Sternenstrasse am hellichten Tag

Sternenstrasse am hellichten Tag

Sollen wir nach Cartagena fahren oder doch nicht? Mit den Gedanken sind wir in Deutschland, trauern um Werners Schwager Walter, der fuer uns nun doch sehr unerwartet und viel zu frueh ueber den Regenbogen gegangen ist. Werner hadert mit sich, ob er fuer einige Tage nach Deutschland fliegen, fuer seine Schwester da sein soll. Etliche Telefonate spaeter entscheiden wir uns fuer Cartagena. Sind doch auch schon unsere Deutschlandfluege fuer Mai gebucht und der Liegeplatz fuers Schiff auf Mallorca bereits angezahlt. Und wir wissen: Walter hat immer unsere Reise mitverfolgt, sich fuer uns gefreut und haette nicht gewollt, dass wir unterbrechen. Vielleicht hat er uns ja die vielen Sternschnuppen letzte Nacht und die froehlichen Delfine heute frueh vor Cartagena geschickt?

Wir haben oft an ihn gedacht, nicht nur die letzten Tage seit seinem Weggang.

So drehen wir also doppelt schwermuetig unsere Abschiedsrunde im Puerto von Almerimar. Thomas ist seit heute frueh mit seiner Aventura auch wieder im Wasser und plant seine Abreise fuer morgen. Iris & Robert warten noch auf letzte Arbeiten an ihrer Lichtmaschine. Dann waere ihr Ladeproblem hoffentlich auch geloest. Zusammen mit Frank koennten sie sicherlich eine Doktorarbeit darueber schreiben, was mit nicht richtig montierten Teilen an Bord fuer Probleme mit der Lichtmaschine entstehen koennen.

Heidi & Dieter werden ihre 2. und somit vorerst letzte Woche an Bord ihrer WoC noch geniessen. Bruni & Fredy haben sich auch schon verabschiedet – die Deutschen zieht es alle weiter! Zurueck bleiben Alex, Udo, Lefko, Gonzo und alle anderen, die wir kennen und schaetzen gelernt haben in den 3 Wochen Almerimar.

Unter Maschine mit Tarnungssegel laufen wir gegen Mittag endlich aus. Eine Nachtfahrt liegt vor uns und wir haben keine Eile. Das eindrucksvolle Cabo de Gata haben wir noch bei Tageslicht querab, einige Fischer sind unterwegs. Fern am Horizont ziehen grosse Schuhkartons an uns vorbei. Ein Segelboot segelt mit Gross und Spis tapfer in unsere Richtung und erzielt dabei doch immerhin 3 Knoten Fahrt (AIS machts moeglich). Das ist uns aber doch zu wenig. Bei uns bleibt Dieselwind angesagt.

Gegen 18 Uhr verabschiede ich mich zu einer Schlafstunde. 1 ½ Stunden schlafen, noch eine halbe Stunde rumturnen, anziehen, Toilette, wach werden. Dann ist Ruderwechsel angesagt. Denn unser Autopilot hat wieder einmal Anzeichen von Alzheimer light und seine Memoryfunktion ist out of order. Das fuehrt zu gewaltigen Ausschlaegen am Ruder und wir geigen wie volltrunken ueber das nur leicht bewegte Mittelmeer. Anfangs hatten wir das Verhalten ja noch mit irgendwelchen starken Unterstroemungen entschuldigt, aber das konnte nicht sein.

Es wird dunkel, am Ufer sind erstaunlich viele unbeleuchtete Abschnitte zu sehen. So nach und nach werden immer mehr Sterne am Nachthimmel erkennbar. Links ueber uns steht der grosse Wagen, das Sternbild welches ich ueberall und immer erkenne. Was man als Kind lernt, vergisst man offenbar wirklich nie mehr. Mit einigen Meilen Abstand und naeher an der Kueste laeuft ein Segelboot parallel mit uns, einige strahlendhell beleuchtete Grosschiffe kommen uns mit gebuehrendem Abstand entgegen. Dann naehert sich relativ schnell ein weisses Toplicht ueber der rot-gruenen Positionsbeleuchtung. Zoll, Küstenwache, Marine?? Relativ dicht faehrt er uns entgegen und als die Lichter auf gleicher Hoehe sind, werden wir auch noch angestrahlt, gleich zweimal!! Jetzt mache ich mir schon so meine Gedanken, werden wir gleich kontrolliert? Vorsichtshalber wecke ich Werner. Natuerlich voellig unnoetig, der Dampfer duest weiter und ist schnell achteraus verschwunden.

