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Ich hab’s gewusst: die Rache fuer meinen gestrigen Wunsch nach einem Hafentag folgt umgehend. Aber der Reihe nach: ganz relaxt starten wir ca. 9 Uhr in St. Peter Port mit Kurs auf Roscoff in der Bretagne. Mit Wind Staerke 3-4 aus SSW koennen wir immerhin schon mal die ersten beiden Stunden segeln!!! Dickes rotes Kreuz in den Kalender. Leider muessen wir irgendwann dann doch den Kurs aendern und somit geht es unter Motor und Stuetz-Grosssegel weiter. Werner hadert immer noch, ob wir wirklich Roscoff anlaufen sollen, da es von Guernsey in diese Richtung nicht in den geplanten 13 Stunden zu schaffen sein soll. Irgendwann ist es fuer eine Kuersaenderung sowieso zu spaet und noch laeuft der Strom auch schoen mit. Regenschauer und Sonne wechseln sich ab. Der Wind nimmt zu, die Wellen werden hoeher und hoeher und hoeher. 3,5 Meter auf dem Papier zu lesen, ist die eine Sache, sie von vorne auf sich zu rollen sehen das andere. Aber sie sind sehr lang und gutmuetig. Und unser Schiff nimmt sie wirklich tapfer, insbesondere unter Segel. Man darf nur nicht vom Kurs abfallen. Dann frage ich mich, wo die Berge auf dem Meer her kommen. Da unser Windpilot mangels Antrieb heute ausfaellt und Werner den Elektronischen Steuermann immer noch nicht im Griff hat, stehe ich meist am Ruder. Es sei denn, mir fallen kurzzeitig fast die Aeuglein zu. Eigentlich muesste doch mein Adrenalinspiegel hoch geputscht und ich hellwach sein. Pustekuchen, regelmaessig werde ich bei solchen Aktionen schlaefrig. Eine geeignete Ecke fuer mein Nickerchen zu finden, ist allerdings nicht so einfach. Hier rutsche ich dauernd weg, dort drueckt mir die Winsch in den Nacken oder verrenke mir fast das Kreuz. Das fehlt noch, mir reichen schon die Schultern aus Blei. Stunde um Stunde wuchten wir uns so ueber die Wellenberge. Von der anfaenglichen Freude ueber die Geschwindigkeit von 8-9 Knoten SOG ist nix geblieben, wir haben Strom gegenan und schaffen gerade mal 3!SM in einer Stunde, SOG 1,4?.ich will von Werner schon gar nicht mehr wissen, wo wir sind und wieviel SM noch vor unsliegen. Zu frustierend sind solche Ansagen. Vor allem, wenn dann noch die Uhrzeit folgt. Ich will nur noch ankommen, egal wo! Langsam werden die Wellen etwas flacher. Slack! Und dann laeuft der Strom auch endlich wieder mit. Es wird dunkel, der Mond scheint helle. Wenn man den immer so passend anknipsen koennte, das ware fein! Vor uns leuchtet und blitzt und funkelt es in weiss, gruen, rot. Leuchttuerme und Untiefentonnen sind schnell ausgemacht und zugeordnet. Dann auch die Hafeneinfahrten, Faehrhafen, Fischerhafen?und wo bitte geht es zur neuen Marina?? Auf den Zeichnungen im Reeds und einem Prospektfoto sieht das irgendwie alles ganz anders aus, hat andere Relationen. Und jetzt in der Dunkelheit zischen wir mit 7 Knoten auf den Hafen zu. “Werner, wir sind zu schnell, viel zu schnell”?und das Segel muss auch noch runter. Wo sind die 5sm hin, die er mir eben noch angesagt hatte?? Dann hakt auch noch die Schaltung. Der Motor heult auf, Speedanzeige = Null! Null??? Das kann doch nicht sein, ist hier so viel Stroemung? Und diese sch?. rote Tonne kommt naeher (neue Magnetismus Lehre: Elke am Ruder plus Tonnen/alternativ Fischerbojen = Anziehungskraft hoch 3!) Und dahinter lauern irgendwie Felsen ist mir noch in Erinnerung. Sche?., Sche?.. Im Funk kommt eine dringend klingende Security-Meldung. Natuerlich auf Franzoesisch, ich versteh kein Wort, der erzaehlt irgendwas von einer Position, wiederholt den ganzen Kram auch noch, klingt aufgeregt, war das grade Pan, Pan,Pan? Meint der etwa uns? Laufe ich da irgendwem vorm Bug rum, sieht da einer auf dem Radar, was ich hier absolviere? Werner bekommt die Schaltung wieder in den Griff, ich drehe einen Kringel weg von der Tonne, der Motor stinkt weil ich ihm die volle Drehzahl abverlange?.Panik ist ein schlechter Berater, aber ich kann mich nicht dagegen wehren. Und Gas weg zu nehmen, traue ich mich auch nicht mehr. Wenn der Gang wieder rausfliegt?? Hier so kurz vor den Bollwerken von Hafenmauern, die vor uns aufragen. Chef richtet auch das, uebernimmt das Ruder im letzten Moment und wir tasten uns vorsichtig um eine weitere Untiefentonne herum auf ein rotes und gruenes Licht zu. Das muss es sein. Und tatsaechlich: was aussieht wie eine undurchdringliche Wand, oeffnet sich auf wundersame Weise, gibt den Blick auf Stege und Schiffe frei. Und genau vor uns ein freier Platz. Nix wie hin und rin! Schiff und Skipper haben es ebenfalls eilig und so legen wir zum ersten Mal in unserer Karriere ohne Fender und mit 2 hastig und entsprechend dilettantisch festgemachten Leinen an. Aber irgendwie geht alles gut, wenn man von dem klitzekleinen Kratzerchen am Bug absieht. Madame meinte naemlich, sie muesse dem Nachbarschiff an Steuerbord bon soir wuenschen und schiebt ihre vorwitzige lange Nase mal eben rechts ueber den Ausleger. ?Oh, Backbord ist auch ein netter Nachbar, ob man sich an den wohl mal anlehnen kann?’ Ich habe meine liebe Not, Bug und Heck unter Kontrolle zu bringen. Um 0:54 haben wir endlich alles an Ort und Stelle und verspeisen - ueberdreht und hungrig wie wir sind - noch ein Kartoffelsueppchen. Dann geht es in die Koje. Wieder ein lehrreicher Tag, der fuer mich mit schmerzenden Schultern vom langen Ruder gehen endet. Aber wir sind angekommen und haben unsere 2. Nachtansteuerung absolviert.