Noch im Dunkeln hoeren wir Caiado mit seinem Auto wegfahren. Spinnt denn jetzt alles und jeder? Nachts kommen die Ratten (ok. es war „nur“ eine, aber das reicht uns vollkommen) an Deck, jetzt faehrt Caiado um diese ungewohnte Zeit am heiligen Sonntag mit dem Auto los!!

Hundsmuede und kaputt durch die mehrfach unterbrochene Nachtruhe (wir mussten ja die Ratte beobachten)  duschen wir und machen das Schlauchboot startklar. Tag 3 unseres Lissabon-Sightseeing-Programms! Wir wollen die Faehre um 9 Uhr nehmen und bekommen das doch tatsaechlich auch hin. Springtide, das Wasser ist wieder mal extrem niedrig. Wir wissen gar nicht so recht, wo wir das Schlauchboot in Seixal festmachen sollen. Entscheiden uns fuer einen Ring oben an der Treppe von der Pier. Noch weiter runter kann es ja nicht gehen, „aufhaengen“ wird es sich also wohl kaum.

Rest wie gehabt: im Sturmschritt Richtung Faehre, Ticket aufladen und nach wenigen Minuten Wartezeit duerfen wir in die Faehre die kurz darauf bereits ablaedet. Meine Guete, was da alles an Land und Sandbaenken so rausschaut. Ueberall stehen wieder Fischer huefthoch im Wasser und wuehlen sich durch den Schlick der Lagune. Die Faehre prescht unverdrossen auch schon mal ausserhalb der Fahrrinne durchs noch vorhandene Wasser. Naja, der Tiefgang wird sich wohl in Grenzen halten. Ein daenisches Segelboot tastet sich dagegen vorsichtig und langsam Richtung Tejo. Wie kann man denn auch bei Niedrigwasser Anker auf gehen??

Von der Faehre fallen wir sofort im Bahnhof bzw. in der Metrostation direkt gegenueber des Faehrterminals ein. Jetzt wissen wir ja, wie es geht und laden unsere Tickets wieder mit 5,00 Euro auf. Damit koennen wir dann 24 Stunden kreuz und quer mit Bus, S- und U-Bahn durch Lissabon duesen. Das ist praktisch und man sieht viel. So auch heute. Spontan entscheiden wir uns fuer Belem als erstes Ziel. Wir wollen doch das Seefahrer-Monument mal aus der Naehe sehen. Leider haengen jetzt dicke, graue Wolken ueber Lissabon, aus denen es auch schon mal niesel-regnet. „Du, da hinten, ist da noch ein Yachthafen??“….Von der Fussgaengerueberfuehrung sehe ich Masten. „hmm, ja das ist ein Hafen, einer fuer Fahnen“ meint mein Begleiter grinsend. Den Rest des Wortwechsels verschweige ich besser, meine Wortwahl war nicht ganz so vorbildlich. Vorbei am Wohnmobil-„Hafen“ und einem grossen, ungenutzt wirkenden Platz mit den besagten Fahnenmasten drumrum kommen wir zum Doca de Belem. Optis, Laser und andere Jollen werden gerade in grosser Zahl segelklar gemacht. Da kommen Erinnerungen hoch an die aktive Regattazeit meines Sohnes.

