13.10.2014 Unruhig bin ich, ist alles vorbereitet? Hier liegt noch was rum, dafuer gibt es keinen rechten Platz. Sonnensegel ist verstaut, Kuchenbude abgebaut, Grossschot wieder angeschaekelt. Das Dinghi, unsere einzige Moeglichkeit an Land zu kommen, liegt wieder an Deck. Laengst bin ich nicht mehr so aufgeregt, nervoes, aengstlich wie noch letztes Jahr oder auch vor dem Start zu den Kap Verden. Eine gewisse Nervositaet bleibt aber - wahrscheinlich wird sich das nicht aendern - und ist gepaart mit Vorfreude. Vorfreude auf blaues Wasser, auf endlose Weite, aufs unterwegs sein und neu ankommen. Das Wasser laeuft noch ganz leicht auf, als wir die Mooringleine loesen. Die Crew der Full Tilt ist schon ganz frueh zum Landgang aufgebrochen. Die anderen Schiffe liegen ruhig und schlafend. Auch Eagleray liegt noch am Anker. Ob es sich Hugh doch anders ueberlegt hat? Aber auch er hat gestern Abend sein Dinghi verstaut, mit unserer Hilfe den Aussenborder an der Reling festgemacht. Hugh segelt alleine. Mit einer HR 42 Ketsch. Ein sicheres Schiff. Aber irgendwie auch ganz schoen viel Schiff wenn ich da so uebers Deck schaue. Ein einzelner Mann hat da schon Wege zurueck zu legen beim Ankermanoever zum Beispiel. Hugh macht nicht gerade einen kraeftigen Eindruck auf uns und so wundert es uns nicht, dass er Werner nicht zutraut, den 8PS Aussenborder mit der Hand festzuhalten. Mein Kaeptn dagegen meint spaeter: “Du glaubst nicht, wie leicht der Motor war, der wiegt hoechstens die Haelfte von unserem”. Schon Hugh’s Ankermanoever wenige Tage vorher verlief etwas chaotisch. Fast waere seine Eagleray gegen Ebymar gebrummt, die friedlich an ihrer Mooringboje im Flusswasser duempelte. Mehrere Ankerversuche schlugen fehl. Dann eilte ihm der Skipper der Southern Cross zu Hilfe, lotste die Eagleray ans Ende des Mooringfeldes und zu einem geeigneten Ankerplatz. “Er ist sehr unsicher” meinte er zu uns, als wir ebenfalls dazu kommen, um zu sehen, ob es vielleicht weiterer Hilfe bedarf. Der Anker aber hielt bereits beim ersten Versuch und Hugh erschien uns angesichts so viel Anteilnahme nur verwirrt. Spaeter hoerten wir dann von seinem Schiff lautes Sprechen. ?Ist da jemand bei ihm oder fuehrt er Selbstgespraeche?’ Ich koennte mir letzteres gut vorstellen. Und muss an einen guten Freund denken, der sich mit dem Gedanken befasst, Singlehand zu segeln. Fachlich-sachlich traut er sich das wohl zu, aber emotional-menschlich moechte er das Abenteuer und diese Art zu leben lieber mit jemandem teilen. Ich glaube, ich kann erst jetzt das volle Ausmass begreifen, was es bedeutet, alleine mit 42 Fuss Schiff unterwegs zu sein. Dafuer muss man wohl wirklich gemacht sein. ?. Hugh’s Alter koennen wir schlecht schaetzen. Hager ist er und eine Narbe auf seiner Brust deutet auf eine aehnliche Operation hin, wie sie auch mein Kaeptn durchstehen musste. Ob auch er sich sagte, wenn nicht jetzt, wann dann? Hier in Domburg kommen wir zum ersten Mal etwas intensiver mit Hugh in Kontakt. In Jacare war er ja ebenfalls, aber ausser einem freundlichen ?Hello, how are you’ ergab sich da merkwuerdigerweise kein wirkliches Gespraech. Aber das ging uns dort mit vielen anderen Crews so. Man war entweder unterwegs an Land oder hockte auf dem Schiff. Erst hier in Domburg ergeben sich Gespraeche und mehr Kontakt. So auch zu Sally und Gus, die mit ihrem kleinen Terrier Pickles auf der Ingrid von Suedafrika aus gestartet sind und ebenfalls in den Pacific wollen. Fast scheint es, als wuerde sich die neue Pazifikrunde hier so langsam formieren. Denn obwohl wir alle unterschiedlich schnell unterwegs sind, treffen wir uns doch an verschiedenen Punkten immer wieder. Erfahren mehr voneinander, lernen uns kennen und schaetzen. Aber zurueck zu unserer Abfahrt. Langsam schieben wir uns am Mooringfeld vorbei. Das Gross ist gesetzt, ganz gemuetlich