Hektische Betriebsamkeit an Bord. Abreisetag unserer Freunde. Ich ziehe mir nochmal die Decke ueber den Kopf. Draussen platscht es — eine letzte Runde ums Schiff wird gedreht. Duschen, packen. Habt ihr auch alles? Ein Kaffee im Stehen. Oh, wir muessen ja noch den fuer 7 Uhr bestellten Taximan anrufen, die Fahrt bestaetigen. Am liebsten haette der gute Mann den Fahrpreis ja gestern schon im Voraus kassiert. Weiss er denn, ob wir vertrauenswuerdig sind …. Ohne Worte. Wer sagt uns denn, ob ER vertrauenswuerdig ist??? Nix da, die 150 EC$ gibt es erst bei Ablieferung der Ware am Flughafen, da lassen wir nicht mit uns handeln.

Es regnet — war ja klar, meint Rainer. Haelt aber nicht lange an. Wir bekommen Besatzung und Gepaeck tatsaechlich trocken an Land. So langsam haben wir auch UEbung im Brandungsanlanden. Der Taximan hat eine geringfuegige Verspaetung avisiert. Gut, dass unser Zeitpuffer extrem grosszuegig ausgefallen ist. Rosi und Orlando (die Inhaber des Rock Side Caf?) ziehen es allerdings vor, mit dem lokalen Taxibus zum Faehrterminal zu fahren. Die Beiden verbringen das Wochenende auf der Nachbarinsel, Hof und Hunde sind sich selbst ueberlassen. Noch eine herzliche Umarmung, Danke schoen fuer zwei wirklich schoene Tage mit viel Gastfreundschaft und einem sicheren Liegeplatz. Ist doch Orlando Taucher, legt und wartet seine Moorings selbst und ist stolz darauf, dass diese auch schwerere Schiffe halten. Was bei der Naehe zur steilen Felswand allerdings auch wichtig und beruhigend ist.

Mittlerweile und durch einige unfreiwillige “Duschen” schlauer geworden, legt die Mannschaft die Landkleidung erst nach erfolgreicher Strandung an. Mit einer nassen Buxe im Auto oder spaeter im Flugzeug zu sitzen, ist nicht so angenehm. Dann kommt das Taxi und los geht es auf die schon bekannte und immer wieder aufs Neue faszinierende Strecke nach Kingstown.

Vorbei an Haeusern verschiedenster Bauweise. Von einfachem Holzverschlag bis zu protzigem und mit Saeulen verzierten fest gemauerten Haeusern ist alles vertreten. Mal peppig bunt, mal dezent. Knallrote Daecher scheinen derzeit modern zu sein auf St. Vincent. Dazwischen viel ueppiges Gruen. Hunde, Katzen, vereinzelte Menschen. Um diese Uhrzeitbewegt sich noch nicht allzuviel auf der Insel. Gelassen und stoisch schauen die wenigen Zweibeiner dem vorbei fahrenden Taxi nach. In den kleinen Bushaltestellenhaeuschen (fuer welche Busse die urspruenglich wohl gebaut wurden?) sitzt hie und da jemand auf der Bank und wartet — auf was auch immer. Kuehe und Ziegen grasen am Strassenrand, der Baustellenbetrieb ruht noch. Kirchen und Friedhoefe huschen vorbei. Sogar in so manchem Privatgarten sieht man Grabsteine. In einem Tal stehen Haeuser auf hohen Stelzen. Die werden von oben nach unten gebaut, so wie halt Geld zur Verfuegung steht. Und bis der Ausbau der Untergeschosse erfolgen kann, nutzt man sie zum Waesche trocknen oder als Abstellplatz fuer das offenbar weltweit in jedem Haushalt zahlreich vorhandene Geroedel. Es gibt Dinge, die sind ueberall auf der Welt gleich oder aehnlich.

Durch Kingstown geht es zum Flughafen. Der ist klein, ueberschaubar. Einchecken, die unvermeidlichen Aus- und Einreisezettel ausfuellen, in dem kleinen Flughafenrestaurant noch einen Kaffee und ein Sandwich — dann heisst es Abschied nehmen. Mit Liat fliegen die Sauerlaender Jungs nach Barbados und von dort geht es am Abend mit Condor nach Frankfurt. Ein komisches Gefuehl, Abschied nach 2 Wochen Gemeinsamkeit an Bord. Ob die Beiden wohl froh sind, wieder nach Hause zu kommen, in den Luxus eines grossen Wohnhauses mit allen Annehmlichkeiten? Gerd ist ganz sicher froh, nicht mehr ueber die hohe Reling in ein wackeliges Schlauchboot klettern zu muessen.

Wir ergattern an der Strasse relativ schnell einen Taxibus, der uns zurueck nach Kingstown bringt. 2 ECD kostet die Strecke. Ein relaxter und relativ junger Rastaman sitzt am Steuer. An Passagieren wird reingequetscht, was nur irgendwie geht und an der Endstation quellen die Fahrgaeste foermlich aus der Tuer.