Am Fusse des Denkmals bewundern wir die Windrose im Pflaster. Leider stehen die meiste Zeit irgendwelche Reisegruppen mittendrin/drauf sodass von der eigentlichen Pracht nicht mehr so ganz viel zu sehen ist. Ein uralter Citroen-Lieferwagen dient als Basisstation fuer die Vermietung neuzeitlicher Roller, mit denen man auf 2 Raedern die City erkunden kann. Ueberhaupt ist Belem a) sehr sportlich (alle Naselang kommen uns Jogger oder Rennrad-Fahrer entgegen oder ueberholen uns, von den Seglern ganz zu schweigen) und b) sehr touristisch. Letzteres beweisen die vielen Gruppen, die ueberall parkenden Reisebusse und die lange Menschenschlange vor dem Eingang zum Hieronymuskloster „Mosteiro dos Jeronimos“. Wir machen einen kurzen Abstecher in die Austellung aegyptischer Ausgrabungsgegenstaende. Aber schnell ist uns das Ambiente zu dunkel, die Texte sind alle in portugiesisch und irgendwie sind wir nicht so die wahren Museumsfans. Also nix wie raus. Vor dem Hieronymuskloster stehen die Leute genauso in der einer Warteschlange wie vor der Antiga Confeitaria de Belem, wo „pasteis de Belem“ auf den Markisen und auch im Strassenpflaster zu lesen ist. Wir stehen lieber gegenueber an der Haltestelle der Strassenbahn. Eigentlich muesste man sich allein fuer Belem einen Tag Zeit nehmen. Aber Werner zieht es aus mir unerfindlichen Gruenden zum Park der Nationen, also gewissermassen ans andere Ende der Stadt. Mit der S-Bahn fahren wir am Palacaio de Belem und am Palacio Nacional da Ajuda vorbei. Alles ganz in rosa und hinter hohen Mauern halb versteckt. Und trotzdem kann man die Pracht sehen/erahnen, die sich hinter Toren und Mauern verbirgt. Was genau wir da mehr oder weniger links liegen lassen, muessen wir allerdings spaeter nachlesen. Eigentlich muessten wir jetzt in die rote U-Bahn-Linie um zum Park der Nationen zu gelangen. Aber wie auch beim Segeln so auch beim Sightseeing: nur zu gerne laesst der Skipper sich dazu ueberreden, mit dem Elevator de Santa Justa von der Unter- in die Oberstadt zu fahren. Die Fahrt ist in unserem 5 Euro-Ticket inbegriffen. Praktisch. Mit kurzen Zwischenstopps rumpelt die alterehrwuerdige Holzkabine aufwaerts. Oben angekommen, staunen wir ueber die Aussicht, ueber die Kirchenruinen, die an den Uebergang vom Elevator zum Stadtteil Bairro Alto angrenzen. Museen, Plaetze, grosse Regierungsgebaeude. Vor einem Gebaeude steht in einem Holzhaeuschen ein uniformierter Wachsoldat, veraendert immer mal wieder seine Haltung, gruesst vorschriftsmaessig einen ausfahrenden Regierungswagen. Wenigstens hat er eine schoene Aussicht auf den Platz und in das gruen der Baeume darauf. Ob hier die Baeume auch im Winter gruen sind?? Bislang gibt es keine Anzeichen auf Herbst in Form von gelben und braunen Blaettern….! Und immer wieder wunderschoene, wenn auch sichtlich aeltere Haeuser mit Azujelos an den Fassaden. Mal ganz bunt, mal in gruen oder in verschiedenen Blautoenen. Die Strassen winden sich noch weiter aufwaerts und wir stossen wieder auf die S-Bahn Linie 28 – die historische Bahn, deren einzelne Wagen sich geraeuschvoll ratternd und bimmelnd durch die Gassen Lissabons bewegen und mit denen wir uns bevorzugt von Stadtteil zu Stadtteil bewegen. Es ist einfach, als waere man in einer anderen Zeit unterwegs, als koenne man hier in dieser Bahn sitzend die Stadt einfach anders er-leben. Die Fenster sind meist alle nach oben geschoben, was natuerlich auch den Fotografen unter den Fahrgaesten entgegen kommt. Schnell mal den Arm raus gestreckt und ein Foto gemacht.