Dafuer hat sich unser Gaszug offenbar so sehr ueber die Aktion erschrocken, das er sich mal eben verabschiedet! Die Drehzahl unseres Motors geht langsam aber stetig runter und dann tuckern wir im Standgas vor uns hin. Vorwaerts kommen wir natuerlich so auch nicht mehr. Mein erster Gedanke ist: jetzt hat uns auch ein Fischernetz erwischt. Natuerlich voellig unlogisch, aber so im Dunkeln und weitgehend allein auf weiter See kommt Frau schon mal auf so abstruse Gedanken. Werner spurtet zum Motorraum und hat den wahren Uebeltaeter schnell lokalisiert. Kleines Teil, grosse Wirkung: eine nur wenige Zentimer lange „Connection de Morse“ hat es zerbroeselt. Zu dem Zeitpunkt gehen wir aber noch davon aus, dass wir den Gaszug komplett erneuern muessen. Mit Draht gelingt dem Skipper eine Art Ueberbrueckung und wir fahren weiter. Kurze Ueberlegungen, ob wir nach Caroucha abdrehen sollen, werden schnell verworfen. Anlegen in der Nacht in einem unbekannten Hafen mit einer nicht einwandfrei funktionierenden Schaltung bzw. nicht kontrollierbarer Fahrt – das dann doch nicht. Wir bauen auf die Weitlaeufigkeit des Hafens von Cartagena und einer eventuellen Hilfestellung seitens der Marineros.

Nach zwei weiteren Aussetzern brummelt der Motor nun friedlich und vertraut vor sich hin und mit einem wunderbaren Sonnenaufgang liegt die Bucht von Cartagena vor uns. Wie ein weiche gespuelter schieferfarbener softer Teppich breitet sich das Meer um uns aus. Die schroffen und kargen Felsen wirken geglaettet, entgratet, soft alles. Dicht ueber dem Wasser liegt ein feiner Dunstschleier, der die Konturen der Boote davor scharf hervorhebt. Momente zum tief durchatmen. Delfine flitzen ums Schiff, als wir in den Wind drehen, um das Grosssegel zu bergen. Als sie merken, dass wir mit Kurs Cartagena wieder abdrehen, verlieren sie schnell das Interesse und eilen weiter, neuen Spielgefaehrten entgegen. Ein uns kurz zuvor noch ueberholendes schwimmendes Hotel laeuft gerade noch so eben als dunkler Klotz erkennbar in die Bucht ein, diverse Marineboote gleiten leise und langsam aus der Bucht heraus. Auf einem schroffen Felsen links von uns steht ganz klitzeklein das Tuermchen, das uns mit seinem Feuer schon viele Stunden vorher den Weg nach Cartagena gewiesen hat. So klein und so viel Leuchtkraft! An Backbord und hinter dem Felsen oeffnet sich Buchten, fjordaehnliche Einschnitte, kaum bewachsen und Haeuser sind auch nicht erkennbar. Wer will hier auch wohnen, wo der Berg so abrupt ins Wasser uebergeht? Kein Strand, alles unwirtlich, schroff und abweisend wirkend – mehr etwas fuer absolute Abgeschiedenheit mit Meerblick suchende Einsiedler.

Die See ist ruhig und so koennen wir in aller Ruhe noch vor dem Hafen Leinen und Fender vorbereiten. Dann geht es im leichten Slalomkurs zwischen den Wellenbrechern und vorbei an zwei Kreuzfahrtschiffen Richtung Marina. Festungsanlagen auf den Bergen ringsum zeugen von kriegerischen Zeiten. Aber auch heute noch ist das Militaer hier in Form eines Marine-Stuetzpunktes sehr praesent. Einige graue Marineschiffe liegen an den verschiedenen Kais festgemacht oder laufen gerade aus.

Via Telefon und VHF nehmen wir Kontakt mit dem Yachtport Cartagena auf. Der ist fuer uns seit Anfang Mai der guenstigere Hafen. Die high season beginnt hier erst am 01.06., waehrend im Real Club de Regattes bereits seit 01.5. die Hochpreis-Zeit begonnen hat!

Der sehr gut englisch sprechende Marinero erwartet uns bereits auf einem Seitenausleger, der direkt in Schussrichtung zur Einfahrt liegt. Also sind keine grossen Manoever notwendig. Ganz vorsichtig nimmt Werner das Gas noch weiter weg, kuppelt aus. Leichter Wind kommt auf – ausgerechnet jetzt! Den haetten wir gerne frueher genommen! – und schiebt uns gegen den Steg. Die Fender sind gut platziert, die Leinen fuer ein Aufstoppen damit parat und unerwartet sutsche (sanft) legen wir an. Was hatten wir fuer uns Gedanken um dieses Manoever gemacht!