und stressfrei im ruhigen Fluss. Wir melden uns ueber Kanal 12 bei MAS an und bekommen die Info, dass zwei groessere Schiffe unterwegs seien, wir sollen standby bleiben. Die kleinen Seeschwalben umflattern uns ganz aufgeregt. Ihre Lieblingsbadeinsel bewegt und entfernt sich! Skandaloes. Trotzig begleiten sie uns ein ganzes Stueck den Fluss hinunter, bevor sie einsehen, dass wir uns endgueltig aus ihrem Revier bewegen. Sie zwitschern ab und suchen sich eine neue Landeplatzzform. Irgendwie schade, sind nette, niedliche Kerlchen und huebsch anzuschauen. Noch einmal zieht Surinam an uns vorbei. Mit in der Sonne grellrot leuchtenden Daechern, mit rostigen Fischerbooten, kleinen Seitenkanaelen, dem grossen Stadsolie Gebiet, dem Containerhafen. Paramaribo - jetzt keine Unbekannte mehr, das Wrack hinter der Bruecke liegt unveraendert und erst jetzt faellt mir auf, dass auch hier schon Bewuchs im Anmarsch ist. Auf der Bruecke herrscht der uebliche Verkehr. Im Hafen wird ein Containerschiff be- oder entladen. Wo wohl die Tartufo jetzt ist, als Deckslast auf einem solchen Dampfer? Ob alles gut gegangen ist? Die Crew hat sich leider nicht mehr gemeldet, unsere SMS sind ins Leere gegangen, vielleicht nie angekommen. Wir hangeln uns wieder an den roten Tonnen entlang und werden schneller. Der Strom schiebt jetzt kraeftig und mit 6-7 Knoten Fahrt geht es der Muendun g entgegen. Kleine Faehr- und Fischerboote kreuzen unseren Kurs. Und Surinam winkt und hupt uns zum Abschied zu. Denn auch die P201, ein Behoerdenboot, kommt uns entgegen, gibt 3 Schallsignale, winkende Haende aus dem Steuerstand und vom Vordeck. Mist und ich hatte schon die Huellen abgelegt, dachte, es begegnet uns kein Boot mehr. Das alte Bettlaken, das als Sonnenschutz dient, eignet sich aber auch als schnell uebergeworfener Sichtschutz. Lediglich mein Winken faellt etwas verhaltener aus. Nicht, dass ich noch ueberraschend “im Freien” stehe. Aber Surinam verabschiedet uns auch so, wie es uns begruesst hat: mit mehr Wind im Muendungsdelta, mit etwas Regen und mit einem ganz zarten Geruch nach exotischen Blueten. Das erste Land seit langem, dass ich schon vom Wasser her so wahrgenommen habe, mit der Nase. “Hier hatten wir beim Einlaufen aber nicht so viel Wasser unterm Kiel” - ich bin mir ganz sicher. Und die Tonnen sind heute, gegen das Blau des Himmels, auch viel besser warhnehmbar. Fast wirkt es, als habe unser Schiff es eilig, weiter zu kommen. Oder will uns das Land loswerden? Alles Quatsch, es ist halt so mit den Stroemungen und Gezeiten. Aber in solchen Momenten werde ich ja gerne etwas mystisch. Schliesslich steht ja mal wieder ein Wechsel an. Wir verlassen Suedamerika und werden in ein paar Tagen die Karibik erreichen. Eine wieder neue, andersartige Welt - und doch aehnlich. Noch lange segeln wir ueber schlappe 5 Meter Wassertiefe, bewegen uns langsam aufs tiefe Wasser zu. Amwind-Kurs, spaeter etwas mehr Halbwind. Na, ob das wohl so meine Fahrt wird? Vorsichtshalber habe ich zur bewaehrten Stutgeron-Tablette gegriffen und vermeide unnoetige Arbeiten unter Deck. Noch etwas schwerfaellig segeln wir durchs flache Wasser. Fast so, als sei die Handbremse noch angezogen. Das aendert sich, als wir mehr Wasser unterm Kiel haben und der Wind auch etwas zulegt. Sagenhaft, 6-7 Knoten Fahrt, damit hatten wir nicht gerechnet. Und dabei schaukelt naja ganz sanft durch die Wellen. Wie eine Fahrt in einem gemuetlichen, gut gefederten Cadillac. Erinnerungen an meine Kindheit, an eine Fahrt in einem solchen Auto, werden wach. Ich dagegen werde muede, die Augen fallen immer oefter zu. Eine erste Schlafrunde wird unbarmherig vom Kaeptn gestoert: “zieh Dir mal lieber was an, da ist wieder ein Behoerdenboot und die lassen gerade ein Schlauchboot runter. Sicher kommen die damit zu uns”. Die P202 liegt weiterhin friedlich etwas weiter