Ueber einen Parkaehnlichen Platz geht es weiter bergauf. Ein junger Mann uebt sich im Gitarre spielen. Gar nicht so schlecht, wuerde sich nicht ein dunkelhaeutiger Kettenverkaeufer bemuessigt fuehlen, sehr unpassend dazu zu singen! Ob der aufhoert, wenn man ihm Geld gibt?? Nee, macht er irgendwann auch so. Ein Glueck! Ueberall stehen huebsche Pavillons mit Sitzgelegenheiten davor. Das Publikum wirkt irgendwie modern, jung und auch ein klein wenig intellektuell… wir gehen die Strasse weiter. Ein Kaffee in einer wunderschoenen Eck-Bar, deren Ambiente und Ausstattung leider ueberhaupt nicht mit der modernen Musik und den jungen Maedels korrespondiert, die hier bedienen. Eine alte Frau sitzt in einer Ecke an einem Tisch und vertreibt sich den Sonntagvormittag offenbar mit Leute gucken. Vielleicht die Oma einer der Bedienungen oder die Inhaberin? Wir suchen im Bairro Alto die Strasse Rua d. Seculo, die ich bislang ja nur im Dunkeln kenne und unbedingt nochmal Werner zeigen will. Und tatsaechlich werden wir fuendig. Staunend betrachte ich all die Haeuser, an denen wir im Taxi vorbei gefahren sind, und die mir an dem Samstag-Abend (dem Fado-Abend) gar nicht so recht aufgefallen waren. Dafuer wirkte das grosse Gebaeude gegenueber der Bar im Abendlicht und bestrahlt von den imposanten vier Eingangslaternen irgendwie viel majestaetischer wie jetzt bei Tage. Und die Wandgraffiti war irgendwie auch noch nicht vorhanden…..oder nicht so deutlich sichtbar?? Werner schaut neugierig in die Bar, kann aber nix erkennen. Dicke Vorhaenge schuetzen das Innere vor neugierigen Blicken.

Hoch und runter, kreuz und quer geht es durch das Viertel, mal zu Fuss, mal mit der S-Bahn 28.

Irgendwann kommen wir an die Basilica de Estrela, verschnaufen im gegenueberliegenden Jardin de Estrela. Rast auf einer Bank mit Blick auf Palmen, haushohe Bananenpflanzen und andere Pflanzen, die bei uns meist in Kuebeln vor sich hin mickern, hier aber prachtvoll in Parks und Gaerten wachsen. „Stimmen die noch die Instrumente oder spielen die schon?“ – gegenueber an einem Pavillon ist so eine Art Musik zu hoeren. Genauer gesagt, werden verschiedene Instrumente zum klingen gebracht und da ich ja ein bekennender Kunstbanause bin, definiere ich das mehr als stimmen und nicht als spielen. Werner lacht: „lass uns weiter gehen“ – ist wohl auch nicht so sein Stil. Wir queren den Park und wandern Richtung U-Bahn-Station. Jetzt will Werner endlich zum Park der Nationen. Mit der gelben Linie zwei Stationen weiter, dann umsteigen in die rote Linie. U-Bahn Fahren ist oede, da sieht man ueberhaupt nix. Zum Ausgleich beobachten wir unsere Sitzplatznachbar. Verstehen koennen wir ja nix, aber die temperamentvolle Unterhaltung zu beobachten, ist auch interessant. Dann sind wir auch schon am Ziel: voellig geplaettet stehen wir nach verlassen der Station vor einem riesigen Einkaufscenter!! Vor uns liegt das Centro Comercial Vasco da Gama, flankiert von zwei ganz besonders geformten Hochhaeusern. Park der Nationen hatten wir uns irgendwie anders vorgestellt…. Wir laufen etwas planlos nach rechts, Richtung Marina. Zwischen modernen Hochhausbauten, in denen Hotels untergebracht sind, treten wir weiter das Pflaster. Pfff, ist das ermuedend. Ich mag nicht mehr, frotzele, dass die Nationen hier wohl in Form von Hotels sichtbar seien (Hotel Oriental etc.) und schlage vor, Richtung Wasser zu gehen. Erste Lichtblicke in Form von Wasserspielen und dem Blick auf den Tejo selbst, auf Bruecken, die Seilbahn und Segelboote. Wir spielen kurz mit dem Gedanken, den Pavillon Portugals zu besuchen. Aber irgendwie erschlaegt mich das hier alles, ich mag nix angucken, will eigentlich nur noch weg hier. Die Sonne bretzelt auf uns runter, wir laufen uns die Fuesse wirklich platt hier und ich bin froh, dass wir in der Naehe der Marina eine Bushaltestelle finden. Die Marina ist ziemlich aufgeraeumt, sprich leer und wirkt noch nicht fertig gestellt. Viele Liegeplaetze sind frei und auch die umliegenden Gebaeude haben noch ausreichend Kapazitaet, um Laeden und Restaurants aufzunehmen.