Jetzt erstmal einen Kaffee, was essen und dann macht sich der Skipper auch schon an die Reparatur. Von der netten Dame in der Capitaneria haben wir bereits erfahren, wo wir evtl. Ersatzteile bekommen koennen und man koennte uns auch einen Techniker organisieren. Aber Werner will es erstmal selbst versuchen.

Kurze Zeit ist dann Stress an Bord: Oben auf dem Kai stand ein Service Auto, entsprechend der Beschriftung koennte die dazugehoerige Firma Tecni-Boat fuer uns ja evtl hilfreich sein. Leider ist weit und breit kein Techniker zu sehen. Und bis ICH in die Hufe komme, und eine entsprechend beschriftete Visitenkarte am Auto anbringen kann, hat sich dieses schon davon gemacht. Werner ist sauer und Gegenargumente, dass er schliesslich auch und ueberhaupt….werden nieder gemetzelt. Der Unfrieden haelt aber nicht lange an, er demontiert tapfer weiter. Am Nachbarschiff, ein Riesentrumm von Ketsch, wird lautstark ebenfalls gewerkelt. Und dann klopft John bei uns an, entschuldigt sich fuer die Laermbelaestigung. Er sei Kapitaen der AIO mit Heimathafen Lagos. Spontan wird er gefragt, ob er wisse, wo wir einen Gaszug bekommen und wie der alte an der Steuersaeule zu demontieren ist. Schwupps kommt er ueber die Reling, outet sich als Schiffsingenieur, faehrt schon seit vielen Jahren auf den verschiedensten Schiffen als Kapitaen und ihm ist so gut wie nichts an Reparaturarbeiten fremd. Ausserdem ist er Suedafrikaner mit englischem Ursprung, sein Englisch ist also richtig gut verstaendlich und wir fuehlen uns so angenehm an Eric in La Linea erinnert. Und doch ganz anders. Wenige Minuten spaeter sind die beiden Maenner an unserem Maschinenraum zu Gange, das wahre Problem wird lokalisiert, wir bekommen einen Tipp zur Ersatzteilbeschaffung und noch einige Background-Infos zur Mentalitaet von Suedafrikanern und Englaendern. Ein klein wenig Deutsch versteht John auch, da seine Frau deutsche Wurzeln hat. Er verabschiedet sich mit dem Hinweis, wenn wir nicht weiterkaemen, sollten wir ihm Bescheid sagen. Ein Freund koenne dann evtl mit einer Bestellung des benoetigten Teils (wo auch immer) weiterhelfen.

Aber er ist sicher, dass wir hier beim Ship-Chandler fuendig werden.

Und so lernen wir innerhalb kurzer Zeit diverse Bootszubehoerhaendler und einen Hersteller von Metallteilen aller Art kennen. Letzterer nur spanischsprechend aber sehr freundlich und hilfsbereit. Zur Not wuerde er uns das benoetigte Teil auch drehen, dafuer muss er aber die genauen Masse wissen. Aber erst einmal schickt er uns einige Meter die Strasse zurueck zu „Suministros Generales Escombreras“ und wir sollen nach Pedro fragen. Der Laden, eben noch Siestamaessig geschlossen, ist jetzt geoeffnet und erweist sich als wahre Fundgrube fuer Bootszubehoer aller Art. Und auch wenn die nette Dame im Bootsshop im Fischereihafen bedauernd den Kopf schuettelnd uns lediglich einen kompletten Gaszug haette verkaufen koennen, hier bekommen wir unser Conection und nehmen gleich noch eine mit. Man weiss ja nie und fuer 5 Euro das Stueck….

Vorbei am sooo lecker duftenden Fischrestaurant mit Aussicht auf die Lieferanten und ihre Fangutensilien geht es zurueck zu unserem schwelligen, windig-kalten (der jetzt etwas frischere Westwind, grrr, weht uns voll in Plicht und Schiff, frio!) Liegeplatz, wo sich Werner umgehend an den Einbau begibt. Das ist auch nicht so einfach, prompt ist alles zu stramm und wir laufen nur noch Vollgas. Das geht natuerlich gar nicht. Der hilfreiche John ist leider wieder entschwunden, also probiert mein tapferer Tecnico alleine weiter.

Etwas skeptisch betrachten wir das Innenleben unserer Schaltbox. Das Aluminum weist doch einige Spuren von Korrosion auf. Ob wir vielleicht vorsichtshalber schon mal eine Whitlock-Mamba kompatible Schaltbox besorgen sollten…..???

Wie war das gleich? Wir reparieren uns um die Welt und Segler kennen in den meisten Staedten und Haefen auf jeden Fall alle Arten von Zubehoer- und Ersatzteillieferanten sowie diverse sonstige Werkstaetten?? So langsam befuerchte ich, dass wir auch zu dieser Gruppe der „Wissenden“ gehoeren werden…..

