Vor die Ausreise hat die brasilianische Regierung ja den Behoerdengang gesetzt. Den treten wir heute an, denn am Wochenende wollen wir unser erstes suedamerikanisches Land nun definitiv verlassen. Spontan schliesst sich die Trident-Crew an und zu viert geht es Richtung Poco, zur Policia Federal. Der erste Stop im kleinen Mercadinho von Jacaré bringt uns neben kalten Getraenken fuer unterwegs auch ein interessantes Gespraech: hinterm Tresen steht eine junge Frau, die uns auf englisch anspricht. Sie studiert, Chemie, schon im achten Semester, promoviert demnaechst und hat dafuer einen Cachaca „hergestellt“, den sie uns ganz stolz praesentiert. Fuer eine Probe ist es uns aber noch zu frueh am Tag. Wir wuenschen ihr alles Gute und verabschieden uns. Vorbei an Huehnern, die an einem Bein gefesselt sind, geht es weiter. Esel und klapperduerre Pferde kreuzen unseren Weg, ein Fohlen laeuft seiner Mutter eilig hinterher. Der Jacaré-Intermares Bus wirbelt den roten Sand der staubigen „Strasse“ auf. Hinter hohen Mauern und einem stabilen Tor verbirgt sich die gepflegte Clubanlage von Big Toys Marine. Motorboote sind durch einen Spalt sichtbar, in Garagen aufgereiht.

Wir queren die Bahngleise und stehen mitten in einer richtigen Favela. Aus manchen Haeuschen dringt Musik. An einem durch die geoeffnete Eingangstuer sichtbaren Tisch sitzt ein Mann, vor sich eine weisse Pulverreihe, die er langsam in die Nase zieht. Werner hat echt den Blick fuer sowas, ich bekomm das wieder nicht mit. Rob und Shirley meinen, das sei hier doch sehr „similar to southafrica“, aber mit dem Unterschied, dass sie in Suedafrika hier als Weisse nicht durchlaufen wuerden. Man nutzt ein Taxi oder meidet solche Gegenden komplett. Rassismus – allerdings von beiden Seiten aus gesehen, sei sehr haeufig anzutreffen. Na, da geht es uns hier ja richtig gut. Wir gruessen freundlich und werden gegruesst, nur eine Ziege mustert uns schweigsam aber kritisch. Was fuer ein Kontrast – wieder einmal. Nur wenige Meter weiter donnern die teuren Motorboote ueber den Fluss, werden jedes Wochenende gewienert und blankpoliert ins Wasser gelassen und zur Schau gestellt. Gibt es ein nobles Restaurant, einen gepflegten Pool und Parkplaetze fuer die durchaus noblen vierraedrigen Karossen. Und hier, nur durch die Bahngleise voneinander getrennt stehen Autowrack, sind Pferde und Esel fuer Transporte aller Art zustaendig.

Tapfer queren wir die vierspurige Schnellstrasse zwischen Cabedelo und Joao Pessoa und koennen auch schon das Gebaeude der Policia Federal sehen. Im Eingangsbereich ist ordentlich was los, die Wartebaenke sind fast alle belegt. Man meldet sich bei der Rezeption an und wird dann irgendwann von einem Beamten abgeholt. Unserer kommt nach einer guten dreiviertel Stunde Wartezeit, fertigt die Trident als erstes ab. Wir sitzen und sitzen und warten. Jeh, was dauert denn da so lange? Noch ahnen wir nicht, dass es bei uns um einiges laenger dauern wird! Irgendwann tauchen die Beiden wieder auf, berichten vom Prozedere: Stempel im Passport anschauen, Stempel dort pruefen, irgendwas im PC abgleichen, zweiten Pass pruefen und schliesslich das Ausreisepapier erstellen und die Paesse abstempeln. Frohgemut folgen wir dem Beamten. ‚Was zum Geier macht der auf der Google-Seite??‘ Ich linse ums Eck rum auf den Bildschirm des Laptop. Der sehr gut englisch sprechende Beamte entschwindet, das System arbeitet nicht, Neustart bzw. muesse er an einem anderen PC was pruefen. Wir warten geduldig. Dann wieder pruefende Blicke in unsere Paesse, blaetter-blaetter. Der PC arbeitet inzwischen wieder, der Kalender wird zu Rate gezogen, Daten werden notiert, Tage errechnet. Uns schwant inzwischen UEbles. Wir bekommen Fragen gestellt, wann wir wo wie eingereist sind. Erklaeren alles geduldig. Die Zeit verrinnt. Aufstehen, hinter einer Schrankwand verschwinden, fluestern mit dem Kollegen – das riecht doch nach Kaffee!! Wiederkommen, blaettern. ‚Der zweite Pass ist identisch??‘ Wir bestaetigen hoffnungsfroh. Er lehnt sich schlussendlich zurueck, schaut uns tief in die Augen und meint, wir bekaemen eine Strafe, weil wir zu lange in Brasilien seien. Zwei entsetzte Augenpaare schauen jetzt ihn sehr intensiv an. Wir erklaeren, wie es dazu kam, warum-wieso und wer uns alles versichert hat, dass wir erneute 90 Tage Aufenthaltsgenehmigung haetten. Ja, ja, aber ……. ein Zeitstrahl wird aufgemalt, Tage werden markiert. Und jetzt????? Er muesse mit seinen Chefs sprechen. Hoffnung keimt in uns auf. Aber erst einmal sprechen wir mit Rob und Shirley, die ja geduldig am Eingang auf uns warten. Die Beiden machen sich erst einmal allein auf den Weg zum Zoll und zur Hafenbehoerde.