Samstag — Markttag. Noch mehr Obst- und Gemuesestaende. Wer soll das alles kaufen?? Hier scheinen 80% der Bevoelkerung Gartenbau zu betreiben. Die Stadt ist wieder laut und trubelig. Und doch gefaellt sie uns schon etwas besser. Obwohl — schoen ist eindeutig was anderes. Abgesehen von vereinzelten, mehr interessanten Gebaeuden und einer sehr schoenen alten Kirche in einer der hinteren Strassen entdecken wir nicht wirklich viel Sehenswertes. Der heimgesuchte Supermarkt laesst die Verbraucherherzen auch nicht wirklich hoeher schlagen. Immerhin erstehen wir an verschiedenen Marktstaenden frische Bohnen, Suppengemuese kunterbunt, Bananen und entdecken nach langer vergeblicher Sucherei ploetzlich an ganz vielen Staenden die Frucht namens Soursop. Die soll Wunder wirken bei Krebs und der sonst so skeptischer Skipper ist ganz wild darauf, diese Frucht zu kosten.

Auf dem Rueckweg stoppen wir in Barroualie. In der hiesigen Polizeistation koennen wir immigrieren, so wurde uns erklaert. Nur wo ist die Polizeistation? Der Taxi-Kassierer weist Richtung Wasser. Da runter, dann rechts. Tatsaechlich — an einem alten, ehemals hellblau gemalerten Gebaeude steht es in verschnoerkelter und nicht mehr ganz vollstaendiger Schrift: Police Station. Die Tuer des kleinen, schlichten Office steht weit offen, eine Lady ist im Gespraech mit dem einzigen anwesenden Officer. Im Hof parkt ein relativ neuer Gelaendewagen, allerdings ohne irgendwelche Polizeiembleme. Haben wir hier ueberhaupt schon mal ein Polizeiauto gesehen auf der Insel??? Nicht wirklich! Na jedenfalls sind wir hier richtig, wir bekommen einen neuen Immigrationzettel und bringen den jungen Officer schwer in die Bredouille, da wir nur einen rosa Customs-Zettel haben. Eigentlich muesste da noch zweiter Formulardurchschlag sein und den rosafarbenen wuerde er gerne behalten …. Ob uns den vielleicht die Dame in Kingstown am Freitag gemopst hat als wir unsere Gaeste auf der Immigrationbehoerde dort haben austragen lassen? Wir koennen uns partout nicht erinnern, ob wir einen oder zwei in unserer Mappe hatten. Irgendwie regelt der nette Mensch das dann doch, traegt etwas in eines der zahlreich vorhandenen Buecher ein und stempelt unsere Paesse. Die Stempelfarbe wird wohl bald alle sein, wird doch vor jeder Stempelaktion erst einmal getestet, ob der Stempel auch richtig herum gehalten wird. Fast jedes Mal ist er falsch rum. Stempel drehen, Kontrollstempelung — siehe da, jetzt steht der Stempel richtig herum auf dem Papier. Dann finaler Stempel auf Pass oder Dokument. Gleiches Procedere mit dem Datumsstempel und mit den weiteren Stempeln ebenfalls. Eine faszinierende und zeitfuellende Aktion, die mit viel Charme und Liebenswuerdigkeit durchgefuehrt wird. Wir bedanken uns artig und ziehen von dannen. Verlaufen uns kurz in den Gassen des Ortes, auf der Suche nach der Hauptstrasse. Landen in einer Sackgasse, werden freundlich gegruesst und finden urbanes Leben in einem kleinen Ort fernab von Tourismus und Sightseeing-Attraktionen. Ob sich hierher viele Auslaender verirren? Wohl kaum. Einfache Holzhuetten stehen auf Stelzen ueber brauner, festgebackener Erde. Steine, Unkraut, Huehner, Waesche auf der Leine, rostige und undefinierbare Metallteile — ein buntes Wirrwarr. Dann wieder kleine Steinhaeuschen, liebevoll bunt angemalert. Die Flip-Flops stehen fein aufgereiht auf den gefliesten Treppenstufen. Toepfe mit schrillbunten Kunstblumen haengen auf der Veranda. Tiefe Rinnsteine lassen Rueckschluesse auf die zu bewaeltigenden Wassermengen der Regenzeit zu. Wir werden von einem Jugendlichen angesprochen. Ob wir in die Wallilabu-Bay wollen? Da geht es in die andere Richtung. Er ist 15, geht auf die Highschool und ist hier geboren. Mehr erfahren wir leider nicht, ein Taxibus rauscht heran und stopft uns noch irgendwo dazwischen. Rein-raus-rein-raus. Auf der kurzen Strecke muessen wir noch dreimal aus- und wieder einsteigen, weil einer der hinter uns sitzenden Fahrgaeste austeigen will. Dann sind wir schon an der Kearton Bay, zahlen wieder 2 ECD pro Person und stiefeln bergab Richtung Strand.