Der erste Tag in Cartagena neigt sich dem Ende. Wir werden noch mal richtig geschuettelt von der Guardia Civil, die mit deutlich ueber 3 Knoten max. Speed Limit quer durch den Hafen brettert, Werner schraubt die voreilig zusammengebastelte Schaltbox wieder auseinander, weil unser Motor immer noch volle Lotte im Leerlauf roehrt…. an Sightseeing ist jedenfalls heute nicht mehr zu denken…..

Oder doch? Werner kapituliert. Eine Nacht drueber schlafen hat ja schon bei so mancher Problemloesung geholfen.

Wir erkunden also noch kurz die Marina in der wir liegen und besuchen dann die Cariño. Bruni & Fredy haben kurzerhand im Real Club de Regattes festgemacht, liegen laengsseits und sehr ruhig am Kai und sind der Meinung, dass dieser Club immer noch preisguenstiger ist. Hier am Kai haetten wir auch mit unserem defekten Gaszug anlegen koennen, haetten fast die volle Laenge zum aufstoppen zur Verfuegung gehabt. Ausser der Cariño liegt nur noch ein Traditionssegler ganz am Ende des Steges. Nach einem kurzen Schnack von Pier zu Schiff laufen wir in die Altstadt. Ueber einen prachtvoll gestalteten Treppenaufgang geht es auf die Stadtmauer und wir stehen direkt vor den Midshipman Barracks, erbaut in 1748 u.a. als eine Academy. Auf der Stadtmauer stehen, oft von Baeumen versteckt, hohe Rechtecke aus Edelstahl mit integrierter Beleuchtung. Mal einzeln, mal winkelfoermig zueinander angeordnet. Moderne Beleuchtungskunst? Das wird sich uns mit zunehmender Dunkelheit sicherlich noch erschliessen.

In der Fussgaengerzone werden wir vor dem „Naval Headquarter Palace“ noch Zeuge einer Szene, die wir in der heutigen Zeit nicht mehr erwartet haetten: Auf dem Balkon des Palace wird von einer Soldatin und einem Soldaten feierlich und unter Musikbegleitung (vom Band) die spanische Flagge eingeholt! Mit stillstehen, Nationale, zusammenfalten und allem pi-pa-po. Zum Abschluss wuenscht eine Stimme vom Band noch „Buenas Noches Cartagena“, die beiden Hauptakteure treten von ihrer kleinen Buehne ab, ein im Hintergrund wartender 3. Mann schliesst die Balkontueren. Ende der Vorstellung. Unter den Zuschauern auf dem Platz sind auch viele Jugendliche, die teilweise lachen und ihre Witzchen machen. Die nehmen das Zeremoniell wohl auch nicht so wirklich ernst. Wir schlendern weiter durch fast schon vertraute Gassen in der Fussgaengerzone, auf der Suche nach einer Tapa-Bar. Eine erweist sich als nicht ganz das gewuenschte, 2 sehr versteckt in einer Seitenstrasse liegende sind brechend voll. Die werden wir wohl noch mal aufsuchen. Es ist spaet geworden und wir haben keine Lust mehr, an runden Faessern zu stehen. Ein letzter Versuch bei Antonio, allerdings haben wir jetzt keinen Appetit mehr und einfach so zum Wein dazu bekommen wir keine Tapas. Ist das hier keine Sitte mehr? Noch nicht mal ein paar Olivas :-(. Auf das von Werner vergebene Qualitaetspraedikat „da sitzen viele Einheimische, muss gut sein“ ist also auch kein Verlass mehr! Oder sind wir zu un-einheimisch?? Der Vino Blanco schmeckt jedenfalls lecker, aber wenn das ein secco ist… Uns zieht es zurueck zum Schiff, in die Koje. Auf dem Rueckweg entdecken wir noch einige vielversprechend aussehende kleine Bars, da ist wohl morgen Abend ein etwas ausgiebigerer Testlauf faellig ;-)

Sonnenaufgang kurz vor Cartagena

Sonnenaufgang kurz vor Cartagena

Karger Felsruecken vor der Bucht von Cartagena - das kleine Leuchtfeuer darauf haben wir in der Nacht schon lange vor Ankunft gesehen

Karger Felsruecken vor der Bucht von Cartagena - das kleine Leuchtfeuer darauf haben wir in der Nacht schon lange vor Ankunft gesehen

Und noch mehr Fotos gibt es hier:

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Tschuess Almerimar - entlang der Costa del Plastico geht es nach Cartagena

Tschuess Almerimar - entlang der Costa del Plastico geht es nach Cartagena

Liegeplatz in Cartagena mit Aussicht auf die Kreuzfahrtschiffe

Liegeplatz in Cartagena mit Aussicht auf die Kreuzfahrtschiffe