hinten und das als Behoerdenboot eingestufte Fischerboot erweist sich als BW Wuffi (oder so aehnlich), ruft Paramaribo Pilot ueber Funk und laesst kein Schlauchboot, sondern ein Fischernetz zu Wasser. An Deck stehen Container, die wohl zur Mini-Fischverarbeitung umfunktioniert wurden, dem Ganzen aber einen sehr skurrilen Anstrich verleihen. Na jedenfalls Entwarnung, P 202 bleibt an Ort und Stelle. Wuffi-Fischerman umrundet uns elegant und duest gen Surinam River davon. Ich verziehe mich nach unten in die schuetzende Kajuete. Wachwechsel. Fischerboote links und rechts. Aber immer weit genug entfernt. Wetterleuchten umrundet uns, kommt aber nie richtig nahe. Zum Glueck! Die Blitzschlaggeschichte der Tartufo wird mich immer irgendwie verfolgen. Dann steigt der Mond langsam auf. Schon laengst nicht mehr voll und rund, aber immer noch mit ordentlich Leuchtkraft. Und so erhellt ist die Nacht doch gleich viel angenehmer. Wie es Hugh wohl geht? In der Muendung haben wir uns erst bei MAS abgemeldet (macht wahrscheinlich kein Sportboot sonst) und dann Hugh angefunkt. Er rechnet mit Etmalen so um die 80 Meilen. Waehrend ich jetzt aufs Meer blicke, in dem Wissen, dass da unten jemand schlaeft, den ich im Bedarfsfall rufen kann, muss ich an ihn denken. Der ganz allein ist und alles selbst entscheiden und einschaetzen muss. Wie er das wohl macht, Nachts? Alle 10 Minuten Wecker stellen oder sowas in der Art? Das haelt doch kein Mensch auf Dauer aus. Aber bald werden wir das richtig tiefe Wasser erreichen, die 100 Meter- Linie. Dann sollte es auch keine Begegnungen mehr mit Fischern geben. Allerdings faehrt das ein oder andere Tank-bzw. Containerschiff auch hier durch. Ob die Eagleray AIS hat? Wir sehen jedenfalls kein Signal von ihr. Bei der Kommunikation unterwegs verlaesst Hugh sich offenbar auf sein Iridium, denn auch das Funkgeraet wird nur sporadisch angeschaltet, waehrend es bei uns fast permanent standby ist. 3 Stunden Wache - Zeit, viel nachzudenken. Auch darueber, wann ich denn jetzt wohl Oma werde und ob alles gut verlaeuft, Mutter und Kind die Geburt gut ueberstehen. Mein Sohn in Elternteilzeit ! Meine Guete, ich wird alt!!! Aus der Mama wird eine Oma - die Moma. Oder doch eher eine NOMA, eine Nomadenoma. Ob mein(e) Enkel das einmal als gut und etwas Besonderes empfinden werden, auch eine Oma zu haben, die nicht im klassischen Sinne als Oma zur Verfuegung steht? Die kein Fluchtpunkt ist, wenn Mama und Papa etwas verbieten oder die troestet, wenn man hingefallen ist? Die mal eben eine Stunde nach dem Rechten schaut, wenn beide Elternteile was vorhaben. Wann ich wohl meinen Enkel zum ersten Mal auf dem Arm halte? Vielleicht kann er dann schon bald laufen? Ich hoffe sehr, dass meine Art Oma zu sein, irgendwann eine Bereicherung fuer das Kind/die Kinder sein wird. Dass sie sich freuen, die Oma in einem fernen Land besuchen zu koenenn, ein abenteuerliches Leben auf einem knarrenden Schiff fuehren zu koennen. Tauchen, schnorcheln, schwimmen, Schlauchboot fahren. Delfine, Wale, Schildkroeten, Fische und Voegel beobachten. Und vielleicht Geschichten zu lauschen vom Faultier im Baum und von bruellenden Affen. Fuer mich gehoert auch das zu meinen Wechseljahren, dieses Oma werden. In eine andere Generation zu wechseln. Nicht nur altersmaessig, sondern eben auch vom “Status” her. Aber jetzt wechselt erst einmal die Nacht in den Tag und Wachwechsel ist auch schon wieder angesagt. Schade, dass der Wind nicht durchhaelt. Von 12-15 Knoten auf 8-9 Knoten, das verheisst keine schnelle Ankunft auf Tobago. Und so manche groessere Welle laesst das Schiff leicht rollen, die Segel schlagen. Immerhin, unser erstes Etmal betraegt 135nm, sooo schlecht ist das ja auch wieder nicht. Aktuelle Position am 14.10.2014 um 13:16 UTC: 07?21′27N und 056?29′35W, Kurs 346?, SOG 4,6Kts, Wind 8-9kts - 1. Etmal: 135nm