Mittlerweile mischt sich auch ein Kollege des Beamten ein, der macht irgendwie einen wohlwollenderen Eindruck, nickt aber verstehend zur Argumentation. Telefonat mit der Chefin, unser Beamte beendet das Gespraech laechelnd. Mag er die Chefin oder ist die gefaellte Entscheidung in seinem Sinne? Jedenfalls teilt er uns zu unserer Erleichterung mit, dass das Ausreiseverfahren jetzt normal fortgefuehrt wird, es sei nicht unser Fehler gewesen sondern der des Flughafenkollegen. Und wir muessen nicht fuer dessen Fehler bezahlen, von einer Strafe wird abgesehen. ABER – und jetzt guckt er wieder ganz besonders ernst – wir duerfen auf gar keinen Fall vor dem 19.09. wieder nach Brasilien einreisen. Haeh??? Ich bin ja nicht so der Zahlenmensch und versteh erstmal Bahnhof. Das ist wahre Logik fuer mich: erst heisst es, wir seien zu lange in Brasilien und wir muessten erst volle 90 Tage ausreisen vor einer erneuten Einreise und dann diese Anmerkung. Aber eigentlich ist uns das auch vollkommen wurscht, Hauptsache wir bekommen das Ausreisepapier und die Stempel in den Pass. Das geht dann auch relativ fix und um 11:30 stehen wir am Strassenrand, warten auf den Bus nach Cabedelo.

Immer wieder blinken Autos wild auf, der Fahrer streckt die Hand aus dem Fenster und zeigt wahlweise einen oder mehrere Finger. Das heisst, es sind noch so und soviele Plaetze frei, wollt ihr mitfahren?? Wir checken das irgendwann endlich und steigen zu. Fahrpreis ist identisch mit dem Buspreis, aber man kommt bedeutend schneller ans Ziel und wird meist auch genau dahin gefahren, wo man hin will. In unserem Fall zum Hafen, wo die Receita = Zollbehoerde logiert. Ich glaub, die Beamten an der Eingangskontrolle kennen uns schon, jedenfalls laecheln alle und wissen schon, wo wir hinwollen. Receita?! Und wir wissen schon, wo es langgeht. Hoffentlich ist noch keine Mittagspause! Glueck gehabt. Die Zollbeamten sind vollzaehlig und arbeitswillig. Fuenf Minuten spaeter verabschieden wir uns mit gestempeltem Papier und Haendedruck, bekommen gute Reise gewuenscht. Direkt gegenueber im Marinha dos Portos-Gebaeude nimmt man es mit den OEffnungszeiten wohl auch nicht so genau, ein junger Mann winkt uns gleich ins schon bekannte Buero, ‚Saida?‘ Sem, Saida! Papiere raus, kopieren, Stempel, Papiere wieder zurueck, Haende schuetteln, gute Reise wuenschen, Abgang der Crew durchs Tor. Ufff, doch noch alles heute geschafft! Ein Hoch auf die unkomplizierten und ueberaus freundlichen Behoerden Cabedelos!!

Da es im hiesigen Supermarkt keine grossen Joghurtpoette gibt, geht es mit dem Bus zurueck nach Intermares. Mittlerer Einkauf im Littoral, dann noch zur Banco do Brasil – Geld abheben. Tja, das geht dann nicht. Der Raum mit den Geldautomaten wird renoviert und ist seit dem 01.09. nicht mehr zugaenglich! Haetten wir das mal frueher gewusst, in Cabedelo haben wir die Banco do Brasil schmaehlich verachtet.

Voll bepackt aber aufrecht geht es zu Fuss zurueck nach Jacare. Ein kleiner Schnack mit Christof, dem Segelmacher, und am Fluss treffen wir die Trident-Crew. Die zwei haben sich grosse Sorgen um uns gemacht und sind so erleichtert, dass alles gut ausgegangen ist fuer uns, dass sie uns fuer morgen zum Abendessen auf ihr Boot einladen.

Ein spannender, ereignis- und lehrreicher Tag geht seinem Ende zu. Der Kaeptn baut den Wassersammler ein, der erste Motortest verlaeuft erfolgreich, sprich ohne Wasseraustritte an ungewuenschten Stellen. Von allen Seiten bekommen wir anteilnehmende Emails und Ratschlaege, sogar ein kompletter Wassersammler aus Plastik wird uns als Ersatz offeriert. Ihr seid alle soooo lieb zu uns, Danke, Danke, Danke!!! Und wenn wir jetzt noch unseren Gennaker in den Griff bekommen, sind wir ein ganzes Stueck weiter.

Wartebereich der Policia Federal in Poco

Wartebereich der Policia Federal in Poco

Marinha dos Portos, die Hafenbehörde in Cabedelo

Unsere letzte Station: Marinha dos Portos, die Hafenbehörde in Cabedelo

Direkt gegenueber - auf dem Hafengelaende geht es zur Zollbehoerde, kurze Wege, sehr praktisch fuer Seglers gestresste Beine

Direkt gegenueber - auf dem Hafengelaende geht es zur Zollbehoerde, kurze Wege, sehr praktisch fuer Seglers gestresste Beine

Kein Entkommen
Kein Entkommen

Wir nehmen den direkten Weg nach Poco - und der führt uns grad durch eine Favela

Wir nehmen den direkten Weg nach Poco - und der führt uns grad durch eine Favela

Werkstatt oder Schrottplatz?

Werkstatt oder Schrottplatz?