Der Bus kommt zum Glueck recht schnell und ist gut gefuellt. Werner ueberlaesst mir grosszuegig einen Sitzplatz gegenueber einem beleibten Portugiesen. Dessen Knoblauchgeruch weht mir waehrend der Fahrt immer wieder unangenehm in die Nase. Wenigstens ist der Blick aus dem Fenster interessant und eroeffnet neue Einblicke und Perspektiven. Schraeg gegenueber sitzen vier aeltere Damen, irgendwie sehen die nach Witwen aus. Eine hat ein richtiges Oma-Gesicht und guckt ganz verschmitzt. Wir naehern uns der Baixa und erkennen schon einiges wieder. „Da sind wir doch aus der Alfama raus gekommen und da auf dem Platz waren wir schon“. Etwas ratlos steigen wir aus dem Bus – was machen wir jetzt? „Die 17 Uhr Faehre nach Seixal schaffen wir ja nicht mehr, aber die 18:30 bekommen wir locker“ – ich habe absolut keine Motivation mehr, noch irgend etwas anzuschauen, also geht es gemuetlich Richtung Faehr-Station. Einige Umwege bringen uns zu einem weiteren Aufzug, der heute leider nicht in Betrieb ist und irgendwann landen wir an der alten Markthalle „Mercado da Ribeira Nova“. Der wurde 1902 erbaut und hat arabische Einfluesse. Im Untergeschoss sind die Verkaufsstaende abgedeckt und/oder leer geraeumt. Im Eingangsbereich und in der Kuppel darueber sind wunderschoene Fliesenmotive zu bestaunen. Im Obergeschoss geht in einem grossen Raum voll die Party ab: Hier findet jeden Sonntag Tanz statt. Das wird offensichtlich gut angenommen, die Einwohner Lissabons scheinen sehr tanzfreudig zu sein, der Raum ist gut gefuellt. Gleich gegenueber liegt der Cais do Sodre, unser Faehrterminal. Wir koennen uns in der kleinen Bar direkt daneben noch einen Espresso und was Suesses, dann ist auch schon Abfahrtszeit. Der Wind hat zugelegt, die Faehre holpert ordentlich ueber die Wellen des Tejo. Der Kapitaen faehrt schneidig ausserhalb der Fahrrinnen und wir raetseln schon, ob wir ueberhaupt nach Seixal fahren….! Geschickt manoevriert er die Faehre zwischen den Sandbaenken an den Anleger. Wenn hier Sonntags zu gewissen Zeiten schon so viele Menschen zwischen Seixal und Lissabon pendeln, moechten wir nicht wissen, was hier wochentags ab geht! Im Laufschritt (es ist unangenehm windig und entsprechend kuehl) geht es zurueck zur Pier, wo wir das Dinghi ja heute frueh auch schon bei Niedrigwasser zurueck gelassen hatten. „Ist das unser Schlauchboot? Wie kommt das denn auf die andere Seite der Pier???“…. tja, das hat wohl jemand umgebunden. Lag wohl auf der anderen Seite doch nicht ganz so gluecklich. Gibt doch noch wohlmeinende Mitmenschen: ordentlich vertaeut liegt es nun an einem anderen Platz. Wir haben Muehe, von hier weg zu kommen. Das Wasser ist extrem flach und mit uns beiden als Inhalt sitzt sogar das Schlauchboot hier auf. Irgendwie schaffen wir es doch noch und kommen im letzten Tageslicht am Schiff an. Hat auch was, mal keine Tonnen in der Dunkelheit suchen muessen! Unser Mutterschiff wird vom Wind ganz schoen an den Ponton gedrueckt, es gluckst und gluckert um uns herum. Wir versuchen, ein paar Fender um zu haengen, was aber misslingt: naja bewegt sich keinen Zentimeter vom Ponton weg…..komisch, das geht doch sonst auch, so stark ist der Wind doch nun auch wieder nicht…oder doch??? Mir daemmert ploetzlich was: Niedrigwasser! Die kann sich ja gar nicht bewegen, unser armes Schiffchen steckt doch im Schlick fest!!!

Naja, dann kann ja auch nix weiter mehr passieren – zumindest in den naechsten Stunden nicht. Wir machen alles rattendicht, essen noch eine Kleinigkeit und fallen muede in unsere Kojen. Sightseeing ist toll, aber auch ziemlich anstrengend!

Fotos gibt es hier:

https://www.dropbox.com/sh/c20oul13ob44dpn/7LcEsp9iwi