nicht meckern. Soviel Action macht die Bordfrau muede und ich falle in einen Tiefschlaf aus dem ich nur kurz erwache weil mein rechtes Knie voll gegen eine Ecke des Tisches donnert. Der Kaeptn grinst und ich fluche, schlafe aber umgehend wieder ein. Dieses Mal mit absturzvermeidend gelagertem Bein. Werde erst wieder puenktlich zum Anlaufen von Nevis wach.

Kurz vorher muessen wir noch ein Ausweichmanoever fahren: eine vermeintliche Fischerboje liegt genau auf unserem Kurs. Die Boje stellt sich dann als eine abgerissene Mooringboje heraus …. na, das sind ja Aussichten. Optimistisch wie wir sind, peilen wir trotzdem eine der vor Nevis bzw. vor Charlestown ausgelegten Bojen zu. Gleich die erste lassen wir dann aber wieder sausen, irgendwie fehlt da der Haltegriff dran. Peilung und Schuss auf die naechste. Die hat einen langen Tampen dran in den ein Kunststoffauge eingespleist ist. Durch dieses Auge faedelt man die Festmacherleine. Neue Technik, wieder was gelernt.

Wir gucken uns die Augen aus nach der Voodoochile. Die muesste doch auch bald kommen. Tut sie auch. Von weitem schon sehen wir die vertraute Silhouette die da unter Segeln um die Suedspitze der Insel kommt und auf den Ankerplatz von Charlestown zuhaelt. Der Kaeptn flitzt mit dem Dinghi los und irritiert die Crew der Voodoochile kurzfristig. O-Ton Uli: “muss der mir jetzt da quer kommen”. Beruhigender Peer: “der muss doch eh ausweichen”. Dann das Erkennen: “Werner!!!!”. Kurz darauf haengt auch die Voodoochile an einer Mooring und nur wenig spaeter sitzen wir zum Abendessen beisammen. Die Muedigkeit schaut uns aus allen vieren aus saemtlichen (nicht vorhandenen) Knopfloechern aber es gibt doch so viel zu erzaehlen. Unter Sternenhimmel sitzen die Maenner an Deck und besprechen moegliche Routen und unter Deck machen sich die Damen breit und ratschen. Azoren oder Europa, nach Hause, nach OEsterreich oder Deutschland, weiter gehen Richtung Pazifik, noch laenger in der Karibik, Kolumbien, Venezuela, ABC-Inseln. Was willst Du zu Hause machen? Sich um Mutter oder Vater kuemmern, zwischen Haus und Schiff pendeln? Hast Du eine wirkliche Perspektive, wuerdest Du wieder arbeiten gehen (wollen) und wenn ja, was willst Du machen? In deinen alten Job? Kaum vorstellbar fuer mich derzeit. Klar, mehr Zeit mit Familie und alten Freunden verbringen zu koennen, das hat schon was. Die Wertschaetzung wird mit der Distanz eben doch eine andere. Das was frueher selbstverstaendlich war wird jetzt zu emotionalen Highlights, zu etwas Besonderem. Irgendwie pervers: wir fuehren ein Leben, um das uns viele beneiden, von dem andere traeumen. Und wovon traeumen wir? Davon, den Garten umzugraben und neu anzulegen, von Spaziergaengen im Schnee, einem ganz normalen Alltag mit Waschmaschine im Haus, Auto vor der Tuer — alles immer und jederzeit verfuegbar, nutzbar. Einkaufen ohne gross nachzudenken, wo,wie,wann. Kuehlung? Kein Problem, steht doch ein grosser Kuehlschrank zur Verfuegung. Wasser? Kommt stundenlang aus der Leitung, einfach aufdrehen, los geht das. Ohne vorher in einen Tank einfuellen, Kanister schleppen oder einen Wassermacher anzuwerfen. Wie einfach das Leben irgendwie doch sein kann. Und dabei fuehren wir doch ein “einfaches” Leben- Zweideutig, zwiespaeltig — wie unsere Gefuehle. Muede fuehlen wir uns manchmal. Muede vom vielen Input. Wissen wir ueberhaupt noch, wo wir ueberall waren, was wir gesehen haben? Auf welchem Ankerplatz haben wir wen getroffen, wer hat uns nochmal von einer sicheren Bucht erzaehlt, auf welcher Insel war das? Alles ist einzigartig und verschwimmt, verwischt doch. Laugt uns manchmal aus, laehmt uns. Ankommen, nicht immer wieder neu los fahren. Alles seefest verstauen, ausklarieren, fahren, ankommen, einklarieren, alles wieder auspacken, alles neu erkunden. Abenteuer, Abwechslung. Aber auch ein Gefuehl von unstetem Leben. Sind wir dafuer vielleicht gar nicht so sehr geeignet? Sehnen wir uns unbewusst doch nach einem Heimat-Hafen? Den wir fuer gewisse Zeit verlassen koennen um dann mit einem Gefuehl der Geborgenheit, Zugehoerigkeit wieder zurueck zu kehren? Ist es ein Grundbeduerfnis, irgendwo einen festen Platz zu haben? Gedanken, die uns immer wieder beschaeftigen. Die nach nun bald 3 Jahren unterwegs sein irgendwie mehr Raum einnehmen, uns inne halten lassen. Reflektieren, aber auch erkennen, wie gut es uns geht, was fuer ein Leben wir fuehren. Ist das Gras auf der anderen Seite des Zaunes wirklich immer gruener?

Fuer heute ist es genug an Nachdenklichkeit und Sinnieren. Die Kojen rufen sehr laut, der Heimweg ist kurz.