Unter einem breiten Baum steht ein aelterer Mann. Steht einfach nur und schaut. Gruesst verhalten zurueck und schaut. Regungslos steht er da. Wo in der Welt stehen sonst so viele Menschen einfach nur da und schauen. Vor einigen Haeusern wird Waesche gewaschen. Die Uniform einer Schuelerin haengt gleich dreifach auf der Leine. Dazwischen thronen Keramikhuehner und –schafe auf den Treppen und Mauern, der Sportplatz, von irgendjemand vor langer Zeit gesponsert, liegt verwaist. Noch nicht einmal die Ziegen und Hunde interessieren sich heute fuer ihn. Auf der Terrasse eines Hauses sitzt ein Mitarbeiter des Rock Side Caf?, zustaendig fuer Mooringbojen, Gartenarbeit und Faehrdienste. Dieses Wochenende hat er frei. Das neu in der Bucht angekommene Segelboot liegt vor eigenem Anker und benoetigt keine Hilfe. Wir sind nicht mehr allein hier in der Bucht und doch fuehlen wir uns so. Kommt doch kein Kontakt mit den Nachbarn zustande. Kein Winken, kein gegenseitiges Besuchen. Manchmal ist das halt so.

Ein leeres Schiff. Ganz ungewohnt. Es regnet — mal wieder. Ein wunderschoener Regenbogen spannt sich anschliessend ueber die Bucht, liegt vor der Huegelkulisse. Ich lausche den Geraeuschen, die von Land herueber dringen waehrend der Skipper in der Vorschiffskoje Schweiss laesst und sich dem Ausbau unserer Ankerwinsch widmet. Eine einzelne Schraube widersetzt sich hartnaeckig, ist aber zwei Stunden spaeter doch besiegt. Mit zitternden Fingern sitzt ein geschaffter Skipper in der Plicht und braucht erstmal einen Kaffee. Jetzt steht dem endgueltigen Ausbau der Winsch nichts mehr im Wege, alle Schrauben sind geloest. Hoffen wir mal, dass es bei einer Reparatur bleibt und wir keine neue Ankerwinsch benoetigen. Damit wir nicht in vorzeitige Lethargie verfallen, widmen wir uns gleich der naechsten Aufgabe: mit dem Dinghi zuppeln wir unsere Mooringleinen zurecht, faedeln eine neue ein. Damit wir morgen in aller Fruehe autark losmachen koennen. Das dauert, die Zeit rennt und wir wollten doch noch in die Wallilabou-Bay, endgueltig ausklarieren. Endlich sind die Leinen zurecht getuedelt. Jetzt nix wie ins Dinghi und los geht’s. Ein kleines Fischerboot, voll beladen mit Touristen, tuckert in die Hoehle neben unserem Liegeplatz. Weit geht es nicht hinein. Wir trauen uns nicht und ausserdem muessen wir ja puenktlich im Customsoffice sein. Das schaffen wir auch. Fuers Ausklarieren muessen wir wieder einige ECD berappen, dann sind wir frei. Darauf trinken wir erst einmal im Wallilabou Anchorage Restaurant einen Passionsfruchtsaft. Das Essen auf dem Nachbartisch duftet inspirierend und so wird die zu Hause schon gekochte Gemuesesuppe kurzerhand fuer morgen reserviert. Wir widmen uns stattdessen BBQ-Pork und Creol-Chicken. Sehr lecker.

Am Nachbartisch sitzen wieder die beiden jungen Oesterreicher von der Rosinante. Wir kommen ins Gespraech, Werner zaehlt alle unsere Freunde und Bekannten auf, die unter der gleichen Flagge fahren wie Rosinante. Schon erstaunlich, dass die Jungs kein einziges der Boote kennen. Erst als der Laptop-Akku aufgibt und wir unbestritten die letzten Gaeste sind, machen wir uns auf den Heimweg. Im stockdunklen geht es zurueck zum Dinghi und in unsere Bucht. Achtung: Hund liegt im Weg. Die hier zahlreich vorhandenen Vierbeiner haben es sich teilweise als lebende Stolperfallen auf dem Steg bequem gemacht. Vielleicht in der Hoffnung, dass sie jemand als Bordhund adoptiert? Wo war jetzt die einzelne, als Hinderniss im liegende Boje? Wir halten uns an einen hell beleuchteten Catamaran, dann liegt die Boje auch schon backbord querab. Komisches Gefuehl, so um die Felsen herum zu tuckern, die Stirnlampe blendet mehr als sie fuer Wegweisung sorgt. Unser Ankerlicht weist uns den Weg zum Schiff. Liegen wir schon die ganze Zeit so weit hinten? Muss wohl so sein, denn die Nachbarbojen sind alle noch an Ort und Stelle. Von Land droehnt laute Musik herueber, auch am Strand herrscht noch Betriebsamkeit — Wochenendstimmung auf St. Vincent.